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Die Frau in der Islamischen Gesellschaft und Politik

Liebe Leserinnen und Leser,

möchte mich bei der Redaktion von Islamiq für die Veröffentlichung dieses Artikels bedanken und freue mich sehr auf Ihre Kommentare.

 http://www.islamiq.de/2015/07/27/die-frau-in-der-islamischen-gesellschaft-und-politik/

dankend

Dr. phil. Milena Rampoldi von ProMosaik e.V.

Die Frau in der islamischen Gesellschaft und Politik stellt für mich
in unserer schwierigen Zeit, die einerseits durch steigende
Islamfeindlichkeit im Westen und andererseits durch die vorherrschende
Rechtfertigung von Gewalt und Unterdrückung im Namen eines kriegerischen
und frauenfeindlichen „Islam“, eines der bedeutendsten Themen dar, um
die Entwicklung des islamischen Denkens zu fördern und zu entwickeln.

Daher sollte man sich auch immer mehr mit den Themen und Methoden des
islamischen Feminismus auseinandersetzen, der für mich eine Bemühung
beider Geschlechter sein muss, wie es schon Zaynab al-Ghazali formuliert
hatte. Innerhalb der vielfältigen und vielschichtigen Frauenrechte
finde ich die sozio-politischen Rechte in der heutigen postmodernen Zeit
in der muslimischen Debatte die bedeutendsten, weil es darum geht, die
Frau wieder als sozio-politisch agierende Kraft in die sichtbare
Dimension der Gesellschaft zu bringen, wie es zu Beginn des Islam der
Fall war und von der sie dann Schritt für Schritt verdrängt wurde.

Diese These führte mich direkt zum ersten methodologischen Ansatz im
historischen Bereich, wie ich ihn zum Beispiel in feministischen
Autorinnen wie der marokkanischen Soziologie Fatima Mernissi, der
osmanischen Prinzessin Kadriye Hüseyn oder der türkischen Historikerin
und Islamwissenschaftlerin Bahriye Üçok klar wiederfinden konnte. In
diesen Texten finden sich äußerst interessante Rekonstruktionen von
Biografien muslimischer Herrscherinnen in verschiedenen muslimischen
Kulturen und Regionen der Geschichte. Diese Frauen heute erneut zum
Leben zu erwecken und an ihr politisches Leben und an ihren Kampf auf
der Bühne der Macht zu erwähnen, finde ich sehr wichtig, um das
sozio-politische Leben der Frau in der muslimischen Geschichte zu
betonen und aufzuzeigen, wie wichtig der Beitrag der Frau an der
Gestaltung der islamischen Gesellschaft heute sein soll.

Aber diesen historisch-politologischen Ansatz vollkommen von der
Männerwelt zu isolieren und ihn nicht in einen islamischen Feminismus im
weitesten Sinne zu integrieren, ist ein großer Fehler dieser
Autorinnen, auf den ich in meinen Arbeiten über den islamischen
Feminismus und seine dialogische Notwendigkeit aufmerksam mache. Der
Dialog mit den Männern lässt sich aber, bis auf wenige Ausnahmen, wie
z.B. dem ägyptischen Schriftsteller Mahmud Badawi, der das Leben der
muslimischen Herrscherin Shejer ud-Durr in den dreißiger Jahren des 20.
Jahrhunderts in einer Tragödie verarbeitet hat, nicht auf dieser Ebene
führen, da die männlichen Forscher sich eher auf einer theoretischen und
Quellen-orientierten Ebene mit dem Thema der sozio-politischen Rechte
der Frau im Islam auseinandersetzen. Sie beschäftigen sich mit
Koranexegese und mit dem Studium der Hadith und stoßen so auf
traditionelle Rechtfertigungen, um die Frau aus der sozio-politischen
Arbeit zu verdrängen. Eine wichtige Ausnahme ist in diesem Bereich aber
der Muslimbruder Abdulhalim Abu Shaqqa (1994-1996) mit seinem
bahnbrechenden Werk in sechs Bänden mit dem Titel „Die Befreiung der
Frau zum Zeitalter der Offenbarung“.

Aufgrund der Aktualität der ägyptischen Muslimbruderschaft in den
letzten Jahren und vor allem infolge der brutalen Unterdrückung der
Bewegung nach dem Putsch und im Regime von Abdulfattah al-Sisi im
heutigen Ägypten finde ich die Überlegungen von Abu Shaqqa innovativ und
wichtig, um die Einbeziehung der Frau in Gesellschaft und Politik neu
zu erläutern und auf die Zeit des Propheten (sas) zurückzublicken, um
der Frau heute neue bzw. vergessene Wege hin zum sozio-politischen
Handeln im Sinne des Islams zu zeigen.

Methodische Ansätze

Zu Beginn des Islams nahm die muslimische Frau in allen Bereichen am
politischen und gesellschaftlichen Leben der Umma teil. Trotz und gerade
aufgrund der geschlechtlichen Unterschiede und Besonderheiten prägte
sie sehr stark die Entwicklung der neuen muslimischen Gemeinde. Die
Partizipation der Frau wurde dann in den darauffolgenden Jahrhunderten
verdrängt und unterdrückt. Die Frau wurde in die Segregation getrieben
und verschwand Schritt für Schritt aus Gesellschaft und Politik. Wenn
wir aber, wie Abu Shaqqa es tut, auf Sunna und Sira zurückgreifen,
entdecken wir diese Dimension der Teilnahme der Frau am
gesellschaftlichen und politischen Leben für uns heute ganz neu. Wie
Zaynab al-Ghazali so schön sagte, verfehlen wir das Ziel, wenn wir nicht
einsehen, dass die Frau die Schwester des Mannes ist und somit in die
Gesellschaft und in die Politik gehört, weil sie eine treibende Kraft
der islamischen Gesellschaft ist.

Politik und soziopolitisches Handeln bedeuten für mich heute
Islampädagogik, Erziehung zum soziopolitischen Bewusstsein und Erziehung
zum soziopolitischen Engagement nicht als Recht der Frau, sondern als
ihre Pflicht zwecks dynamischer und produktiver Mitgestaltung der
muslimischen Gesellschaften. Abu Shaqqa ist das Paradebeispiel eines
muslimischen Traditionalisten, der den wahren Kern des Islam als
Bewegung der Befreiung der Frau erfasst und darauf fokussiert, den Islam
genauso zu leben, wie er ist, nämlich frauenfreundlich. Daher schreibt
der bedeutende ägyptische Islamtheologe Muhammad al-Ghazali al-Saqqa
(1917-1996) in der Einführung zum Buch von Abu Shaqqa:

„Dieses Buch führt die Muslime zurück zur richtigen Sunna ihres Propheten, ohne etwas hinzuzufügen und ohne etwas wegzunehmen“.

Gerade mit Hilfe von Texten wie denen von Abu Shaqqa wird es den
muslimischen Gesellschaften heute gelingen, eine holistische und
egalitäre Hermeneutik aufzubauen, die sich von hierarchischen,
monistischen und sexistischen Standpunkten entfernt.

Es stimmt, dass der Weg dorthin steil und voller Hindernisse ist,
aber mit einer solchen Hermeneutik kann dann der Sklaverei,
Unterdrückung, Genitalverstümmelung und körperlichen und seelischen
Gewalt gegen Frauen der endgültige Kampf angesagt werden. Nur so
versöhnt sich der Islam mit sich selbst. Denn was wäre ein rein
männlicher Islam ohne den Beitrag der Frau? Was wäre die Umma ohne die
Teilnahme und den Beitrag der Frau in allen Bereichen?

In allen meinen Werken über den islamischen Feminismus geht es mir um
die Vielfalt der Ansätze, die sich so harmonisch miteinander in ein
holistisches Modell zusammenfassen lassen. Vor allem sehe ich in diesem
Zusammenhang drei methodische Linien:

1) Den historisch-biographischen Ansatz, wie ich ihn anhand des
Werkes von Bahriye Üçok (1919-1990) und in der Tragödie von Mahmud
Badawy (1908-1986) aufgezeigt habe: hier geht man der
biographisch-historischen Rekonstruktion des Werdeganges und Schicksals
herrschender Frauen in der islamischen Geschichte nach und identifiziert
ihre Eigenschaften und das innovative Potential für die politische
Arbeit der Frau im Islam heute; dieser Ansatz findet sich im Besonderen
bei Prinzessin Kadriye Hüseyn (1888-1955) und der marokkanischen
Soziologin und Feministin Fatima Mernissi (*1940) in ihrem bekannten
Buch Les Sultanes oubliées.

2) Den komparatistisch-hermeneutischen Diskurs, wie ich ihn anhand
des Essays von Prof. Abdulhamid al-Ansari vorgestellt habe, der
analytisch erläutert, wie es zu den verschiedenen Standpunkten zum Thema
der politischen Rechte der Frau im Islam gekommen ist und warum. Das
ist ein Ansatz hin zu einer Versöhnung und Akzeptanz der verschiedenen
Sichtweisen innerhalb der muslimischen Gemeinde, ein Ansatz, der uns im
intra-islamischen Dialog sehr weit führen kann, weil wir auch die Männer
in den islamischen Feminismus einbeziehen. Was al-Ansari besonders
auszeichnet, ist, dass er nicht verurteilt, sondern erläutert und
kommentiert. Eine interessante hermeneutische Studie über die weibliche
Lektüre des Korans stammt von der afroamerikanischen Konvertitin und
Feministin Amina Wadud (*1952), die in ihrem genialen Buch einige Tore
hin zur Versöhnung und Gleichberechtigung der Geschlechter öffnet.
Dasselbe kann man vom ägyptisch-kanadischen Islamexperten Jamal Badawi
sagen, der auch hermeneutisch arbeitet und damit die Gleichberechtigung
der Geschlechter im Islam beweist.

3) Den Sira-orientierten Ansatz von Abu Shaqqa, der das Leben des
Propheten (s) innerhalb der Islamwissenschaften erneut aufwertet und auf
diese Weise aufzeigt, wie revolutionär und Frauen-befreiend der Islam
in seinem ursprünglichen Kern und in seiner Epoche war.

Die „Un“-Rechte der Frau, die ich als Ausdruck der sogenannten
„horizontalen Segregation“ der Frau bezeichne, sind Erfindungen der
Muslime und sind in ihren Köpfen so verankert, dass es Texte wie die von
Abu Shaqqa heute braucht: er hält den Muslimen Koran und Sunna vor, um
ihnen zu zeigen, wie frauenfreundlich der Islam ist. Es erübrigt sich
somit die Frage, ob Frauen Rechte in der islamischen Politik und
Gesellschaft haben. Denn der Islam sprach sie ihnen von Anfang an zu.
Die ersten Muslime lebten diese Rechte in ihrem Alltagsleben. Und diese
Rechte müssen auch heute der Frau zuerkannt werden: der Weg, der dorthin
führt, geht für Abu Shaqqa über Pädagogik und Bewusstseinsbildung, die
Pfeiler der islamischen Politik und Ethik.