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“NICHT HILFREICH” – Kulturexperten verärgert über Leitkultur-Thesen de Maizières


Von MiGAZIN, 3. Mai 2017. Die Leitkultur-Thesen des Bundesinnenministers sorgen weiter für
Schlagabtausch. Vertreter der Zivilgesellschaft reagieren verärgert. Sie hatten
eine eigene Initiative gegründet, de Maizière mit an den Tisch geholt und
fühlen sich nun übergangen.

Leitkultur © MiG
Die Thesen von
Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) über eine deutsche Leitkultur
sorgen auch bei Vertretern von Zivilgesellschaft und Kirchen für Verärgerung.
Der Kulturbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Johann
Hinrich Claussen, sagte am Dienstag dem Evangelischen Pressedienst,
die vom Minister benutzte Schärfe und Polarisierung sei nicht hilfreich für die
Debatte. Gerade der Griff zum Wort „Leitkultur“ sei außerdem wenig geeignet,
eine offene Debatte zu eröffnen.
Ähnliche Kritik kam vom
Geschäftsführer des Deutschen Kulturrats, Olaf Zimmermann. „Wer dieses Wort
benutzt, zerdeppert und zerstört alles, was er danach sagt“, sagte er dem
Internetportal evangelisch.de.
Mit Unverständnis reagierten auch Vertreter mulimischer
Religionsgemeinschaften. Der Generalsekretär der Islamischen Gemeinschaft Milli
Görüş, Bekir Altaş, erklärte: „Unsere Regeln stehen in der Verfassung und nicht
in Boulevardblättern“.
Initiative wollte „Leitkultur“
nicht benutzen
Claussen sagte, er halte von diesem Wort nichts. „Es ist nicht mit klaren
Inhalten verbunden, sondern nur ein politisches Schlagwort, das den kulturellen
Dominanzanspruch einer Partei formulieren soll“, kritisierte der Theologe und
ergänzte: „Kultur ist ein Bereich von sich entfaltender Freiheit und sollte
nicht in dieser Weise festgezurrt werden.“
Für Verärgerung sorgt bei
Claussen und Zimmermann der Beitrag de Maizières vor dem Hintergrund der
„Initiative kulturelle Integration“, die über Monate hinweg selbst Thesen zum
gesellschaftlichen Zusammenhalt erarbeitet hat und am 16. Mai präsentieren
will. Einer der „Unterstützer der ersten Stunde“ ist Innenminister de Maizière,
wie Zimmermann sagte. In der ersten Sitzung sei beschlossen worden, das Wort
„Leitkultur“ nicht zu benutzen. Claussen sagte, vor dem Hintergrund dieser
Initiative habe er sich über den Beitrag von de Maizière geärgert: „Ich finde
ich es nicht nachvollziehbar und bedauerlich, dass er dem vorgreift, darauf
nicht einmal Bezug nimmt und stattdessen eigene Thesen in der ‚Bild-Zeitung
veröffentlicht.“
Polenz lehnt Leitkultur ab
Auch in der eigenen Partei sorgt de Maizière mit seinem Debattenbeitrag für
heftige Diskussionen. Der frühere CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz sagte im
Deutschlandfunk, man solle für eine Kultur des Zusammenlebens werben. Den
Begriff „Leitkultur“ lehnte auch er ab, „weil er in eine vielfältige, bunte,
vor allem pluralistische Gesellschaft, eine freiheitliche Gesellschaft nicht
passt“.
Bayerns Innenminister Joachim
Herrmann (CSU) verteidigte dagegen de Maizière. Der Bundesinnenminister habe
Recht, „die Notwendigkeit einer deutschen Leitkultur hervorzuheben“, sagte er
der Tageszeitung Die Welt und ergänzte: „Wir brauchen aber nicht
nur Worte, sondern auch eine klare Umsetzung: Wer sich als Zuwanderer nicht in
Deutschland integrieren will, muss in letzter Konsequenz unser Land verlassen.“
Der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Armin Laschet begrüßte im Sender
Bayern 2 die Diskussion um Werte. Es gehe nicht nur um Zugewanderte und
Flüchtlinge, betonte Laschet, sondern um das generelle Miteinander. „Da ist
vieles an Verrohung in den letzten Jahren eingetreten“, sagte er.
Özoğuz: „Hilflose Benimmregeln“
Kritik an den Leitkultur-Thesen
kam auch weiter aus anderen Parteien. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz sagte
der Süddeutschen Zeitung: „Die deutsche Leitkultur ist Freiheit,
Gerechtigkeit, und ein gutes Miteinander, so wie es im Grundgesetz steht.“ Die
Linkenpolitikerin Ulla Jelpke warf de Maizière vor, Millionen Zuwanderern mit
eigener kultureller und geschichtlicher Erfahrung vor den Kopf zu stoßen. Die
Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoğuz (SPD), sprach von
„hilflosen Benimmregeln“ des Innenministers. „Es gibt keine faktisch
einheitliche Kultur, die uns alle leiten würde“, sagte Özoğuz dem RedaktionsNetzwerk
Deutschland
.
De Maizière hatte in der Bild
am Sonntag
 einen Zehn-Punkte-Katalog zur deutschen Leitkultur
veröffentlicht. Darin schreibt er: „Über Sprache, Verfassung und Achtung der
Grundrechte hinaus gibt es etwas, was uns im Innersten zusammenhält, was uns
ausmacht und was uns von anderen unterscheidet.“ Der Minister hob darin unter
anderem soziale Gewohnheiten sowie die Bedeutung von Bildung, Kultur und Religion
hervor. (epd/mig)