Markus Bernhardt: Das braune Netz Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) und die Inlandsgeheimdienste
Von Michael Lausberg, Kritisch
Lesen, herausgegeben auf Untergrundblättle,
4. Januar 2021. Markus Bernhardt beleuchtet die Hintergründe des
Zusammenwirkens der Geheimdienste und der NSU.
Im November 2011 kam es zur Aufdeckung der Morde
und Anschläge des neonazistischen „Nationalsozialistischen Untergrundes“ (NSU).
Die mindestens aus den Neonazis Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe
bestehende Terrorgruppe ermordete zwischen 2000 und 2006 neun Migranten und
2007 eine Polizistin. Ausserdem soll neben mehreren Banküberfällen der NSU für
einen Nagelbombenanschlag in der mehrheitlich von Migranten bewohnten
Keupstrasse in Köln verantwortlich sein, wobei 22 Menschen zum Teil schwer verletzt
wurden.
Lesen, herausgegeben auf Untergrundblättle,
4. Januar 2021. Markus Bernhardt beleuchtet die Hintergründe des
Zusammenwirkens der Geheimdienste und der NSU.
Lückenhafte Aufarbeitung
Der Journalist Markus Bernhardt
stellt in seinem Buch „Das braune Netz. Naziterror – Hintergründe,
Verharmloser, Förderer“ die These auf, dass mehrere Geheimdienste der BRD die
Aufenthaltsorte der 1998 untergetauchten Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe kannten
und deshalb die Morde und Anschläge hätten verhindern können: „Ohne die
Kumpanei der bundesdeutschen Geheimdienste hätte die neofaschistische
Terrorgruppe (…) nicht über dreizehn Jahre hinweg Morde, Bombenanschläge und Bankraube
verüben können.“ (S. 7)
Das Abtauchen des Trios in den Untergrund könne
laut Bernhardt nicht ohne das Wissen führender Mitglieder des neofaschistischen
Thüringer Heimatschutzes (THS), dem die drei angehörten, sowie ohne Kenntnis
des thüringischen Verfassungsschutzes erfolgt sein. Für die lückenhafte und
schwerfällige Aufarbeitung des „grössten Geheimdienstskandals der
bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte“ (ebd.) macht Bernhardt die herrschende
politische Elite verantwortlich: „Sind es doch massgeblich Politiker der
Regierungskoalition, die sich mit aller Macht gegen eine umfassende öffentliche
Aufarbeitung des Geheimdienstskandals stemmen.“ (S. 9)
Bernhardt spricht sich mit Recht gegen die
Fortsetzung der Praxis der sogenannten V-Leute aus: „Vor allem aber wäre die
militante Neonaziszene nicht so stark, wenn die Löhne, die die Geheimdienste
den von ihnen installierten V-Leuten zahlen, nicht als eine Art staatlicher
Transferleistungen in den Aufbau der rechten Szenerie flössen.“ (S. 42)
Er stellt weiterhin die Frage, ob der NSU Teil
eines international operierenden neonazistischen Terrornetzwerks war:
„Es dürfte (…) mitnichten ausgeschlossen sein,
dass das NSU-Netzwerk über gute internationale Kontakte verfügte und dass
Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe während ihrer Zeit im Untergrund nicht nur von
deutschen, sondern auch von Faschisten in und aus anderen Ländern unterstützt
worden sind.“ (S. 26)
Neben einer „Mitverantwortung der
Inlandsgeheimdienste für die Morde“ (S. 112) macht Bernhardt zu Recht den in
weiten Teilen der Gesellschaft verankerten Rassismus im weitesten Sinn für die
Terrorakte verantwortlich. Die repräsentative Studie „Die Mitte in der Krise –
Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland“ aus dem Jahre 2010 ergab, dass über
ein Viertel der Befragten über ein gefestigtes extrem rechtes Weltbild
verfügte. Für diese Studie wurden im Frühjahr 2010 mehr als 2.400 Menschen
befragt. Daraus ergab sich, dass in der Bundesrepublik antidemokratische und
rassistische Einstellungen auf einem sehr hohen Niveau existierten. Der NSU
konnte sich bei diesen Einstellungsmustern als „Vollstrecker“ eines
vermeintlichen „Volkswillens“ sehen.
Bernhardt spricht weiterhin vom Fehlen einer
„nötigen Distanz mancher Ermittler (der Geheimdienste, Anm. M.L.) zur rechten
Szene“ (S. 112). Hierbei nennt er namentlich den früheren Präsidenten des
thüringischen Verfassungsschutzes, Helmut Roewer, der in dem extrem rechten
Ares-Verlag aus Graz publizierte. Die Behauptung Bernhardts, dass Roewer
öffentlich ausgeführt hatte, dass der Nationalsozialismus „gute als auch
schlechte Seiten“ gehabt habe (S. 46), wird leider nicht mit einer Quelle
belegt.
Dann arbeitet Bernhardt die Reaktionen der
extrem rechten Parteien in der BRD auf die Aufdeckung des Terrornetzwerks der
NSU heraus. In neonazistischen Foren finden sich Andeutungen zu einer
Rechtfertigung der Morde und Anschläge. Dagegen verurteilten der
antimuslimische Internetblog Politically Incorrect (PI) und die extrem rechte
Pro-Bewegung die Verbrechen des NSU, da beide Gruppen Angst vor staatlichen
Repressalien befürchteten (S. 37). Die NPD versuchte auch im Hinblick auf ein
bestehendes Verbotsverfahren den Eindruck zu erwecken, dass es keine Verbindung
zwischen der Partei beziehungsweise einzelnen Mitgliedern und dem NSU gab. Ihr
Bundesvorsitzender Holger Apfel thematisierte dagegen die „Verstrickung der
Inlandsgeheimdienste in den NSU-Terror“ und stellte sich als unschuldiges Opfer
in der Öffentlichkeit dar (S. 38).
Kritik an der Extremismustheorie
Anschliessend kritisiert Bernhardt
die Extremismustheorie, die in den Veröffentlichungen des Verfassungsschutzes
sowohl des Bundes als auch der Länder verwendet wird. Die beiden
Politikwissenschaftler Uwe Backes und Eckhard Jesse sind seit Jahren bemüht,
die Extremismustheorie über Staatsschutzorgane oder Regierungsapparate hinaus
im akademischen Bereich zu etablieren. Der Extremismusbegriff gilt als
„Sammelbezeichnung für unterschiedliche politische Gesinnungen und Bestrebungen
(…), die sich in der Ablehnung des demokratischen Verfassungsstaates und seiner
fundamentalen Werte einig wissen.“ (Backes / Jesse 1993, S. 40) Bernhardt
befürchtet, dass die Debatten über die erneute Einleitung eines
Verbotsverfahrens gegen die NPD dazu genutzt werden, um auch über die
verstärkte Überwachung oder gar ein Verbot der Linkspartei nachzudenken.
Für die Bekämpfung der extremen Rechten hält
Bernhardt die Extremismustheorie für gänzlich ungeeignet:
„Die Extremismustheorie läuft daher prinzipiell
auf die Unterstützung eines autoritären Staates hinaus, der Abweichungen von
der jeweils neu definierten ,Mitte‘ sanktioniert. Die Virulenz einer sozialen
Bewegung der ,extremen Rechten‘ sowie rassistische, nationalistische und
antisemitische Stereotype in einem erheblichen Teil der bundesdeutschen Bevölkerung
werden von Extremismusforschern zumindest ignoriert und bagatellisiert.“ (S.
72)
Dabei bezieht er sich besonders auf
Kritiker_innen der Extremismustheorie aus Wissenschaft und Politik, die auf
eine „Extremismus der Mitte“, das heisst eine Interaktion zwischen extremen
Rechten und der „Mitte“ der Gesellschaft und des politischen Establishments,
verweisen.
Die Extremismustheorie stellt für ihn ein
ideologisch motiviertes staatliches Instrument gegen antifaschistische Politik
und Aktionen dar, das den Widerstand gegen rechte Denkmuster und Gewalt
behindert. Dabei verweist er auf die Kriminalisierung der Proteste gegen
neonazistische Aufmärsche in Dresden und Dortmund in den vergangenen Jahren. Um
rechte Gewalt und das Vordringen rassistischer Denkmuster in der Gesellschaft
zu bekämpfen, fordert Bernhardt,
„verstärkt gegen den gesellschaftlich
verankerten Rassismus vorzugehen, endlich die vollkommene Gleichstellung und
Teilhabe von Migranten sicherzustellen und einen offensiven Antifaschismus
nicht wie bisher als Bedrohung der Demokratie, sondern vielmehr als zwingende
Notwendigkeit zu akzeptieren.“ (S. 113)
Weiterhin plädiert er dafür, die Praxis der
V-Leute einzustellen, deren Bezahlung für den Aufbau rechter Strukturen
mitverantwortlich ist, sowie die sofortige Auflösung der bundesdeutschen
Inlandsgeheimdienste.
Insgesamt gesehen bietet das Buch einen guten
Einstieg über den Mordserie des NSU und die Verstrickung der bundesdeutschen
Geheimdienste. Leider fehlen die Hinweise auf die benutzten Quellen fast
durchgängig. Neue sensationelle Enthüllungen werden nicht geliefert, was auch
nicht der Anspruch des Autors ist. Bernhardt stellt die Hintergründe des
Zusammenwirkens der Geheimdienste mit neonazistischen Terroristen dar und
fordert darüber hinaus die Abschaffung aller Inlandsgeheimdienste mitsamt deren
extremismustheoretischer Ideologie.
Dass diese provokanten Thesen vor allem bei
Vertretern des Verfassungsschutzes oder der Geheimdienste auf vehemente
Ablehnung stösst, wundert niemanden. In diesem Zusammenhang ist zum Beispiel
auch die Rezension des Buches von Armin Pfahl-Traughber zu sehen.
Pfahl-Traughber war von 1994 bis 2004 Mitarbeiter beim Bundesamt für
Verfassungsschutz und publiziert seit Jahren in dem von Backes und Jesse
herausgegebenen „Jahrbuch für Extremismus und Demokratie“. Ausserdem gibt er
seit 2008 das „Jahrbuch für Extremismus- und Terrorismusforschung“ heraus und
ist Professor an der Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in
Brühl.
Auf dem Internetblog Endstation Rechts wirft er
Bernhardt „verschwörungstheoretische Deutungen“ und das Arbeiten mit
„Andeutungen und Unterstellungen in seinem Sinne“ vor. Pfahl-Traughber geht es
dabei nicht um eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den Thesen des Autors,
sondern um eine blosse Abwehr von Angriffen von kritischen Einzelpersonen oder
Gruppen auf die bundesdeutschen Geheimdienste.