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Kobane: Gewalt, Menschenrechtsverletzungen, ISIS – stoßen hier auch die Pazifisten an ihre Grenzen?

Liebe Leserinnen und Leser,

anbei eines der schwierigsten und umstrittensten Themen der derzeitigen deutschen Außenpolitik.

Für einen Pazifisten sind Waffenlieferungen immer ausgeschlossen, da Waffenlieferungen die Gewalt nur noch eskalieren lassen und da wir auch nie wissen, ob die Waffen auch wirklich in die richtigen Hände gelangen.

Waffen kann man auch nicht mehr zurückholen…

Und vor allem: Waffen töten Zivilisten.

Anbei ein Statement von Frau Nicole Kumfert der Die Linke Leverkusen, der wir sehr dankbar für ihre mutigen und überdachten Worte zum Thema sind.

Wir freuen uns auf die Kommentare unserer Leserinnen und Leser.

dankend

Dr. phil. Milena Rampoldi

Redaktion von ProMosaik e.V.


Kobane – Eine Frage der (Menschen-)Würde
Als ich vor einigen
Wochen von ProMosaik gefragt wurde, ob ich einen Artikel zum Thema Kobane
schreiben könnte, habe ich sofort und spontan “JA” gesagt.
Es ist doch eindeutig,
was wir machen müssen, um den Menschen in Kobane zu helfen.
Hatte ich zumindest
gedacht.
Aber was genau ist
eindeutig?
Fakt ist: Die
Terroristen des sogenannten Islamischen Staates verstoßen gegen Menschenrechte
und allem voran gegen die Würde der Menschen.
Damit meine ich nicht
ausschließlich jene Opfer, die der IS bislang gefordert, indem er sie
regelrecht abgeschlachtet hat – anders kann ich unter anderem auch die
Enthauptungen der westlichen Journalisten nicht bezeichnen.
Eine davon habe ich
leider im Internet gesehen, bevor die Seite und somit auch das Video gesperrt
war – es ist unvorstellbar, auf welch unglaublich menschenverachtende Art und
Weise ein Mensch, der seinem Beruf nachgehen wollte, als Druckmittel gegen die
westliche Welt und deren Ideologie hingerichtet wurde.
Allem Anschein nach von
einem Menschen, der Großbritannien gefrustet verlassen hat, um sich dem IS
anzuschließen und dabei offensichtlich seine Erfüllung zu finden.
Schräg genug.
Nicht nur in der
Grenzstadt Kobane, sondern auch im östlichen Syrien und in großen Teilen Nordwestiraks
hat sich der IS barbarisch Territorium erkämpft und das Kalifat ausgerufen –
einen eigenen Staat ohne jedwede völkerrechtliche Anerkennung auf Grundlage
einer fragwürdigen Auslegung des Islams.
Ich sprach eben davon,
dass nicht allein die Menschen, die durch den IS gefoltert und ermordet wurden,
als Opfer der Menschenrechtsverstöße und -verletzungen zu bezeichnen sind.

Ist es nicht
insbesondere auch Aufgabe aller Menschen in den westlichen Staaten, aus denen
teilweise sogar Minderjährige ausreisen, um Teil des Dschihad zu sein, der in
Propagandavideos des IS nahezu als großer Spaß beworben wird und den
Jugendlichen und jungen Erwachsenen insbesondere Zusammenhalt und Perspektive
vorgaukelt, Ausgrenzung, Ausweg-, Arbeits- und Perspektivlosigkeit mit
entsprechenden Maßnahmen entschieden entgegenzuwirken?
Brauchen die
Jugendlichen und jungen Erwachsenen nicht mehr Unterstützung, um insbesondere
auch zu erkennen, dass sie in ihren Heimatstaaten eine Zukunft haben, die nicht
von Leid – und sei es seelischem – geprägt ist?
Ich sage ja, das
brauchen sie – und genau deshalb sind diese jungen Menschen, die zum Islam
konvertieren, alles hinter sich lassen, nur um eine Perspektive zu haben,
genauso Opfer des IS.
Hat man den IS jahrelang
seit 2003 agieren lassen, ihn bestenfalls toleriert und vermutlich gar als mehr
oder minder ungefährlich eingestuft, so entfachte schlussendlich Mitte diesen
Jahres eine Diskussion über diese Terrororganisation, nachdem sie begann, sich
ihren Weg blutig freizukämpfen – spätestens die IS-Offensive in Mossul Anfang
Juni 2014 lehrte den Westen die Gefährlichkeit des IS.
Nun scheint guter Rat
teuer: Soll man den IS gewähren lassen, den Menschenrechtsverbrechen einfach so
aus der Ferne zuschauen, das Leid und Elend der Menschen ohne Regung über uns
ergehen lassen?
Können wir einerseits
Völkerrechtsverbrechen dulden, andererseits entschieden die Annexion der Krim
verurteilen?
Ist eine Gruppe Menschen
schützenswerter als eine andere?
Die gefährliche
Ausbreitung des IS stellt uns vor viele Fragen – ideologische, moralische,
sicherheits- und verteidigungs- sowie außenpolitische Fragen, militärische und
nicht zuletzt auch ethische Fragen.
Es mag Gründe für das
Verhalten des türkischen Regierungschefs Erdogan geben, erst spät die Grenzen für
Unterstützer der Kurden in Kobane zu öffnen.
Natürlich stellt sich
die Frage, ob eine frühere Grenzöffnung Kobane geholfen hätte – die Frage ist
nicht eindeutig zu beantworten. Eine Grenzöffnung kann nie zuverlässig
ausschließen, dass nicht auch weitere Befürworter der IS in das umkämpfte
Gebiet gelangen.
Was unerlässlich ist,
ist humanitäre Hilfe für die Menschen, die aus den IS-besetzten Gebieten
fliehen mussten und müssen.
Wir alle sind dazu
aufgerufen, diesen Menschen im Rahmen unserer Möglichkeiten zu helfen. Die
Türkei kann zusätzliche Fluchtkorridore errichten, in denen es Flüchtlingslager
mit medizinischer Versorgung geben sollte.
Waffenlieferungen an die
Kurden können und dürfen nicht die einzige Antwort deutscher Politikerinnen und
Politiker auf die Frage sein, wie wir den IS stoppen können.
Die Unmengen an Waffen und Munition, die die
Bundesrepublik in das Krisengebiet schickt, sind tickende Zeitbomben.
 
Quelle: Spiegel.de
Zum einen ist fraglich,
ob die Menschen vor Ort mit all den, teils auch komplexen Waffensystemen
umgehen können, wenn Bundeswehrsoldaten daran wochenlang geschult werden
(müssen). Zum anderen muss damit gerechnet werden, dass das Arsenal früher oder
später in die falschen Hände gerät. Meines Erachtens reichen strategische
Luftangriffe nicht aus, um den IS wirklich empfindlich zu treffen.
Auch wenn das kaum
jemand hören möchte: Nur eine Bodenoffensive mit entsprechendem Personal- und
Materialaufwand kann den IS zerschlagen.
Grundsätzlich ist ein
militärischer Eingriff von außen in Staatsgefüge, die vielleicht nicht der
westlichen Vorstellung entsprechen, kritisch zu sehen – so beispielsweise ist
auch der Afghanistan-Einsatz spätestens bei heutigem Kenntnisstand kritisch zu
hinterfragen.
Da es sich bei dem
Vormarsch der IS allerdings um den Versuch eines Genozid handelt, der mit allen
Mitteln zu unterbinden ist, müssen auch andere Mittel der Gegenwehr eingesetzt
werden.
Gewalt und Waffeneinsatz sind keine Lösung –
Zusehen allerdings auch nicht.