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Die Nakba geht weiter: Israel plant den Bau einer neuen drusischen Stadt auf den Ländereien vertriebener Palästinenser


Von Jonathan Cook, WRMEA, März/April 2016, S. 11-13.
Die Moschee ist das Einzige, was noch vom zerstörten palästinensischen
Dorf von Hittin übrig bleibt. (BILD von J. COOK)
Ein israelischer Regierungsplan für
den Bau von Hunderten von Wohnungen für die ländliche drusische Bevölkerung
stößt auf großen Widerstand, nachdem bekannt wurde, dass die neue Gemeinschaft
auf den Ländereien palästinensischer Flüchtlinge erbaut werden soll.
Die Stadt, die im Westen des
Galiläasees im Norden Israels erbaut werden soll, wäre seit der Staatsgründung
vor 68 Jahren die erste Gemeinschaft für diese palästinensische Minderheit in
Israel.
Die 1,6 Millionen palästinensischen
Bürger machen 1/5 der Bevölkerung aus.
Die Führer der palästinensischen
Minderheit reagierten empört darauf, dass die Behörden einen Standort
ausgewählt hatten, auf dem sich bis zu ihrer vollständigen Zerstörung während
des 1948-Krieges, mit dem der Staat Israel gegründet wurde, zwei
palästinensische Dörfer befunden hatten.
Die Dokumente aus dem Archiv zeigen,
dass das israelische Militär 500 palästinensische Dörfer nach dem Krieg dem
Erdboden gleichmachte, um zu gewährleisten, dass die Bewohner nicht mehr
zurückkehren konnten.
„Der Beschluss, eine drusische Stadt
auf dem Land dieser zerstörten Dörfer zu bauen, schürt einen Konflikt in den
Beziehungen zwischen den Drusen und anderen Mitgliedern der palästinensischen
Minderheit“, so Samer Swaid, ein drusischer politischer Aktivist. „Mit all dem
bezweckt Israel nur, die Politik Teile-und-Herrsche gegen uns zu
intensivieren.“
Die Auswahl des Standortes ist
besonders sensibel, weil eines der zerstörten Dörfer, Hittin, für die
palästinensischen Muslime eine große historische und symbolische Bedeutung
aufweist.
Das Dorf wurde auf Saladins Befehl
hin erbaut, um seines Sieges in einem berühmten Kampf gegen die Kreuzritter
1187 zu gedenken. Die Niederlage der Kreuzritter an den Hörnern von Hittim
führte zu ihrem Auszug aus dem Heiligen Land.
Nach 1948 machte Israel das gesamte
Hittin, bis auf die alte Moschee, dem Erdboden gleich.
Sheikh Muwaffik Tarif, der geistige
Führer der israelischen Drusen, war „erstaunt“ über den Plan, teilte sein enges
Umfeld der israelischen Tageszeitung Haaretz mit.
Ein ehemaliger drusischer Minister
der israelischen Regierung, Salah Tarif, widersetzte sich auch dem Plan und
teilte der Tageszeitung mit, wie „realitätsfremd“ dieser wäre. Er fügte auch
hinzu, dass dieser „ein Wundpflaster wäre, um das wahre Problem zu verbergen,
und zwar das des aktuellen Zustandes der (drusischen) Städte.“
Der israelische Premierminister Benjamin
Netanyahu kündigte den Plan für die Stadt im Januar als Teil einer
„ausgedehnten“ Tätigkeit zwecks Förderung der drusischen Bevölkerung an. Die
Stadt würde „den Abbau der (wirtschaftlichen) Unterschiede zwischen den
drusischen und anderen Städten in Israel fördern“, teilte sein Kabinett mit.
Ungefähr 400 Häuser sollen in der
ersten Bauphase entstehen. Am Ende soll die Stadt aber 2.500 Wohnungen
umfassen.
In Israel leben 115.000 drusische
Bürger innerhalb der anerkannten Grenzen. Weitere 25.000 von ihnen leben in den
Golanhöhen, der syrischen Region, die Israel 1967 besetzte und dann unter
Missachtung des Völkerrechtes annektierte.
Die Drusen sind eine geheimnisvolle
religiöse Sekte und Ableger des Islam. Die Sekte entstand im 11. Jahrhundert in
Ägypten. Heute befinden sich die meisten drusischen Gemeinden in den
Bergregionen des Libanons, Syriens und des aktuellen Nordisraels.
Im Unterschied zu den anderen
palästinensischen Bürgern und den Golan-Drusen muss die drusische Gemeinde in
Israel einen Militärdienst von drei Jahren im israelischen Militär leisten.
Im Gegenzug erhielten die Drusen den
Status einer getrennten nationalen Gruppe in Israel. Israel kategorisiert die
anderen palästinensischen Bürger einfach als „Araber“.
Dadurch steht den Drusen das Anrecht
auf ein getrenntes Schulsystem mit eigenem Curriculum zu. Die traditionellen
Hauptvorteile des Militärdienstes bestehen für die Drusen darin, dass sie den
Zugang zu Jobs in der Sicherheitsbranche, inklusive der Polizei und
Gefängniswärter, haben.
Aber Kritiker, auch aus drusischen
Kreisen, sagen, dass die Gemeinschaft dieselbe oder eine noch schlimmere
Diskriminierung hinsichtlich der Landverteilungen und der Budgets erfahren hat
als die anderen palästinensischen Bürger.
„Die Drusen haben als Gemeinschaft
vom Entwurf nicht profitiert“, so Hana Swaid, ehemaliger, israelischer
Parlamentarier und nun Leiter des Arabischen Zentrums für Alternative Planung (Arab
Center for Alternative Planning
). „Im Gegenteil: deren Loyalität und
Respekt gegenüber der israelischen Führung wurden zu deren Ungunsten genutzt.“
Swaid zufolge geht aus der Recherche
seines Zentrums hervor, dass drei Viertel des drusischen Landes konfiszierte
wurde und viele der 14 Städte und Dörfer in Israel keine Bebauungspläne hatten
und somit neue Entwicklungen unmöglich waren.
„Viele drusische Familien erhalten
keine Baugenehmigungen für ihre Häuser. Dies bedeutet, dass sie einfach
abgerissen und nicht legal an die grundlegenden Versorgungsdienste wie Wasser
und Strom angebunden werden können,“ meinte er.
Swaid zufolge verstaatlichte der
israelische Staat nach Unmengen von Konfiszierungen das Land der
palästinensischen Minderheit in Israel zu 93 Prozent. Der Großteil wurde der
jüdischen Bevölkerung zugewiesen. Nur 3 Prozent wurde der palästinensischen
Minderheit überlassen, was zu schwer überfüllten Gebäuden ohne Genehmigung
führte.
„Von jenen 3 Prozent gibt es nur für
ein Fünftel des Landes eine Baugenehmigung“, fügte Swaid hinzu. „Das ist auch
der Grund, wofür die palästinensischen Gemeinschaften ersticken.“
Den israelischen Medien zufolge
plant das Kabinett Netanjahu die Umsetzung von Hausabrissen. Man befürchtet,
dass diese 50.000 palästinensische Häuser ohne Genehmigung in Israel umfassen
werden.
Der Nationale Planungsrat berücksichtigte
für die drusische Stadt 10 verschiedene Standorte, bevor man sich für das
Gebiet um den Galiläasee entschied.
Netanjahu meinte, dass die Nähe der
neuen Stadt zur Stadt von Tiberias und wichtigen Autobahnen die „wirtschaftliche
und soziale Entwicklung der drusischen Bevölkerung fördern wird.“
Samer Swaid, der nicht mit Hana
Swaid verwandt ist, meinte, dass die meisten Drusen gegen eine Stadt wären, die
auf dem Land der Flüchtlinge erbaut wird. Sie wollten ihre konfiszierten
Ländereien zurück, um dort ihre bereits vorhandenen Gemeinden auszudehnen.
„Es gibt beispielsweise sehr viel
konfisziertes Land in der Nähe von Daliyat und Isifiya [zwei drusische Dörfer
im Süden von Haifa], die man uns zurückgeben könnte, damit wir dort bauen
können“, behauptete er.
Swaid, ein führender Beamter im
drusischen Initiativen-Komitee, das sich dem Militärdienst für die Drusen
widersetzt, berichtete, dass Hunderte drusische Demonstranten aus Daliyat 2010
gewaltsame Zusammenstöße mit der Polizei hatten, als die Regierung mehr Land
konfiszierte, um eine Gaspipeline zwischen dem Zentrum des Landes und Haifa zu
legen.
„Die Regierung beansprucht immer
drusisches Land, wenn es um die eigenen Projekt geht.. Dies geschieht aber
nicht, wenn wir expandieren müssen“, beklagte er sich.
In einer Pressemitteilung aus dem
Kabinett Netanjahu heißt es, dass die 14 vorhandenen Gemeinden nicht weiterhin
ausgedehnt werden sollten, weil sie sich in einem hügeligen Bereich in der Nähe
eines Naturschutzgebietes befinden.
Hana Swaid zufolge wären diese „nur
Ausreden“, um nicht zu handeln. „Israel hat viele ländliche jüdische Siedlungen
auf Ländereien gebaut, die den drusischen Dörfern konfisziert wurden.
Anscheinend gelten diese Einschränkungen nur, wenn die Drusen bauen wollen.“
Ein Planungsgesetz aus dem Jahre 1965
erkennt 120 Gemeinden als arabische Gemeinden an. Aber für die meisten
palästinensischen Bürger ist es unmöglich, außerhalb dieser Gemeinden oder in
einigen Städten zu leben, in denen es palästinensische Viertel gibt.
Aber während Israel, seit der
Staatsgründung vor 68 Jahren, Hunderte ländlicher Gemeinden ausschließlich für
jüdischen Bürger erbaute, hob Hana Swaid hervor, dass es keine neuen Gemeinden
für die Palästinenser gibt.
Der Beschluss, die Stadt zu bauen,
wurde von der Netanjahuregierung Ende 2012 genehmigt, aber der Standort – die zwei
zerstörten Dörfer von Hittn und Nimrin – kamen erst im Januar ans Tageslicht.
Suhad Bishara, eine Anwältin, die
auf Landfragen spezialisiert ist und für Adalah, ein Rechtszentrum für
palästinensische Bürger, arbeitet, meinte, dass der Bau dieser neuen Stadt die
Rechte der Flüchtlinge auf deren Land missachtet, die vom Völkerrecht
festgelegt sind.
Zu den internationalen
Verpflichtungen Israels zählt auch, so Suhad Bishara, das Land der Flüchtlinge
treuhändisch durch einen Beamten, dem sogenannten Treuhänder, verwalten zu
lassen, bevor die Flüchtlingsfrage nicht geklärt ist.
„Auf diesem Land zu bauen, bedeutet,
dass es die Flüchtlinge in Zukunft nicht zurückerhalten können“, meinte sie. „Dies
gestaltet das Bild jeglicher zukünftiger Friedensverhandlungen noch komplexer.“
Zusätzlich zu den Millionen
palästinensischer Flüchtlinge und deren Nachkommen, die außerhalb der
israelischen Grenzen leben, gilt ein Viertel der palästinensischen Bevölkerung
innerhalb Israel als Flüchtlinge. Die Vertriebenen innerhalb Israel gelten
offiziell als „anwesende Abwesende“, d.h. anwesend in Israel, aber abwesend von
ihren Häusern.
„Die anwesenden Abwesenden“
Alle Bewohner von Nimrin, das 1948 ein kleines Dorf war, wurden aus den
israelischen Grenzen vertrieben. Aber einigen Familien aus Hittin gelang es, in
der Nähe ihres Dorfes zu bleiben.
Makbula Nassar, eine
palästinensische Journalistin, deren Mutter aus Hittin stammte, erzählte, dass
die inländischen Flüchtlinge in der Nähe von Gemeinden wie Eilaboun, Nazareth und
Deir Hana lebten.
„Sie kämpfen seit den 1980er Jahren
für den Zugang zu ihren Ländereinen und im Besonderen zur Moschee“, berichtete
sie. „Aber die Behörden erklärten die Moschee sofort zu einem Sperrgebiet und
zu einem historischen Standort.“
Die Moschee, die auf Saladins Befehl
hin erbaut worden war, ist seit 2000 abgezäunt. „Warum lässt der Staat zu, dass
die Moschee zu Ruinen verfällt, wenn es sich um einen historischen Standort
handelt? Niemand kümmert sich nämlich darum.“
Auch jüdische Gruppierungen
widersetzten sich dem Beschluss des Baus der Stadt. Im Dezember 2015
organisierten eine historische Gesellschaft, die die Schlacht von Hittin
rekonstruiert, und Archäologen und Mitglieder benachbarter jüdischer
Gemeinschaften eine Protestdemo außerhalb der Residenz von Netanjahu in
Jerusalem.
Sie behaupten dass, Israel, aufgrund
der historischen Bedeutung dieses Ortes, die Vereinten Nationen dazu auffordern
sollte, den Ort zum Welterbe zu erklären und den Bau somit zu verbieten.
Trotz des Widerstandes von Seiten
zahlreicher drusischer Führer, haben die Regierungsbeamten die Unterstützung
des Hawkisch-Drusen Ayoub Kara, Mitglied der Likud-Partei von Netanjahu und
stellvertretender Minister für die Entwicklung der Drusen, betont.
„Diese Ländereien gehören dem Staat“,
schrieb Kara vor kurzem in der Tageszeitung Makor Rishon. „Der Ort stört
keinen. Er ist verlassen.“
Ein Sprecher des Kabinetts Netanjahu
weigerte sich, auf die kritischen Argumente zu antworten.
Raneen Geries, eine Aktivistin von Zochrot,
einer jüdisch-palästinensischen Organisation, die das Ziel verfolgt,
israelische Juden über die Nakba, die israelische Enteignung der
Palästinenser 1948, zu informieren, meinte, dass die Regierung auf eine
breitere Unterstützung der Drusen hoffte, indem sie deren religiöse Bindung zu
jener Region ausnutzte.
Die neue Stadt wird sich nämlich in
der Nähe eines alten Schreins von Jethro, Moses Schwiegervater befinden, der
für die Drusen als der wichtigste Prophet gilt. Im Arabischen ist er als Nabi Schuayb
bekannt. Der Schrein gilt immer schon als wichtigster Wallfahrtsort der Drusen.
In den letzten Jahren hat Israel
diesen Standort massiv ausgebaut. Es entstanden eine Hauptstraße zum Schrein und
ein großer Parkplatz. So wurden die Ruinen von Hittin noch mehr beschädigt und
die überlebende Moschee noch mehr beeinträchtigt.
Nassar, Vorstandsvorsitzender von
ADRID, einer palästinensischen Organisation, die die Rechte der inländischen
Flüchtlinge verteidigt, berichtete, dass man in der Vergangenheit fürchtete,
die Betonung der Probleme Hittins würde den Konflikt mit den religiösen Führern
der Drusen verschärfen.
„Jene Sichtweise kommt
mir falsch vor“, meinte sie. „Über Jahrhunderte teilten sich Muslime, Christen
und Drusen das Land. Nun ist es an der Zeit, sich mit den Drusen zu verbinden,
um sich für Hittin und Nimrin einzusetzen.“  
Jonathan Cook ist ein Journalist, der in Nazareth
lebt. Er ist Preisträger des Martha Gellhorn Special Prize for Journalism. Er
ist Autor der Bücher
Blood and Religion und Israel and the
Clash of Civilisations.