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Die NATO wächst

David Parkins

von German Foreign Policy, 24.05.2016.

Einkreisung im Norden
Für den heutigen Mittwoch kündigt der schwedische Reichstag eine Beschlussfassung über die Ratifizierung des “Host Nation Support”-Abkommens mit der NATO an. Das Abkommen, das Schweden am 4. September 2014 am Rande des damaligen NATO-Gipfels im britischen Newport unterzeichnet hat – es hat damals auch die Zustimmung der Bundesregierung gefunden -, sichert dem Kriegsbündnis neue Rechte zur Nutzung schwedischen Territoriums bei Manövern und bei Truppenbewegungen im Rahmen von Militäreinsätzen zu. Stockholm verspricht sich seinerseits von der Übereinkunft deutlich intensivere Beziehungen zur NATO. Eine identische Vereinbarung hat am 4. September 2014 auch Finnland unterzeichnet. Helsinki ermöglicht der NATO damit faktisch den Ausbau ihrer Präsenz unmittelbar an der Grenze zu Russland und treibt so dessen Einkreisung im Norden voran.
Seit den 1990ern
Während es offiziell heißt, mit dem “Host Nation Support”-Abkommen reagierten Schweden und Finnland auf eine angebliche russische Aggression, folgt die Vereinbarung tatsächlich einer bereits in den 1990er Jahren eingeschlagenen Strategie der kontinuierlichen Annäherung beider Länder an die NATO. Diese Strategie führte im Jahr 1994 zunächst zur Aufnahme Stockholms und Helsinkis in die NATO-“Partnership for Peace” (PfP), 1995 dann darüber hinaus zur Einbindung in den “PfP Planning and Review Process” (PARP), der die militärischen Fähigkeiten der teilnehmenden Staaten stärken sowie ihre Interoperabilität mit der NATO verbessern soll. Seit 1996 nehmen Schweden und Finnland ungeachtet ihrer offiziellen Neutralität an NATO-geführten Militäreinsätzen teil, zunächst in Bosnien-Herzegowina, ab 1999 im Kosovo, dann ab 2002 (Finnland) respektive 2003 (Schweden) in Afghanistan. Schweden hat sich 2011 sogar mit acht Gripen-Kampfflugzeugen am Libyen-Krieg der NATO beteiligt. 2012 (Finnland) beziehungsweise 2013 (Schweden) haben die beiden Länder ihre Truppen zudem in die NATO Response Force (NRF) integriert. Öffentlich bekannt wurde die Absicht ihrer Regierungen, ein “Host Nation Support”-Abkommen mit dem westlichen Kriegsbündnis zu schließen, bereits am 20. November 2013, also noch vor dem Beginn der Majdan-Proteste und der auf diese folgenden Eskalation des westlichen Machtkampfs gegen Moskau. Die Bestrebungen, Russland auch im Norden einzukreisen, gehen also auf ältere Strategieplanungen zurück.[1]
“Wie bei Gladiatoren”
Schon die bisherigen NATO-Aktivitäten Schwedens beinhalteten laut einem Bericht der New York Times vom vergangenen September die Beteiligung an Entscheidungen über illegale Hinrichtungen von Aufständischen in Afghanistan – übrigens an der Seite deutscher Soldaten. Demnach waren schwedische und deutsche Militärs zumindest zeitweise im Combined Joint Operations Center (CJOC) in Kabul präsent, wo über meist mittels Drohnen geführte Exekutionsangriffe auf tatsächliche oder angebliche Aufständische entschieden wird. Wie die New York Times im vergangenen September schilderte, befinden sich in den Räumlichkeiten des CJOC Bildschirme, auf denen die Zielerfassung der Drohnen zu sehen ist. Mit ihrer Hilfe soll sichergestellt werden, dass bei den Angriffen unschuldige Zivilisten nicht getroffen werden. Die illegalen Hinrichtungen mittels Drohnen werden aus den verschiedensten Gründen seit langer Zeit international massiv kritisiert, unter anderem auch, weil eine Unterscheidung von tatsächlichen oder angeblichen Aufständischen und Zivilisten in aller Regel nicht zuverlässig möglich ist. Im CJOC hätten US-Soldaten immer wieder deutsche und schwedische Kameraden aufgefordert, sich an der Entscheidung über Leben und Tod der ins Visier geratenen Personen zu beteiligen, hieß es in der New York Times, die einen US-Behördenmitarbeiter mit der Aussage zitierte: “Sie saßen da herum und streckten ihre Daumen nach oben oder nach unten, wie bei Gladiatoren in einer Arena.”[2] Offiziell wird die Darstellung in Stockholm und Berlin bestritten. Die US-Zeitung hält an ihrem Bericht fest.
Proteste (I)
Gegen die Absicht der schwedischen Regierung, eine engere Bindung an die NATO herbeizuführen und das “Host Nation Support”-Abkommen am heutigen Mittwoch im Reichstag endgültig ratifizieren zu lassen, haben am Wochenende Tausende in Stockholm demonstriert. Möglicherweise muss die Verabschiedung des Abkommens sogar verschoben werden: Bestimmte Beschlüsse lassen sich in Schweden mit einer qualifizierten Parlamentsminderheit verzögern. Diese Option wäre voraussichtlich gegeben, wenn sowohl die sozialistische Linkspartei wie auch die extrem rechten Schwedendemokraten sich für eine Aussetzung des Beschlussverfahrens aussprechen. Damit würde die Ratifizierung um ein Jahr ausgesetzt.[3]
Ums Prinzip
Unabhängig davon hat die NATO in der vergangenen Woche in aller Form die Aufnahme Montenegros beschlossen. Das Land ist im Dezember 2006, nur ein halbes Jahr nach seiner Abspaltung von Serbien, der “Partnership for Peace” beigetreten und hat schon bald begonnen, sich um den Beitritt zum Bündnis zu bemühen. Montenegros militärischen Kapazitäten wird eine geringe Bedeutung zugeschrieben: Das Land unterhält Streitkräfte von knapp 2.000 Militärs und beteiligt sich am Afghanistan-Einsatz der NATO mit derzeit exakt 17 Soldaten. Als Hauptgrund für seine Aufnahme werden entsprechend nicht militärische, sondern taktische Erwägungen genannt. “Zwar ist der Beitrag, den Montenegro zur NATO leisten kann, verschwindend gering”, bestätigte im vergangenen Jahr Karl-Heinz Kamp, Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS), des außen- und militärpolitischen Strategiezentrums der Bundesregierung: Doch sei der NATO-Beitritt des Landes “vor allem ein politisches Signal auch gegenüber Russland, dass man an der Politik der offenen Tür festhält und kein russisches Veto gegenüber dem Prinzip der freien Bündniswahl akzeptiert”.[4] Kamp bezog sich damit auf Proteste aus Russland gegen eine Verschiebung der strategischen Kräfteverhältnisse per Ausdehnung des NATO-Bündnisgebiets. Zuletzt hat Moskau vor der weiteren Intensivierung der NATO-Beziehungen zu Schweden und Finnland gewarnt.
Proteste (II)
Montenegros NATO-Beitritt stößt in der Bevölkerung des Landes auf noch massivere Proteste als das “Host Nation Support”-Abkommen in Schweden. Bereits im Herbst und im Winter 2015 waren in dem kleinen Staat, der kaum mehr als 600.000 Einwohner hat, Tausende auf die Straßen gegangen, um gegen das Kriegsbündnis zu demonstrieren. Noch 1999 hatten NATO-Kampfjets im Kosovo-Krieg auch montenegrinisches Territorium bombardiert. Rund 55.000 Montenegriner sollen unlängst eine Petition unterzeichnet haben, die zumindest ein Referendum über den NATO-Beitritt des Landes verlangt; Umfragen zeigen, dass eine Mehrheit für den Schritt alles andere als sicher ist. Bei den Abstimmungen im Rahmen der NATO über Montenegros Beitritt hat dessen ungeachtet auch die Bundesregierung für die Aufnahme des Landes votiert.