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Prinzip 3 des Manifesto von ProMosaik e.V. – ein Schritt weiter zu unserem Buch

Liebe Leserinnen und Leser,

anbei das nächste Prinzip mit unseren Anmerkungen und Interpretationen.
Wir freuen uns auf Ihr Feedback.

dankend

Dr. phil. Milena Rampoldi
Redaktion von ProMosaik e.V.


Prinzip 3
ProMosaik bedeutet für uns eine Welt voller Bewegung und
voller Begegnung.
Bewegung
und Begegnung sind zwei Aspekte, die meiner Meinung nach den wahren Dialog
charakterisieren, denn Dialog bedeutet in einer Linie Dynamik hin zum ANDEREN
und keine statische Haltung.
Wenn
ich den wahren Dialog mit dem Anderen suche, muss ich aus MIR heraus, muss auf
Entdeckungsreise, mich aufs Spiel setzen. Und da tun sich die meisten schwer,
denn eines der großen Hindernisse, das die menschliche Seele blockiert, ist die
ANGST vor dem ANDEREN, dem FREMDEN, einer Farbe, die man nicht kennt. Denn sich
dem Anderen zu öffnen, ist mit Dynamik und kreativer Bewegung verbunden. Ich
lerne, mich mit einer gewissen Leichtigkeit, mit einer vielleicht auch
kindlichen Offenheit, in Richtung des ANDEREN fortzubewegen. Dieser Schritt ist
aber auch mit einem nicht zu unterschätzenden Risiko verbunden, denn ich
verlasse meine bekannte Welt, mein Steinchen, um die Entfernung zum anderen
Steinchen zu überbrücken und mir die neue Welt des anderen Mosaiksteinchen mal
von der Nähe anzusehen. Ich lerne den Unterschied nach seiner Wahrnehmung auch
zu erleben und persönlich zu erfahren. Dass ich mich aufs Spiel setze, kann
auch Frust, Angst oder andere negative Gefühle in mir auslösen. Ich habe
einfach die Befürchtung, dass meine eigene Farbe erblassen könnte, sich mit der
anderen vermischen könnte… mit ihr EINS werden könnte… Ich habe Angst mich zu
verlieren. Dabei übersehe ich aber, dass es dem anderen genau so geht wie mir.
Obwohl ich die Reise unternommen habe und das andere Steinchen in seiner Welt
besucht habe, hat das andere Steinchen dieselbe Befürchtung wie ich, obwohl es
oder gerade weil es in seiner bekannten Welt geblieben ist und ich eigentlich
der Gast aus der Ferne bin. Es will nicht überschwemmt, überfordert, überfahren
werden… Es will einfach seine Ruhe haben… der Besucher vor der Tür könnte
stören, könnte Farben und Formen untereinander bringen, seine Welt verdrehen.
Es bricht ein anderes Steinchen unerwartet in dein Leben ein: ein Steinchen,
das eine andere Farbe und eine andere Form hat.
Alle,
die sagen: es ist doch ein Steinchen, wir sind doch alle gleich… wir sind alle
Steinchen, Stein ist doch Stein… der verfehlt mit Sicherheit das Ziel. Eine
Bewegung, so wie sie der erste Stein macht, erfordert Mut, und so erfordert
auch der Empfang auf der anderen Seite denselben Mut.
Es
braucht Mut, um sich in Frage zu stellen, aus den eigenen vier Wänden
auszubrechen, ob ich nun Ithaka verlasse wie Odysseus und dann wieder auf meine
Insel zurückkehre oder ob ich wie Abraham ins Unbekannte aufbreche und Gottes
Ruf folge… ob ich mich wie Herkules für den steilen Weg entscheide… ob ich
ein Kamel sein möchte oder das spielende Kind von Nietzsche… das ist dann meine
Entscheidung. Ich kann mich auch wieder wegbewegen, wieder hinbewegen… ich muss
nicht unbedingt tolerant sein… ich kann auch schweigen… ich kann nochmal
zurück…. Und wieder hin… oder nie wieder zurück… Und gerade darin besteht der
Wert der menschlichen Freiheit und Selbstbestimmung.
Wichtig
ist, dass ich weiß, wo ich bin und wie ich mich auch fühle und meine Gefühle
nicht verdränge. Ich darf in meine Seele sehen, ohne zu erschrecken… Das Gefühl
des Neides darf ich auch nicht verdrängen.
Ich
bin der Meinung, dass diese Bewegung hin zum Anderen sich gestalten soll, wie
sie sich wirklich gestaltet und nicht geschminkt oder beschmiert werden soll.
Ich höre auf mich und meine Emotionen, denn Bewegung hin zum Anderen ist
nichts, was sich rational erklären lässt.
Ich
lasse mich nicht von pseudotoleranten Parolen leiten, ich wehre auch nicht jeglichen
Fremdenhass gezwungenermaßen ab, wenn er in mir steckt… ich nähere mich einfach
und sehe mir das an.. Ich möchte gerne den Unterschied wahrnehmen dürfen und
dann in die Tiefe gehen. Ich will selbst über mich entscheiden, wie lange ich
mit dem anderen Steinchen spreche, wie lange ich mich aufs Spiel setze, wie
lange ich die Herausforderung aushalte.. und ob ich mich dieser Herausforderung
überhaupt stellen soll bzw. will oder nicht. Dies ist eine wahre tolerante und
dialogische Haltung. Ich muss nicht, aber ich kann und darf.
Dialog
bedeutet auch mal, nichts zu sagen, zuzuhören, zu schweigen… oder auch mal
respektvoll Meinungsunterschiede zu pflegen… Ich verwende hier bewusst das Wort
„pflegen“, um zum Ausdruck zu bringen, dass auch verbale Konflikte gepflegt
werden sollen, natürlich unter der Voraussetzung, dass ich die WÜRDE des
ANDEREN stets respektiere und ihn als MENSCHEN gerecht behandle.
Der
Andere und ich bestimmen somit den Rhythmus und die Art der Begegnung, die
Länge der Unterhaltung und ihre Modalität. Wir tun uns keinen Zwang an.. und
wenn die Kommunikation zu schwierig ist, können wir uns auch mal trennen und
uns erneut wiedersehen. Wir können uns auch auf einem anderen Mosaikstein
treffen… auf einem neutralen Mosaikstein, wenn uns das leichter fällt. Wenn wir
es wollen, gibt es unendlich Wege des konstruktiven Dialogs zwischen Kulturen
und Religionen, auch wenn es verbrannte Kinder sind.