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„Jetzt wird hier mal Ordnung gemacht“ Berlin: Stellungnahme zur Räumung der Zeltstadt an der Rummelsburger Bucht

Von Untergrundblättle,
8. Februar 2021. Wir, eine Gruppe solidarischer Menschen,
haben gegen die Räumung der Zeltstadt an der Rummelsburger Bucht protestiert
und eine Kundgebung vor dem Eingang organisiert.

 

Es war ein langer und intensiver Tag mit viel
Unterstützung aus der Bewegung, für die wir unheimlich dankbar sind. Es hat uns
mal wieder gezeigt, dass Menschen das Schicksal Anderer im Kopf haben und
Support schnell auf die Beine gestellt werden kann, wenn er gebraucht wird. Die
spontane Baggerbesetzung gegen Ende des Tages hat zusätzlich trotz Eiseskälte
unser Herz erwärmt. Wir hoffen, die Aktivist*innen kommen da gut wieder raus.
Danke!



Jetzt wollen wir noch einmal zusammenfassen, warum und wie die Politik, Polizei
und andere Organisationen hier wieder einmal versagt haben:

Wir kritisieren grundsätzlich die Art und Weise,
wie „Hilfe“ betrieben wird:

• Eine Zwangsräumung hilft niemals irgendwem:
Menschen müssen freiwillig entscheiden dürfen, ob sie bleiben, oder gehen.



• Die Zeltstadt ist ein über Jahre gewachsenes Zuhause und muss daher als
Solches offen zugänglich und intakt bleiben, anstatt abgebaggert zu werden.



• Bei Entscheidungen wie „Es wird aus Kälteschutz geräumt“ wird die Ansicht der
Betroffenen komplett ausser Acht gelassen. Solidarische Hilfe heisst, die
Wünsche von Betroffenen anzuerkennen und ernst zu nehmen.



• In diesem Fall heisst das, dass für viele Bewohner*innen die bereitgestellten
Unterkünfte nicht als Alternative infrage kommen. Es geht den Bewohner*innen
meistens nicht ums Überleben, sondern um ihre eigene Form von Leben. Sie sind
in vielen Fällen sehr resilient und organisieren sich seit jeher selbst. Das zu
begreifen, schafft die Politik (selbst „linke“ Politiker*innen) nicht.



• Weniger als die Hälfte der Bewohner*innen haben darum das Angebot der Stadt,
eine Nacht in einer Traglufthalle zu schlafen, angenommen. Einige der Gründe,
warum Bewohner*innen nicht in Notunterkünften schlafen wollen, sind Folgende:
In vielen Unterkünften dürfen keine Tiere mitgenommen werden. Zusätzlich ist
oft Alkohol- und Drogenkonsum, beziehungsweise das Betreten im berauschten
Zustand, untersagt (Sucht ist eine Krankheit und sollte nicht als „eigene
Schuld“ angesehen werden). Meistens müssen Übernachtende die Unterkunft am
Morgen verlassen. Fast nie können sie mehr als sich und eine Tasche
unterbringen. Die meisten Unterkünfte schliessen am frühen Abend, was es
beispielsweise Sexarbeiter*innen unmöglich macht, nach der Arbeit dort
übernachten zu können.



• Es muss immer eine langfristigere Perspektive mitgedacht werden und nicht nur
Hilfe zugesagt werden für den Zeitraum des kältesten Wetters. Es ist im
Allgemeinen bekannt, dass es im Winter kalt ist. Deshalb erwarten wir
langfristige Pläne und Lösungen in Absprache mit Bewohner*innen. Sinnvolle
Hilfe ist immer ein langer Prozess und darf nicht überstürzt stattfinden.



• Zusammengefasst: Gut gemeint ist nicht gut gemacht. Zwangsräumungen sind kein
Kälteschutz. Und Notunterkünfte sind keine Lebensperspektive.

Wir kritisieren die Durchführung der Räumung:

• In dem Moment, in dem gestern Nacht geräumt
wurde, gab es nur Informationen über eine Übernachtungsmöglichkeit für eine
nächste Nacht. Es ist nicht akzeptabel, Menschen aus ihrem Zuhause zu
vertreiben, ohne ihnen ein neues Zuhause anzubieten, das ihren Vorstellungen
entspricht.



• Die Räumung fand mitten in der Nacht bei Schneefall statt, sodass Menschen um



03:00 früh ohne ihr Hab und Gut im Dunkeln im Schnee standen.



• Diese Räumung war extrem spontan und schlecht organisiert, ohne jedwede
Vorankündigung an die Bewohner*innen. Daher waren nichtmal alle Bewohner*innen
zum Zeitpunkt der Räumung vor Ort.



• Die Kommunikation mit den Bewohner*innen war zu allen Zeiten extrem schlecht:
Nicht nur, dass Menschen erst zum Zeitpunkt der Räumung darüber informiert
werden, dass sie gehen müssen. Auch, dass sie erst die Information bekommen,
dass die Notunterkunft nur für eine Nacht ist. Das Ganze wurde auf Deutsch
kommuniziert, ohne Übersetzung in der Nacht und am Tag darauf, während die
Wenigsten im Camp Deutsch sprechen.



• Das Argument vonseiten der Politik ist: Die Menschen konnten ja all ihre
Eigentümer



gestern Nacht einfach mitnehmen. Wir fragen zurück: Könnt ihr innerhalb von
einer Stunde Alles, was ihr zum Leben und Überleben braucht, in eine kleine
Tasche packen?



• Laut Polizei „wird jetzt mal Ordnung hier gemacht“. Das bestätigt, dass die
Besitztümer und Zuhause der Bewohner*innen als „Müll“ angesehen werden, obwohl
das für die Menschen ein Zuhause bedeutet, dass sie sich sorgsam und mühevoll
aufgebaut haben.



• Politiker*innen argumentierten, dass Bewohner*innen „freiwillig“ gegangen
wären. Wie freiwillig ist es, wenn man geht, wenn das Dableiben keine Option
ist? Es sei auch „ruhig“ vonstattengegangen – bei einer Hundertschaft vor der
Tür, einem kreisenden Helikopter mit Scheinwerferlicht und einen langen, kalten
Tag hinterm Rücken hätten wir auch keine Kraft mehr gehabt, „laut“ zu sein.



• Bewohner*innen wurde eigentlich versprochen, ihr Hab und Gut am Tag darauf
abholen zu können. Dennoch begannen die Bagger am Morgen, die Zuhause der
Menschen abzubaggern. Einige Bewohner*innen standen vor dem von der Polizei
versperrten Eingang und weinten, weil sie sahen, wie ihr Zuhause demoliert
wurde, in denen unter Anderem noch wichtige Dokumente und Besitztümer waren.



• Nur Dank dem Engagement von Anwesenden ist es den Bewohner*innen ab Mittags
möglich gewesen, die Zeltstadt noch einmal zu betreten, um ihre Sachen zu
holen. Das war vorher so nicht mit eingeplant.

Wir kritisieren, dass die Politik sich der
Verantwortung komplett entzieht:

• Politiker*innen zeigten wenig Bereitschaft, mit
Bewohner*innen oder Unterstützer*innen zu reden, um deren Perspektive zu
verstehen. Darüber hinaus herrscht allgemeine Abwesenheit. Wo sind denn
eigentlich die „Linken“? Politiker Kevin Hönecke redet vor allem mit der Presse
und probiert dabei, dem Ganzen einen humanitären Anstrich zu verleihen.



• Mitten am Tag, nachdem die Politik den Bewohner*innen zugesichert hatte, dass
sie noch eine Woche Zeit hätten, weitere Besitztümer abzuholen, fingen die
Bagger plötzlich wieder an, weiter zu baggern. Dafür war dann aber niemand mehr
zuständig: Die Polizei schob alles auf die Eigentümerin – die war aber gar
nicht mehr vor Ort. Die Sicherheitsfirma stimmte dem zu und verwies auch auf
die Eigentümerin. Plottwist: Sobald die Bagger besetzt waren, war die Polizei
auf einmal doch wieder zuständig! Von den Politker*innen ist schon länger
nichts mehr zu sehen.



• Die Politik argumentiert mit dem Kälteschutz, und hebt aber gleichzeitig mit
dem „Kälteschutz“ die Duldung der Bewohner*innen in der Zeltstadt auf. Jetzt,
da es leer steht, sei die Politik aber nicht mehr verantwortlich – und wenn die
Eigentümerin jetzt anfangen will, abzubaggern, kann da leider niemand etwas tun!

… Und nicht zu vergessen:

• Ganz zufällig wurden vor zwei Tagen in
Nachbarhäusern, die Padovicz gehören (in denen seit circa 30 Jahren überhaupt
nichts repariert wurde), alle Türschlösser ausgetauscht. Nicht, dass sich da ein
frierender Obdachloser hinein verirrt?



• Bei der ganzen Aufregung wird ausserdem schnell vergessen, dass auf genau
diesem Gelände spätestens ab nächsten Sommer die „Coral World“, eine ganz
wichtige Touristenattraktion, gebaut werden soll.



• Auf dem Gelände neben dem Camp finden derweil schon Infrastrukturbauarbeiten
statt. Die Baggerkante endet genau neben dem Camp. Die Bagger standen schon
bereit. Wäre es nicht ein total gutes Argument, Menschen wegen „Kälteschutz“
aus ihrem Zuhause zu vertreiben und dann „Ups“ ihr Zuhause zu zerstören, und
dann „Ach, wie praktisch“ einfach direkt anfangen können, zu bauen?

pm