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Fabeln aus Korea – Ein Interview mit Susanna Bummel Vohland

Von Milena Rampoldi, ProMosaik, 15. April 2021. Vor kurzem hat ProMosaik in Zusammenarbeit mit der Dichterin und Übersetzerin Susanna Bummel Vohland eine Sammlung koreanischer Fabeln in deutscher Sprache herausgegeben. Anbei mein Interview mit Susanna zur Bedeutung der Fabeln und zur Bedeutung von Fabelübersetzungen für die Förderung der interkulturellen Dialogs. Fabeln sprechen das an, was wir verdrängen. Fabeln sind Lösungsvorschläge.

Warum sind Märchen und Fabeln so wichtig auch für Erwachsene?

Die Suche (Quest) nach der eigenen Bestimmung und Menschwerdung beginnt mit jeder fordernden Situation neu. Man trägt aber schon bestimmte Tools in oder außerhalb von sich, die man in den Aufbruch mitnimmt, zu dem einen die unerträglich gewordene Situation zwingt. Auf der Reise trifft man Helfer und Betrüger bis zu dem alles entscheidenden Punkt, wo man auf eine Frage die für einen selbst einzig richtige Antwort geben muss: Was tun? Kinder lernen aus Märchen und Fabeln, dass sie dann bestehen können und werden; nicht, weil die Unsicherheiten und Ängste verschwinden, sondern weil man mit ihnen etwas machen kann, selbst aktiv werden. Und jetzt zeige man mir einen Erwachsenen, dessen Leben nicht mit „Was tun?“-Fragen gesäumt ist. Deshalb.

Warum haben Sie sich dazu entschieden, Fabeln aus Korea zu übersetzen?

Eine Teilung ist eine Verwundung. Heilung kann nur durch die Gemeinsamkeiten entstehen. Da diese Fabeln aus unvordenklichen Zeiten kommen, nach unserer Zeitrechnung im Mittelalter gesammelt wurden, und dann erst Anfang des 20. Jahrhunderts überhaupt erst einmal auf Englisch zugänglich wurden, kann die Übersetzung ins Deutsche Anfang des 21. Jahrhunderts die respektvolle Wahrnehmung Koreas im Ganzen fördern. Man kann Menschen in ihrer Einzigartigkeit nicht in Sippenhaft für ihre Regierungen nehmen. Und auch nicht dafür, wo sie geboren wurden. Die Fabeln zeigen eher, dass es immer auch um uns Einzelne geht bei der Frage: „Was tun?“ Es sind durchaus auch hier nicht-geläufige und originelle Antworten in diesen Fabeln gefunden worden. Das macht sie so spannend.

Was ist das Besondere an diese Fabeln?

Sie befeuern unsere Problemlösungsmethoden, da wir aussteigen können aus dem eigenen Problemlösungsmodell hinein endlich in eine transversale Vernunft. Obwohl sie einigermaßen „krachig“, um nicht zu sagen archaisch grausam daherkommen, findet sich doch auch darin eine überraschende Friedensliebe, die nicht nur die Einsicht in den eigenen Beitrag zum Zerwürfnis, sondern auch den Vertragsschluss kennt, nicht als Feind wiederzukommen.

Wie können Fabeln zu einer antirassistischen und multikulturellen Erziehung beitragen?

Sie zeigen sehr gut, wie universell sich Menschen und ihre Probleme darstellen. In der Lage des „Ganz Anderen“ kann ich mich genau gleich befinden – durch alle Jahrhunderte, durch alle geographischen Lagen und durch alle Generationen hindurch. Wie genial pluralistisch dann die Lösungen ausfallen – das ist die phantastische Vielfalt menschlicher, individueller Möglichkeiten. Einheit in der Vielfalt, das „Wunder“, das geschehen kann, wo immer Menschen aufeinandertreffen und sich respektieren, die Brüderlichkeit der doch individuell so vollkommen Verschiedenen im gemeinsamen Bewusstsein der Menschenwürde – nur so kann der multikulturelle Reichtum geschätzt werden und zugleich die vorgeblichen Zwänge von Assimilierung einerseits und Ausgrenzung andererseits gebannt.

Wie wichtig sind Übersetzungen für den interkulturellen Dialog?

Übersetzungen geben einen direkten Einblick in das Denken anderer, das einem mangels Kenntnis der fremden Sprache verschlossen bliebe. Nur sie können verhindern, dass man jedes noch so dumme Vorurteil vom Barbarentum der Anderen glauben muss, weil man es nicht besser weiß. Selbstbild und Fremdbild werden durch den sprachlichen Zugang in Frage gestellt, ja, und oft kommt der große „Aha!“-Moment der Identifikation: auch anderswo ist es wie zuhause. Ich nenne es für mich die universelle Seelensprache, befreit vom Intellektualismus und seinen Urteilszwängen – vor-urteilen, ver-urteilen, be-urteilen – von den immer noch vorhandenen Kolonialvorstellungen und von der Arroganz der Moderne. Ich denke, kein interkultureller Dialog läuft über Rationalisierungen im Nachhinein. Wo sich die intellektuelle Faust in der Tasche ballt, kann man nicht lächeln und sich die Hand geben.

Wie sehr befassen sich Fabeln mit Aspekten unserer Persönlichkeit, die wir manchmal verdrängen?

Je nachdem, wie sehr wir an Perfektionismus leiden, kippt unser Selbstbild zwischen Verdrängung und Überbewertung der eigenen Fehlerhaftigkeit. Den Fabeln ist die Fehlerhaftigkeit von Wesen eingebaut, ohne sie würde der Plot nicht funktionieren, die Geschichte wäre gar nicht spannend. Die Umwege, die erst wieder zum eigentlichen Hauptweg zurückführen, sind mehr als erlaubt und jeder darf sie sich verzeihen. Das Recht auf die eigenen Fehler ist ein Recht jeder Kreatur, sofern man sie nicht auf sich selbst schmeißt und darunter zugrunde geht, sondern auf ihnen wie auf Treppenstufen weiter voran geht und sie wie Treppenstufen im unwegsamen Gelände bejaht. Die Fabeln behalten einen gewissen Sicherheitsabstand dadurch, dass sie an historische Persönlichkeiten und Orte anknüpfen. Dabei könnte man es ja belassen und sie in Reiseführer bannen. Aber sehr sehr schnell wird klar, dass die Problem-Situationen so unvermittelt sind, dass sie unsere eigenen Schatten ansprechen, unsere verdrängten Anteile. Die Gestaltwandler beispielsweise, sagen ja nicht nur über den schnellen Wechsel eines Gemütszustandes innerhalb eines Menschen etwas aus, sondern auch über das Entsetzen und die Furcht des sie Erblickenden, wie schnell man vor auch einem vertrauten Menschen erschrecken kann, wenn man nur etwas tiefer in sein Wesen blickt. Wie gegenwärtig einem die Toten sind und welchen Reichtum man hier, in dieser „staubigen“ Welt verpasst, wenn man sich nicht für alles andere „zwischen Himmel und Erde“ öffnet.