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Das Interview von ProMosaik e.V. mit Olivier Turquet non auch in deutscher Übersetzung

Liebe Leserinnen und Leser,

wir freuen uns, das Interview mit Olivier Turquet des Presseportals Pressenza und des Verlags für Menschenrechte multimage auch in deutscher Übersetzung vorstellen zu dürfen.

Gegenüber ProMosaik e.V. spricht Olivier Turquet zahlreiche Themen, u.a. Pazifismus, Humanismus und interkulturellen und interreligiösen Dialog an. Er sieht sich als einen “Schriftsteller der Realität” und als einen Motor der Veränderung. Denn die Welt muss verändert werden.

Dieser Meinung sind wir von ProMosaik e.V. auch.

Wir freuen uns auf Ihre Zuschriften zum Interview an info@promosaik.com

dankend

Dr. phil. Milena Rampoldi
Redaktion von ProMosaik e.V.


ProMosaik e.V.: Lieber
Olivier, du sprichst von dir als einem Menschen, der seit 40 Jahren die
Realität erzählt. Welche Prinzipien hast du im Sinne, wenn du über die Realität
schreibst und welche Zielsetzungen verfolgst du?
Olivier Turquet: mehr als
40 Jahren bin ich der Überzeugung, dass die Welt verändert werden muss. Einige
meiner Generation haben ihre Meinung geändert und denken, dass man jetzt nichts
mehr tun kann. Ich bin aber nicht der Meinung: das ist mein erstes Prinzip: ich
glaube an die Veränderung und suche nach der Veränderung; ich erzähle die
Veränderung. Im Laufe meiner persönlichen Geschichte habe ich mich oft nach den
Prinzipien gefragt; am Ende aber bin ich zum Schluss gekommen, dass das
wichtigste Prinzip und die goldene Regel, von der alle anderen Prinzipien abgeleitet
werden, wie folgt lautet: „Behandle die anderen genauso, wie du behandelt
werden möchtest”. Aus diesem Prinzip lässt sich ein Journalismus ableiten, der
die Protagonisten der Nachricht respektiert, die sehr oft nicht die typischen „Mainframe“-Persönlichkeiten
sind, sondern ganz normale Menschen wie du und ich, die sich für die
authentische Veränderung ihrer selbst und der anderen einsetzen; und die es
inmitten der Menschen tun, ohne Eklat und ohne Pauken und Trompeten.

ProMosaik e.V.: Welche
ideologischen Etappen hast du während deiner Arbeit als „Schriftsteller der
Realität“ durchlaufen?
Olivier Turquet: Ich habe
eine anarchistische Bildung durchlaufen. Ich weiß, dass die Anarchisten
manchmal einen schlechten Ruf haben. Das ist auf eine geschichtliche Epoche
zurückzuführen, in der so jemand glaubte, es wäre eine gute Idee, ein paar
Bomben auf die Mächtigen abzuwerfen. In Wirklichkeit ist der Anarchismus aber
eine Ideologie ohne Gewalt und im Allgemeinen freiheitlich und meiner Meinung
nach auch in seinem Wesen humanistisch. Meine Familie hatte dann auch eine
sozialistische Ausrichtung. Auch der Sozialismus wurde gewalttätig und
autoritär ausgelegt. So habe ich mich für den universalen Humanismus von Silo
entschieden, der den freiheitlichen Aspekt mit der Liebe für das Soziale und
einer starken gewaltfreien Mystik verbindet: dies hilft mir, einen Blick auf
die Realität zu gewinnen, der für mich dann als Grundlage meines Schreibens
dient.
ProMosaik e.V.: Was
verändert sich in der pazifistischen Bewegung mit den neuen Typen von Kriegen,
die sich heute in so vielen Regionen der Welt wiederfinden?
Olivier Turquet: Hinsichtlich
des Wesentlichen verändert sich nichts: der Krieg ist nie eine Lösung. Aber
andererseits muss der Pazifismus auch ausdrücklich gewaltfrei werden und in
einigen seiner Komponenten die Idee des „gerechten” oder „notwendigen Krieges”
aufgeben. Der Krieg ist immer eine Connerie, wie es ein Dichter so schön
formulierte.
ProMosaik e.V.: Welche
Beziehung siehst du zwischen Pazifismus und Anti-Imperialismus?
Olivier Turquet: Es
handelt sich hierbei um zwei verschiedene Richtungen, die sich dann und wann
überlappen; für den Anti-Imperialismus gilt dasselbe wie für den Pazifismus: er
muss eine Alternative ausarbeiten. Die universelle Menschheit ist die Antwort
auf den Imperialismus.
ProMosaik e.V.: Wie
glaubst du, dass der interkulturelle Diskurs zum Aufbau einer Welt im Sinne des
Friedens beitragen kann?
Olivier Turquet: Der
interkulturelle Diskurs und die Anerkennung der persönlichen und sozialen
Unterschiede gelten als Grundlage dieser universellen Menschheit, von der ich
dir vorher erzählt habe; natürlich ist diese Welt eine Stadt des Friedens, die
geheime verborgene Stadt vieler Mythen und Allegorien. Man muss an dieser
Anerkennung des Anderen hart arbeiten; „Es gibt mich nur, weil es dich gibt;
und alles andere ist Quatsch”, legt Silo seinen Protagonisten der Veränderungen
in der wundervollen Erzählung „Der Tag des geflügelten Löwen” in den Mund: das
ist ein Beispiel, in dem die Literatur viel mehr zu sagen hat als die
ideologischen Traktate.  
ProMosaik e.V.: Wie
glaubst du, dass der interreligiöse Diskurs zum Frieden beitragen kann?
Olivier
Turquet: Der interreligiöse Diskurs weist zwei Aspekte auf: den
institutionellen, der voller schöner Worte ist, dem aber die Taten fehlen, und
der zwischen den Gläubigen (und den Atheisten, die oft große Mystiker sind),
die im guten Glauben meinen, sie könnten die frohe Botschaft übermitteln. Mich
interessiert der zweite Diskurs der einfachen Leute, die nach ihrer
Sensibilität und Kultur, die Präsenz des Göttlichen in ihnen bezeugen. Und sie
tun es mit der größten Liebe und Barmherzigkeit. Und nie mit Gewalt und
Fanatismus. Das ist ein großer Beitrag zum Frieden. 

ProMosaik e.V.: Was
bedeutet für dich Humanismus?
Olivier Turquet: Humanismus
bedeutet, den Menschen als Hauptwert und –aufgabe zu sehen. Humanismus
bedeutet, das Menschliche in allen Menschen zu verspüren, die mir begegnen und
die Zeichen der Heiligkeit, Veränderung, des Neuen in ihnen zu suchen. Denn
diese Zeichen finden sich jenseits aller Kleinigkeiten in dieser dekadenten
Epoche.
ProMosaik e.V.: Welche
sind die Hauptziele des Presseportals Pressenza?
Olivier Turquet: Pressenza
arbeitet, um diese neue Welt zu erzählen, die ihren Weg findet, um Trost zu
spenden, zu informieren und die „Tücken“ dieses Systems zu entpuppen. Pressenza
macht dies dank eines wundervollen und unbezahlbaren Netzwerks von Mitarbeitern
(die alle freiwillig arbeiten). Jeder kann mitarbeiten, denn es gibt so viel zu
tun, und man versucht, im Kreis mit viel Austausch und Reziprozität zu
arbeiten. Es ist ein schöner Arbeitsbereich. 

ProMosaik e.V.: Welche
Zielsetzungen verfolgst du mit dem Verlag multimage für die Menschenrechte?
Olivier Turquet: Die
Menschenrechte finden nicht einmal ihren Platz im Regal einer Bücherei. Du
suchst die Bücher von Amnesty und weißt gar nicht, wohin sie diese verlegt
haben… etwa unter „Politik“ oder unter „Philosophie“? Die Menschenrechte werden
dann auch zu Instrumenten der Manipulation. Man führt Kriege im Namen der
Menschenrechte. Die Menschenrechte besitzen nicht die Gültigkeit, die ihnen
zusteht; nicht einmal die Menschenrechte der Erklärung, die ihre epochalen
und kulturellen Einschränkungen aufweisen. Daraus kannst du entnehmen, dass wir
eine Verlagsanstalt für  Menschenrechte
brauchen.. und genau deswegen haben wir sie vor ungefähr zwanzig Jahren auch
gegründet; und wir sind immer noch da… was wiederum heißt, dass wir irgendeinen
Zweck wohl erfüllen müssen. 

ProMosaik e.V.: Was
möchtest du den Kindern in Gaza sagen?
Olivier Turquet: Ich habe
den Kindern in Gaza nichts anderes zu sagen als das, was ich meinem Sohn und
jedem anderen Kind auf dieser Welt sagen würde: die Kinder sind die ersten, die
das Recht darauf haben, in Frieden zu leben und aufzuwachsen, und dies
unabhängig davon, wo sie leben, unabhängig von ihrer Hautfarbe, der kulturellen
Umgebung, in der sie leben, usw.
Mein Einsatz für den
Frieden und die gewaltfreie Aktion ist mein Engagement, damit die Kinder
überall auf dieser Welt nicht mehr unter den Bomben getötet werden, verhungern,
an leicht heilbaren Krankheiten sterben und ohne Perspektiven und ohne Zukunft
leben müssen. Ich rufe alle Menschen guten Willens auf, dieses Engagement Tag
für Tag so gut wie möglich umzusetzen und dabei der Stimme des Gewissens zu
folgen. Und wenn es noch eines dieser leidenden Kinder gibt, so ist das ein
Schrei zum Himmel.

ProMosaik e.V.: Welchen
Bezug gibt es deines Erachtens zwischen Krieg und Kapitalismus?
Olivier Turquet: Die
Waffen werden hergestellt, um verkauft zu werden. Man verkauft Waffen, um sich
zu bereichern. Der Kapitalismus muss mal ethisch hinterfragt werden; aber man
stellt sich oft Fragen zum Thema des Finanzwesens. Das ist eine mechanische
Tendenz. Aber es treten Menschen hervor, die Kapital verschieben und dies
ethisch tun. Diese bezeugen konkret, dass es einen anderen möglichen und
begehbaren Weg gibt. Wir hoffen, dass diese Verwandlung schnell und friedlich
erfolgen wird. Ich denke, dass diese Änderung des Gesichtspunkts dazu beitragen
wird, die Waffenfabriken aus der Welt zu schaffen oder nummerisch drastisch zu
reduzieren. Und das ist gar nicht so utopisch: die Ethik hat über die Minen
gesiegt, und am Ende hat es gar nicht mehr so viel gebraucht, um diese aus der
Welt zu schaffen, auch wenn der Prozess noch nicht ganz abgeschlossen ist.