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ACHTUNG SATIRE: Spieglein Spieglein an der Wand, sag was ist bloß los in diesem Land?

Offener Brief zum
Anti-Gesichtsverhüllungsgesetz, Verbot von Schals & Co.
Von Yeliz Dağdevir, Oktober 2017. Die kalte
Jahreszeit steht vor der Tür. Als verwirrte, besorgte und verfrorene österreichische
Bürgerin möchte ich mich über das witterungsabhängige sowie schleierhafte
Gesetz genauer informieren und bitte Sie, unsere Gesetzgeber, um Aufklärung
folgender komplexer Sachverhalte:


1. Um welche Form von verbotenen Schals handelt es
sich eigentlich: gibt es da eine gesetzliche Vorgabe in Bezug auf Länge,
Breite, Material und Farbe? Sind beispielsweise regierungsfarbene Schals
erlaubt?
2. Sind Wollhauben, die den Mund miteinschließen,
auch vom Gesetz betroffen? Können Sie bitte eine grafische Darstellung für
Betroffene und zuständige BeamtInnen als Erleichterung beim Vollzug
publizieren? 
3. Dürfen RadfahrerInnen auf dem Weg zur Arbeit
oder zur Schule ihr Gesicht mit dem Schal gen Wind schützen? Zählt selbiges
Verhalten in der Freizeit dann als Verwaltungsübertretung? 
4. Was ist mit obdachlosen Menschen und
BettlerInnen? Werden der Erwärmung dienende Utensilien als „berufliche
Notwendigkeit“ gewertet und den Ausnahmefällen zugeordnet?
5. Wieviel Prozent exakt vom Gesicht muss frei
bleiben, wenn sich jemand für (kulturelle) Tattoos im Gesicht entscheidet?
6. Modische Piercings: manche tragen soviel
Metallschmuck im Gesicht, dass die Identifizierung beinahe nicht mehr
gewährleistet ist. Gibt es hierbei eine Obergrenze?
7. Was ist mit Stirnfransen? Die Stirn ist ja
damit, wie schon selbst erklärend, mit Haaren versehen. Was sagt das Gesetz
bezüglich maximaler Länge und Farbe? Apropos: gilt das Tragen von wärmenden
Stirnbändern nun als Strafdelikt? 
8. Es gibt zudem viele Frisuren, deren hip sein
genau darin liegt, einen Teil vom Gesicht zu bedecken und die Person
geheimnisvoll wirken zu lassen, bei Männern wie auch bei Frauen. Ich bitte um
eine bildliche deppensichere Darstellung von erlaubten und nicht erlaubten
Haarschnitten. Als Grundhaarfarbe der Illustration bietet sich möglicherweise
Blauschwarz besonders an, dann entsprechend der Mandate im Nationalrat die
weiteren Regierungsfarben. Friseurläden möchte ich zwecks Prävention nahelegen,
den KundInnen Kataloge mit gesetzeskonformen und -widrigen Frisurenmodellen
vorzulegen. 
9. Das Gesetz diskriminiert Männer ganz besonders
meiner Meinung nach. Was tun bei persönlicher Vorliebe für Stirnfransen,
Stirnbänder, Vollbart, Tattoo, Piercing, Sonnenbrille und einer in das Gesicht
hängenden Haarpracht? Bedeutet dies ein Fall von mehrfachem Widerstand gegen
die Staatsgewalt und Vervielfachung des Strafausmaßes? 
10. Sport: Bei Fußballevents bemalen sich die Fans
oft in den Farben ihrer Lieblingsmannschaft. Symbole oder Farben der
Nationalfahnen sind meist beliebte Motive im Gesicht und am Körper. Werden nun
am Eingang von Fußballstadien Gesichter gescannt? 
11. Gibt es eine gesetzlich festgeschriebene
Altersuntergrenze für Schals und Co, um der Kinderkriminalisierung vorzubeugen?
Sinn macht es eigentlich erst ab der Volljährigkeit. Davor könnte man
wahrscheinlich die Erziehungsberechtigten wegen unterlassener Aufklärung zum
neuen Gesetz mit einer entsprechenden Organstrafverfügung mahnen.
Die
Bildungseinrichtungen müssten dann logischerweise auch mithaften, wenn sie
Kinder und Jugendliche mit Schals im Gesicht auf dem Pausenhof herumrennen
lassen. 
12. Tatort Spielplatz: dürfen Kinder außerhalb vom
Fasching nicht mehr mit Verkleidungen und Masken in Kindergärten oder auf
öffentlichen Spielplätzen spielen? Sind Sie BefürworterInnen von Verkleidungen
ohne Gesichtsmasken, insbesondere für Kinder? 
13. Importfeste: sind vom Kulturimperialismus
aufoktroyierte Bräuche wie zum Beispiel das Feiern von Halloween an die
Entrichtung entsprechender Zollgebühren gebunden, oder gelten hier
grundsätzlich die Freihandelsabkommen der Europäischen Union, die
Sonderregelungen für die Schengen-Staaten sowie Konventionen mit Drittstaaten?
14. Was ist mit der Organisation „Die Roten Nasen“,
unsere Clowndoctors und Kinderfreunde, die in Spitälern und anderen
Einrichtungen Kinder in psychischer Notlage betreuen und bemüht sind, etwas
Farbe und Freude in den grauen Alltag zu bringen? Muss sich dieser Verein nun
auflösen?
15. Zur Vollstreckung des Gesetzes bedarf es meiner
Ansicht nach neben der Exekutive auch noch weiterer Kontrollp(f)osten, was ja
wiederum neue Arbeitsplätze schafft, die teilweise mit den Einnahmen der
Geldstrafen gedeckt werden könnten. Ganz im Sinne jedes Gesetzgebers: was vom
Bürger kommt, fließt zum Bürger zurück. So entsteht z. B. die Notwendigkeit von
Aufsichtspersonal vor Bildungseinrichtungen, Krankenhäusern, Ämtern etc.,
sodass die Schals vor Eintritt des Gebäudes und eigentlich schon bei Betreten
der Parkplätze auch hundertprozentig abgenommen werden. Das Eis an der Nase
kann ja drinnen schmelzen. Oder Sie investieren in die Technik und lassen
Radarautomaten bauen, denen Sie die Gesetzeslücken begreiflich machen.
16. Dringend zu beachten ist aber auch die erhöhte
Anfälligkeit für Erkältungen, welche mehr Arztkonsultationen und Krankenstände
nach sich ziehen und die Arbeitgeber auf die Barrikaden treiben wird, mehr Kosten
im Gesundheitsbereich verursachen, deren Tilgung dem Steuerzahler weitere
Nerven abverlangen wird, deren Beruhigung wiederum Mehrkosten produziert, bis
sich der Teufelskreis damit schließt.
17. Unternehmen und Werbewirtschaft: müssen die Ceos
nun selbst als Maskottchen auftreten, um keine Einbußen zu befürchten? Diese
Aktionen sind wohl kaum mit der Ausnahme vereinbar, die „künstlerische,
kulturelle oder traditionelle Veranstaltungen“ umfasst und unternehmerische
exkludiert.
18. Warum kümmert sich der Gesetzgeber nicht auch
um die Augen, die ja Spiegel der Person sind und auch als Lügendetektor gelten?
Warum werden z. B. farbige Kontaktlinsen nicht vom selbigen Gesetz erfasst:
eine falsche Augenfarbe ist doch auch eine Vortäuschung einer falschen Identität,
widerspricht den Personaldaten im Lichtbildausweis und stellt damit doch
eigentlich ein Delikt dar?
Achtung
Sonnenbrillen: Trotz Kälte könnte jemand den Bedarf spüren, empfindliche Augen
gegen das Sonnenlicht oder dem Schneeweiß zu schützen. Müssen diese Betroffenen
nun ärztliche Atteste bei sich tragen?
19. Kommen wir zum eigentlich Wichtigen: wieviel kg
Makeup darf eine Person im Gesicht auftragen, ohne das Gesicht unkenntlich
gemacht zu haben? Gibt es hierzu professionelle Schminktipps von ExpertInnen?
Ist Permanent Makeup nun gesetzeswidrig?
20. Hochzeiten: wie umgehen mit dem Brautschleier,
den es in so vielen Kulturen gibt? Man stelle sich vor, wie Polizist und
Bräutigam sich darum streiten, wer denn nun den Brautschleier abnehmen darf.
Vielleicht könnte die Modeindustrie etwas entgegenkommen und Brautkleider ohne
Schleier entwerfen. 
21. Das große Ich bin Ich: Reicht ein amtlicher
Lichtbildausweis der Person aus, oder müssen zusätzlich ZeugInnen die Identität
authentifizieren? Müssen all jene Personalien, in denen die Fotos nicht im
Einklang mit dem neuen Gesetz stehen, neu ausgestellt werden? Aus welchem
Budget sollen die Kosten für diesen Personal- und Sachaufwand finanziert
werden?
22. Von enormer Wichtigkeit erscheint mir auch die
Terminologie und die political correctness bei der Bezeichnung dieser
GesetzesbrecherInnen: Anti-Identitäre, radikale Schalisten, extreme
Maskottichisten, fundamentale Bettellobbyisten, Wetterprotagonisten, linke
(Neo)-Schnupfisten, leichtgläubige Humanisten.
23. Welche Anlaufstelle wird sich um Opfer von
nicht gerechtfertigten Anzeigen oder gar Angriffen von selbst ernannten Helfern
der Polizei kümmern? Wohin kann sich ein normaler Polizist wenden, wenn er sich
im Einzelfall einfach nicht sicher ist, ob ein Gesetzesverstoß vorliegt oder
nicht? Oder wenn ein Polizist den Einwänden von Betroffenen nichts mehr
entgegenhalten kann und Frust sich ausbreitet? Zählen Handlungen beider Seiten
im Affekt als Milderungsgrund? Ein diesbezügliches Coaching der BeamtInnen mit
Grafiken und ExpertInnen aus dem Nationalrat könnte womöglich Abhilfe schaffen
und präventiv wirken. Auch eine Hotline für Notfälle zur raschen und
zufriedenstellenden Unterstützung der PolizistInnen sollte unbedingt angedacht
werden. Diese und weitere Kosten könnte man vielleicht auch mit einer
bundesweiten Spendenaktion decken.
24. Ich will
auch einen konstruktiven Beitrag zum Gesetz leisten, um meiner Pflicht als
Bürgerin nach zu kommen:
Nachdem
es keine gesetzlich festgelegte Mindesttemperatur für das Hochziehen von Schals
gibt, schlage ich persönlich der Polizei vor einen Thermometer in ihre
Grundausrüstung einzubauen und die Körpertemperatur als Gesetzesgrundlage heran
zuziehen, bei der man zumindest sicher sagen kann, wann eine Unterkühlung vorliegt,
ohne politisch motivierte oder beliebige individuelle Unter- und Obergrenzen
aushandeln zu müssen. Das Eintreten von roten Nasen, Rotz und ähnlichem,
blauen Fingern, Zehen bis hin zum Erstarren gewisser Körperteile könnte als
Leitfaden in besagter Reihenfolge auch helfen. Stellt sich nur die Frage: wie
stark muss eine Nase rinnen, wieviele Packungen verrotzter Taschentücher müssen
als Beweis vorgelegt werden, damit der Gebrauch von Schals legitimiert ist? Als
Indizien bei frösteln muss auch genauer hingeschaut werden: reicht ein blauer
Zehe oder Finger aus, oder müssen es schon mehr sein? Habe heute dazu noch
einen sehr wichtigen Hinweis von anderen besorgten BürgerInnen erhalten:
solange sich an der Nasenspitze kein Eis bildet, sei ein Schal strikt zu unterlassen.
25. Der 28-jährigen Psychologin Nora Först in Wien
wurde das neue Gesetz bereits vor Eintritt des Winters zum Verhängnis. Die
launen- und witterungsabhängige Regelung, die den VollzugsbeamtInnen einen
Spielraum einräumt, um mit „Fingerspitzengefühl“, d.h. in Samthandschuhen, in
der jeweiligen Situation und nach persönlicher Willkür zu entscheiden, bietet
fairerweise auch Betroffenen diese Option. Plausible Erläuterungen unter
Heranziehung physikalischer und mathematischer Naturgesetze könnten das Gesetz
sogar zu Fall bringen, wie in der Causa Först. Sie argumentierte wie folgt:
„Ich habe auf mein Handy geschaut, und wenn ich nach unten schaue, sind mein
Mund und meine Nase natürlich im Schal“, schildert die 28-Jährige im „Wien
heute“-Interview. „Wenn ich allerdings hochschaue, sieht man mein Gesicht“. Das
habe sie den Beamten auch gesagt. Zitat Ende. Folglich
gelangt man zum einzig logischen Schluss: das Bedienen eines Handys oder eines
anderen Geräts ist während dem Tragen eines Schals zu unterlassen. Es sei denn,
man bedenkt den notwendigen Winkel bei der Beugung zwischen Nase, Schal und
Handy. Wenn dieser bei der Sichtung von PolizistInnen kleiner ist als die
Hypothenuse zum Beamten, empfiehlt es sich eine zackige Bewegung zwecks
Aufrichtung und Augenhöhe zu machen, das Handy direkt vor die Nase, die eigene
versteht sich, zu halten und Beamten über dieses Recht freundlich aufzuklären.
26. Aufklärungsbroschüren: da der
“territoriale Anwendungsbereich das Staatsgebiet der Republik
Österreich” umfasst, ergibt sich daraus zwangsläufig die Notwendigkeit,
bereits vor Betreten des Luftraumes Österreich mit der Aufklärung zu beginnen,
damit Einreisende nicht ungeahnt zu StraftäterInnen werden. Bildliches
Informationsmaterial kann von den Stewardessen ausgehändigt sowie die
Sicherheitsmaßnahmen zu diesem Gesetz in einer One-Minute Video-Show mit
Fallbeispielen demonstriert werden. Zu beachten ist noch die Einschulung des
Pilots in seiner Begrüßungs- und Abschiedsrede mit Verweis auf die
österreichische Neutralität, sodass keine Modifikation des Gesetzes für
irgendwelche Weltenbürger möglich ist. Doppelt hält besser, wenn es um die
Sicherheit von BesucherInnen, Durchreisenden oder TouristInnen geht, da man
keineswegs einen Imageschaden erleiden will: als offenherziger Gastgeber muss
dann selbstverständlich bei der Passkontrolle die mehrsprachige Broschüre zur
neuen österreichischen Kleider- und Gesichtsordnung als Willkommensgeschenk
überreicht werden. 
27. Um das Brainstorming zum Ausmaß dieses
nebulösen Gesetzes etwas zu erleichtern und eine breite Öffentlichkeit mit
einzubeziehen, schlage ich die Bildung von Arbeitsgruppen aus der
Zivilgesellschaft und dem öffentlichen Dienst vor, denen unbedingt folgende
VertreterInnen angehören sollten: Bundessprecher/in der Maskottchenvereinigung,
BundesmeisterIn des Ninja Sportvereins, Bundesvorsitzende/r der Bettellobby,
BundesleiterIn der Elternvereinigung, Bundesvertretung des Vereins Kinder
helfen Erwachsenen, PädagogInnen, führende Unternehmen von Spielwaren, renommierte
Persönlichkeiten und Koryphäen der Modeindustrie bezüglich Haut-Haare-Piercing,
Ärztekammer, PatientInnenanwaltschaft, die Roten Rüben, blauen Kornblumen,
Weisse Rosen, einschlägige Hirnspezialisten der Universität Wien, fachkundige
Seelenklempner mit Expertise in Sachen Regierungstraumatisierung,
KinderpsychiaterInnen und FreudianerInnen, die Niqab tragende saudische
Botschafterin in Wien zwecks Nichtabschreckung von superreichen Touristinnen
aus dem arabischen Raum, der Tourismusverband Österreich und die
KooperationspartnerInnen aller Fluggesellschaften, Niqab Trägerinnen, deren
Teilnahme problemlos gesetzlich erzwungen werden könnte, die Islamische
Glaubensgemeinschaft Österreich, Nora Först, Conchita Wurst und natürlich auch
die Freunde und Helfer des Volkes. Für die bundesweite Spendenaktion sind
entsprechend die größten Hilfsorganisationen einzuladen wie die Gesellschaft
der österreichischen SteuerzahlerInnen, Caritas, Rotes Kreuz, Roter Halbmond
und Licht ins Dunkel, damit etwas Licht ins Dunkel der Gehirnzellen gelangt.
Es gibt
noch viele offene Fragen, sagt der Hausverstand. Um den Kollateralschaden
einzudämmen, bitte ich Sie, werte VertreterInnen des Volkes, um detaillierte
und dem durchschnittlichen IQ unser aller entsprechender Klauseln. Meine
Anfrage gilt in Folge natürlich auch an PolitikerInnen in anderen Ländern, die
ein ähnliches Gesetz der bürgerlichen Unfreiheit in Erwägung ziehen. Bitte
entschleiern Sie indessen Politik und Parteimitglieder im Sinne
„österreichischer Werte“, laut Informationsblatt zum Gesetzestext, wie
Meinungsfreiheit, Glaubensfreiheit, Rechtsstaat und Demokratie. 

Zeigen
wir alle gemeinsam ein menschliches Gesicht und überwinden wir Barrieren in
unseren Köpfen. Das ist DER Schlüssel zur sozialen Interaktion und zu einer WIR
Gesellschaft.