Ein neuer Artikel von Hassan Mohsen über die Gefahren des politischen Lobbyismus
Politikverdrossenheit
der Bürger oder Bürgerverdrossenheit der Politik?
von
Hassan Mohsen
Nicht
nur Kirchen, auch Parteien müssen derzeit sinkende Mitgliederzahlen in Kauf
nehmen. Was tun? Demokratie lebt vom Mitmachen ihrer Bürger. Was ist aber, wenn
diese nicht mehr mitmachen dürfen? Was, wenn selbst die Macht ohnmächtig wird
und die Wirtschaft die Richtung vorgibt?
Immer
mehr Bürger bezeichnen sich deshalb selbst als ‘politikverdrossen’. Es gibt nur
eine Lösung für die steigende Politikverdrossenheit der Bürger: Die Politik
muss ihre Bürgerverdrossenheit aufgeben. Politik soll die Interessen der Bürger
und nicht der Wirtschaftslobbys vertreten. Deswegen ist es an der Zeit, dass
die Politik die Politik übernimmt.
Ich
gebe zu es ist leicht den Lobbyismus zu verdammen, dabei ist der Lobbyismus an
sich nichts Schlechtes. Lobbyismus ist nichts weiter als das vortragen von
Interessen. Sogar die großen Islamverbände (z.B. DITIB, IGMG, VIKZ, ZMD etc.)
sind nichts weiter als Lobbys für Muslime. Im Bundestag gehen Tag ein Tag aus
hunderte Lobbyisten rein und raus. Es ist völlig legitim wenn Interessengruppen
ihre Anliegen zu Gehör bringen und ihre Wünsche und Bedenken in die politische
Entscheidungsfindung einbringen. Auch Meinungs- und Koalitionsfreiheit sind
zentrale demokratische Grundrechte. Eine Lobby kann sich auch ‘freiwillig’ in
die sog. Lobbyliste des Bundestages eintragen lassen.
Allerdings
bringt der Lobbyismus in seiner jetzigen Ausprägung unsere Demokratie in
Bedrängnis. Denn Lobbyisten nehmen immer stärkeren Einfluss auf Medien und
Politik. Über 5.000 Lobbyisten arbeiten in Berlin (in Brüssel ca. 20.000). Ihr
Ziel: gezielte Einflussnahme auf politische Entscheidungen.
Zu
diesen Lobbyisten gehören sowohl Lobbyisten aus dem Bereich von Kultur,
Religion, Wissenschaft oder Wirtschaft. Da ein Politiker nicht die Zeit hat mit
jedem Bürger seines Landes zu sprechen, was verständlich ist, kommt er auf die
Interessenvertreter (Lobby) zu. Oder eine Lobby sucht den Politiker auf. Die
Aufgabe des Politikers besteht nun einmal darin die verschiedenen Interessen
der Gesellschaft abzuwägen und gerecht zu entscheiden, welche Interessen er für
vorrangig hält. Natürlich sind die Lobbys der Wirtschaft besser begütert als
die anderen Lobbys (z.B. Kultur oder Wissenschaft). Schwächer repräsentierte
Lobbys geraten so leicht in Bedrängnis.
Da
die meisten Politiker in der Vergangenheit und in der Gegenwart immer zugunsten
der wirtschaftlich stärkeren Lobbys der Wirtschaft entschieden, in dem sie die
Interessen der Wirtschaft mehr Aufmerksamkeit zusprachen, empfinden immer mehr
Menschen eine Abneigung gegenüber der Politik. Dabei ist an der Politik nichts
Verwerfliches. Verwerflich ist vielmehr die einseitige Aufmerksamkeit auf die
Wirtschaftsinteressen von Seiten der Politiker.
Selbstverständlich
hat auch die Wirtschaft ein Recht darauf ihre Interessen vorzutragen. Aber es
sind immer mehr Skandale in die Öffentlichkeit gelangt, in denen sich Politiker
von Lobbyisten kaufen ließen. Oder in denen Politiker von Wirtschaftslobbyisten
verfasste Gesetzesentwürfe ins Parlament brachten. Und leider kleiden sich immer
mehr Wirtschaftslobbyisten mit einer Tarnung und treten nicht direkt als
Wirtschaftsvertreter auf. Selbst Politiker wissen meist nicht, mit wem sie es
im Lobbygespräch eigentlich zu tun haben, und wer hinter einem Lobbyauftrag
steht. Deswegen muss mehr Transparenz in dieser Hinsicht her.
Eigentlich
müssten die meisten Menschen demnach ‘lobbyverdrossen’ sein, aber dem ist nicht
so. Die meisten sind politik- oder politikerverdrossen. Zu Recht. Denn es ist
Aufgabe des Politikers sich zu informieren, mit wem er es zu tun hat. Es ist
Aufgabe des Politikers nach Gerechtigkeit zu suchen, statt nur auf einseitige,
machtgierig Interessenvertretungen zu hören. Selbstverständlich müssen wir
unser System auch mal hinterfragen, wenn etwas schief läuft. Eine indianische
Weisheit besagt: “Wenn du merkst, dass dein Pferd tot ist, dann steig ab.“
Aber
ein System kann nicht einfach gelöscht und neu installiert werden. Dazu müssen
sich die Akteure des Systems schon selbst ändern. Im Fall der
Politikverdrossenheit ist es die Aufgabe der Politiker ihre Methoden zu
revidieren. Politiker müssen vom toten Pferd der Wirtschaftslobbys absteigen
und ihren Gerechtigkeitssinn schärfen. Nicht nur reiche Lobbys haben ein Recht
darauf gehört zu werden, auch wenig begütete Interessengruppen haben ein Recht
auf Aufmerksamkeit.
Denn
die Machtungleichgewichte zwischen verschiedenen Interessengruppen
auszubalancieren ist Aufgabe der Politik. ‘Jeder’ Politiker muss die
Verantwortung übernehmen und Protokoll darüber führen, wer mit ihm über welches
Thema gesprochen hat. Und wer ihm wie viel Geld wofür gegeben hat. Jeder Bürger
hat ein Recht darauf zu wissen, wer in wessen Interesse und mit wie viel Geld
Einfluss auf (einen von ihm gewählten) Politiker zu nehmen sucht. Nur so lassen
sich Lobbys und Politiker kontrollieren. Nur durch Ehrlichkeit und Transparenz
erlangen Politiker ihren Ruf als Vertreter der Bürger wieder.