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Vermittlung der Dialogfähigkeit mit anderen Kulturen innerhalb und außerhalb des Islam als Aspekt der interkulturellen Korandidaktik


Ich bin der Überzeugung,
dass die interkulturelle Korandidaktik im deutschen Sprachraum wesentlich auf
die Dialogfähigkeit fokussieren soll, um die muslimischen Kinder und
Jugendlichen zu dialogfähigen, muslimischen Weltbürgerinnen und Weltbürgern zu
erziehen.
Meiner Ansicht nach kann
man die Dialogfähigkeit im Allgemeinen als die Fähigkeit definieren, auf andere
zuzugehen, sie als Partner wahrzunehmen, sie ernst zu nehmen, eine Beziehung zu
ihnen herzustellen, Lösungen miteinander auszuhandeln, konstruktiv Probleme
anzugehen und in der Lage zu sein, diese zu lösen.
Somit gilt die
Dialogfähigkeit vor allem im interkulturellen und interreligiösen Bereich als
grundlegend für das Zusammenleben.
Diese Dialogfähigkeit
sollte daher im Koranunterricht ab der Grundschule als vorrangiges Lernziel
gelten. Die Dialogfähigkeit mit den anderen Kulturen ist vor allem für die
muslimischen Kinder wichtig, die in einer nicht-muslimischen Umgebung
aufwachsen, wie zum Beispiel in einem westlichen Land. Es ist ausschlaggebend,
dass die Kinder genug vom Islam lernen und ausreichende Informationen über ihre
Religion besitzen, um auch darüber sprechen zu können.
Selbstverständlich sollten
dieses Sprechen und dieses Erzählen über den Islam altersgerecht und im
Einklang mit der kognitiven und emotionalen Entwicklung des einzelnen Kindes
erfolgen.
Im Alltag der Musliminnen
und Muslime kommt es nämlich sehr oft vor, gefragt zu werden, warum man etwas
denkt oder aus welchem Grunde man auf eine gewisse Art und Weise handelt und
lebt. Es kann auch im schulischen Alltag vorkommen, dass die muslimischen
Kinder in einer multikulturellen Schulklasse dazu beitragen können, Inhalte
vorzustellen, die den Islam und ihre Kultur und die geografischen, historischen
und sozialen Bedingungen ihrer Herkunftsländer betreffen.
In diesem Zusammenhang muss
sich vor allem das Gastland darauf einstellen, die Anwesenheit der muslimischen
Kinder als Bereicherung und nicht als Hemmschuh anzusehen. Um dies zu
erreichen, kann man gleichzeitig auch viel tun, um tief verankerte Vorurteile
gegenüber dem Islam zu überbrücken.
Für die muslimischen Kinder
ist die Erziehung zum Dialog andererseits auch für sich selbst wichtig, da der
Dialog im positiven Sinne dazu beiträgt, Belastungen und frustrierende
Erfahrungen im Kontakt mit ihren andersgläubigen Kameraden zu verhindern. Abdoldjavad
Falaturi spricht in Guide to the
Presentation of Islam in School Textbooks,
S. 184, in diesem Zusammenhang
von einem unbelasteten Dialog als Garant des gerade heutige so notwendigen
Weltfriedens:
Dialog aus Neugier,
Dialog aus Noch-mehr-wissen-Wollen kann nur bei unbelasteten Beziehungen
stattfinden; ein fruchtbarer verheißungsvoller, zukunftsweisender Dialog; ein
Garant, ein idealer Garant für den Weltfrieden
“.
Was aber auch für ein Kind
als bedeutend erscheint, ist die Beständigkeit der eigenen Kultur und Umgebung.
Dass die muslimischen Kinder aus Ländern stammen, in denen es Kultur und
Traditionen gibt, die erzieherisch auf die Menschen wirken, dessen müssen sich
die Kinder als erste bewusst sein, vor allem, weil sie sich als Migrantenkinder
räumlich neu orientieren und auf zahlreiche Hindernisse stoßen, die sie nur
überbrücken können, wenn sie eine starke Identität und viel Selbstbewusstsein
besitzen.
Und während sie dieses
Bewusstsein für die eigene länderspezifische muslimische Kultur aufbauen, sehen
sie auch die Unterschiede zu den anderen muslimischen Ländern, aus denen ihre
Mitschüler und Mitschülerinnen im Koranunterricht stammen. Das ist ein sehr
guter Ansatz, um an den Unterschieden schon innerhalb des Islam zu arbeiten,
bevor man auf die Kultur des Gastlandes und der anderen nicht-muslimischen
Länder der Welt sieht.
Dieser Dialog ist
unentbehrlich, damit sich keine Parallelgesellschaften im Gastland bilden, die
neben der sogenannten deutschen Leitkultur entstehen und mit dieser nicht mehr
kommunizieren wollen. Anstatt dessen kann durch Dialog eine gemeinsame
Anerkennung allgemeiner menschlicher Werte entstehen, die eine wahre,
multikulturelle Gesellschaft am Leben erhält, weil jeder Mensch darin in seiner
Würde anerkannt und wahrgenommen wird.
In einem darauffolgenden
Schritt kommt das Bewusstsein des Gastlandes, dass es sich bei den muslimischen
Kindern nicht um kulturlose Menschen handelt, die vom Westen erst zivilisiert
werden müssen, sondern um Kinder, die ihre eigene Kultur mitnehmen und sich mit
ihr auch außerhalb ihres Herkunftslandes auseinandersetzen, wenn auch in einem
oft komplexen Prozess der räumlichen Neuorientierung im Westen.
Dialog kann erst entstehen
und fruchtbar sein, wenn die DialogpartnerInnen sich auch des Wertes der
eigenen Kultur und Religion bewusst sind. Mit einem Anderen über die eigene
Religion zu sprechen, bedeutet dialogfähig zu sein, ohne unbegründete Angst
davor haben zu müssen, die eigene religiöse Welt aufzugeben.
Auf beiden Seiten gibt es
noch große Hürden, die es zu überwinden gilt, um den wahren Dialog zu fördern.
Vor allem soll auf beiden Seiten die Vorstellung überwunden werden, Dialog mit
Missionierung gleichzusetzen. Die Koranschule ist jedoch alleine nicht dazu
fähig, eine solch große Arbeit zu bewältigen, die beim Koranlehrer/der
Koranlehrerin selbst anfangen sollte. Meiner Meinung nach gilt es als
wesentlich, dass die Lehrpersonen den Weg zum Dialog selbst beschreiten, bevor
sie ihn ihren Schülern und Schülerinnen aufzeigen.
Wenn die muslimische
Familie und Gemeinde diese Erziehung zum interreligiösen Dialog und zur
interreligiösen, sachlich und historisch fundierten Bildung nicht unterstützen,
sind aber die hier dargelegten Bemühungen von Anfang an zum Scheitern
verurteilt.
Dr. phil. Milena Rampoldi
Redaktion von ProMosaik e.V.