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Interview von ProMosaik mit Shayan Arkian: Warum der Westen die Islamische Republik Iran nicht versteht

Liebe Leserinnen und Leser,

anbei ein interessantes Interview mit Herr Shayan Arkian von IranAnders.

Für ProMosaik e.V. ist der Abbau von Vorurteilen der erste Schritt hin zum interkulturellen und interreligiösen Dialog mit dem Iran.

Wir freuen uns sehr auf Ihre Kommentare hierzu.

dankend

Dr. phil. Milena Rampoldi von ProMosaik e.V.


ProMosaik: Wie wichtig ist ein Journalismus, der von der
Heterogenität der Realität ausgeht und eine Schachbrettmentalität überwindet?
Wie wichtig ist eine solche Sichtweise im Besonderen, wenn es um die
Darstellung der Realitäten des Iran im Plural geht?
Shayan Arkian: Die Welt ist heterogen und nicht monoton, daher ist es für einen guten
Journalismus unabdingbar, diesen Pluralismus abzubilden. Dies gilt demnach
nicht nur in Bezug auf Iran, sondern in Bezug auf alle außenpolitischen Themen.
Allerdings
kommt im Fall Irans ein besonderes Element hinzu, das einzigartig gewesen ist
und bei anderen politischen Phänomenen der Welt bisher nicht galt. Jede
politische Bewegung in der Welt war bis zur Islamischen Revolution von 1979 in
Iran davon gekennzeichnet, dass sie entweder dem westlich-bürgerlichen oder dem
östlich-linken Lager zugehörig war. Die Islamische Revolution ragte aber aus
diesem Schema völlig heraus. Sie begründete sich
aus ihrer eigenen
heimischen Tradition heraus und
ist
sowohl anti-westlich als auch anti-östlich gewesen. Ein Leitspruch der
Revolution ist gewesen: „Weder Westen noch Osten, sondern nur Islamische
Republik.“ Infolgedessen hatte die Islamische Republik Iran nie eine
gesellschaftliche Basis in den westlichen Staaten gehabt, woraus Zuspruch,
Ansporn für Differenzierung und gegensätzliche Debatten erwachsen könnten.
Nein, die Gesellschaften des Westens waren und sind im Prinzip bis heute in
außenpolitischen Belangen zutiefst in der West-Ost-Logik gefangen. Folglich
betrieben sowohl die bürgerlichen als auch die linken Medien eine beispiellose
Schwarzmalerei über Iran. Die Islamische Republik Iran hatte daher von Beginn
an einen inhärenten, extrem schweren Start und Stand bei der westlichen Presse
– und damit ist die linke Presse im Westen mit gemeint – gehabt. Diese
strukturell-mediale Beschaffenheit hat sich erst in jüngster Zeit aufgrund
verschiedener Faktoren ein wenig aufgeweicht.  
ProMosaik: Auf IranAnders steht: Wir sind bestrebt, den Iran-Diskurs zu bereichern
und zu komplimentieren. Was fehlt dem Iran-Diskurs?
Shayan Arkian: Eine Empathie über die Rationalität der Islamischen Republik in Iran.
Eine Empathie im Sinne von Verständnis und nicht Einverständnis. Diese Empathie
ist jedoch ohne schiitisch-theologische Kompetenzen und ohne die Interaktion
mit den religiösen Schiiten nicht zu erreichen. Da die Islamische
Republik  als religiös-schiitische Staatsordnung, die  nach ihrem Selbstverständnis auf der
Zustimmung der religiösen Massen basiert und sich dadurch legitimiert, ist es
immanent, dass politische Analysen, die durch ein fehlendes theologisches
Profil bewirkt werden, defizitär sein müssen. Dies gilt bei Interpretationen
von innenpolitischen Phänomenen in Iran im Besonderen, weil da der theologische
Aspekt noch eine bedeutend größere Rolle spielt.
Wir
versuchen unter anderem diese Lücke zu schließen. Demgegenüber steht das
säkulare Abendland, das alles Religiöse als rückständig und irrational
betrachtet – und in der Folge auch die Islamische Republik in Iran. Dieser
Umstand ist ein wesentlicher Grund dafür, warum der Westen die Islamische
Republik immer wieder – noch bis vor kurzem – unterschätzte und ihren
vermeintlichen Niedergang alljährlich prognostizierte. 
ProMosaik: Können Sie einige Beispiele anführen, wo der Westen ziemlich falsch lag,
weil er keine ausreichenden Kenntnisse über die schiitische Theologie hatte?
Shayan Arkian: Da kann man einige Beispiele nennen. Es beginnt schon mit dem Vorwurf,
die Islamische Republik strebe den Besitz oder die Herstellung von Atombomben
an. So ein Vorwurf kann aber auch nur von Akteuren kommen, die in westlichen
oder weltlichen Kategorien denken und daher meinen und so argumentieren, dass
doch die Islamische Republik rein aus weltlichen Machtgründen den Besitz von
Atomwaffen anstreben müsste. Es wird hier völlig die religiöse – oder nennen
wir es die ideologische – Logik der Islamischen Republik verkannt, die
Massenvernichtungswaffen als religiös und somit ideologisch verboten einstuft.
Erlauben
Sie mir aber noch ein anderes Beispiel anzuführen, das eher im
Boulevardjournalismus angesiedelt ist und es aber dennoch schaffte, in den
Qualitätsmedien großen Eingang zu finden:
Sie
kennen vermutlich den in Deutschland lebenden iranischen Musiker Shahin Najafi.
Er hatte vor einigen Jahren in einem Musikstück einen schiitischen Nachfolger
des Propheten verunglimpft – so zumindest seine Kritiker. Größtenteils
unabhängig von diesem Vorfall hatten einige Schiiten einige ihrer religiösen
Rechtsautoritäten, die aber kein politisches Amt in Iran innehaben, konsultiert
und nach ihren Rechtsmeinungen (Fatwas) zu Verunglimpfungen solcher und anderer
Art gefragt. Diese befragten Großayatollahs – und dazu zählte eben nicht das
religiös-politische Staatsoberhaupt der Islamischen Republik Iran, Großayatollah
Ali Khamenei – sagten allgemein und ohne dabei Najafi mit Namen zu nennen, dass
falls jemand eine der zwölf schiitischen Nachfolger des Propheten mutwillig beleidige,
kein Muslim mehr sei, sondern ein Apostat.
Nun
wurden diese Rechtsmeinungen aber von den westlichen Medien aufgegriffen und so
dargestellt, dass Shahin Najafi nach diesen zu töten sei. Mehrere Monate lang
berichteten Zeitungen in Deutschland über diesen Fall und sie brachten die Rechtsmeinungen
sogar im Zusammenhang mit der Islamischen Republik Iran. Die Story landete dann
gar auf der Titelseite der taz, und das ZDF heute journal berichtete damals und
selbst ein Jahr später zum Jahrestag noch einmal darüber. Dann hatten noch 50
Künstler und Schriftsteller, darunter namenhafte wie Günter Wallraff, Günter
Grass, Navid Kermani, Udo Lindenberg und Konstantin Wecker einen
Solidaritätsaufruf für den Schutz von Shahin Najafi veröffentlicht. Schließlich
wurde er unter Polizeischutz gestellt und tauchte unter Todesangst bei Günther
Wallraff unter.
Also
ein riesiges, anhaltendes Medienspektakel, das selbst nach einem Jahr weiter daran
gedreht wurde. Nur: Der Wirbel war umsonst, weil gemäß schiitischem Recht –
anders als beim Recht
manch anderer islamischen Rechtsschulen
– die Apostasie nicht die
Todesstrafe zur Folge hat, und noch viel weniger steht die Islamische Republik Iran
in der Verbindung mit diesen Rechtsmeinungen: Nach der theologischen
Überzeugung der Islamischen Republik Iran sind den politischen Fatwas der Großayatollahs
überhaupt nicht Folge zu leisten, sondern nur denen des religiös-politischen
Staatsoberhauptes, Großayatollah Ali Khamenei, der die Hoheit über politische Rechtsfälle
hat. Die politischen Rechtsmeinungen der anderen Großayatollahs gelten demnach
bloß als theoretische religiöse Gutachten, die zur Diskussion für die Fachwelt
und Theologiestudenten zur Verfügung stehen und keine praktische Anwendung
finden dürfen.
Kurzum:
Der gesamte Medienwirbel war unbegründet und der weitere Imageschaden, den die
Islamische Republik Iran dadurch erlitten hatte, resultierte einfach aus der
Unkenntnis über die schiitische Theologie und den theologischen Grundfesten dieser
Republik. Mehr noch: Erst durch die verzerrte westliche Berichterstattung haben
einige junge, religiös ungebildete, vorlaute Schiiten in Deutschland sich in
sozialen Netzwerken dahingehend geäußert, Najafi töten zu wollen – nicht weil
ihr Ayatollah oder geschweige die Islamische Republik das von ihnen verlangte,
sondern weil die westlichen Medien es fatalerweise so darstellten! Die geballte
Medienmacht des Westens geht bisweilen so weit, dass sie selbst für die
Injektion von falschen theologischen Inhalten in eigentlich ihnen gegenüber
feindlichen Milieus sorgen kann. 
ProMosaik: Aber gibt es im Westen nicht genügend Lehrstühle für Islamwissenschaften
und Islamwissenschaftler?
Shayan Arkian: Vermutlich ja, aber in den islamwissenschaftlichen Disziplinen im Westen
wird hauptsächlich über das Sunnitentum gelehrt und geforscht. Das Schiitentum
ist weitgehend eine Randerscheinung geblieben. Hinzu kommt, dass jahrzehntelang
die schiitische Denkschule durch sunnitische Brille beleuchtet wurde. Dies ist
weder wissenschaftlich noch führt so eine Vorgehensweise zu einer authentischen
Darstellung der Schia. Es gibt also im Westen sehr wenige Schia-Experten, und
diese wenigen beschäftigen sich kaum oder zu wenig mit der iranischen Politik,
sondern vorwiegend mit rein religiösen Fragen. Es fehlt die gemeinsame Schnittstelle,
die IranAnders herzustellen versucht.
ProMosaik: Welche Hauptziele strebt IranAnders mit seiner Arbeit an?
Shayan Arkian: Wir können derzeit kein allumfassendes Bild über Iran zeichnen. Dazu
haben wir momentan leider nicht die Ressourcen und müssen daher Prioritäten setzen.
Diese liegen – bedingt durch die hiesige mediale Beschaffenheit – derzeit
darin, die Perspektive Irans vorurteilsfrei darzulegen – und vor allem sie zu
erläutern. Damit handeln wir uns zwar von einfältigen Geistern den Vorwurf ein,
Apologeten des Regimes zu sein, aber Menschen ohne ideologische Scheuklappen
schätzen unsere Arbeit als notwendig und ziemlich wertvoll ein.
ProMosaik: Für mich persönlich ist jeglicher Journalismus über islamische Länder nur
wahr, wenn er die Länder, Kulturen und Menschen als Subjekte im Sinne Edward
Saids Werk „Orientalism“ sieht. Wie negativ ist ein westlicher Journalismus
über den Iran, der das Land dämonisiert und als Feindbild beschreibt? 
Shayan Arkian: Er schadet vor allem den Westen selbst, weil eine solche Berichterstattung
dazu führt, dass das Wesen, die Handlungslogik und die Staatshandlungen der
Islamischen Republik zum Teil systematisch fehlgedeutet werden. Dadurch werden
politische Entscheidungsträger daran gehindert, eine adäquate Strategie zu
formulieren.
Haben Sie
vielen Dank für das aufschlussreiche Gespräch!
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