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Corona-Krise: Millionen in Kurzarbeit

von Arbeiterinnenmacht, Untergrundblättl, 12. Mai 2020. „Rettungspakete schnüren“ ist eine
beliebte Phrase der Corona-Berichterstattung geworden. 
Man hat den Eindruck, dass jetzt alle gerettet werden: grosse Firmen und
KleinunternehmerInnen, Scheinselbstständige und auch die Beschäftigten. Wer
wird da wie gerettet und wer bezahlt das genau? Hat das was mit Corona zu tun
oder mit Klassenkampf?





Wer zahlt die
Kurzarbeit?

Das KurzarbeiterInnengeld stammt nicht aus Steuern – im Unterschied zu den
Milliarden, die jetzt direkt an Unternehmen aller Art fliessen –, sondern aus
der Arbeitslosenversicherung. Es wurde von allen sozialversicherungspflichtigen
Beschäftigen eingezahlt. Die Corona-Kurzarbeitswelle wird definitiv ein
Riesenloch in diese Kasse reissen.

Schon Ende März haben fast eine halbe Million
Firmen Anträge auf Kurzarbeit gestellt – viel mehr als bei der grossen Krise
2009, als auf deren Höhepunkt 1,4 Millionen Menschen in Kurzarbeit standen.

Die aktuelle Entwicklung stellt diese Zahlen
längst in den Schatten. Laut Agentur für Arbeit hat mittlerweile jedes dritte
dazu berechtigte Unternehmen Antrag auf Kurzarbeit gestellt. Einer Studie der
Hans-Böckler-Stiftung zufolge dürfte die Zahl der KurzarbeiterInnen
mittlerweile mehr als 
4 Millionen betragen.

Später könnte es zwar einen Ausgleich aus
Steuermitteln geben, den gab es bisher auch schon öfters. Es gab aber auch das
Umgekehrte, nämlich dass Gelder aus der Arbeitslosenversicherung an den
Bundeshaushalt gingen. Aber es gibt bisher keine Aussagen, wie das Loch
finanziert werden soll. Da können Beitragserhöhungen für die Beschäftigten
kommen oder Kürzungen von Leistungen. Die Beschäftigten finanzieren ihre
Kurzarbeit in jedem Falle überwiegend selbst.

Formal zahlen auch die Unternehmen. Der gleiche
Betrag, der den Beschäftigten auf der Lohnabrechnung abgezogen wird, wird auch
vom Unternehmen noch einmal überwiesen. Aber in der Gewinn- und Verlustrechnung
der KapitalistInnen steht immer beides unter „Lohnkosten“ – das Brutto, von dem
die Sozialversicherung gezahlt wird, und die sogenannten
Arbeit„geber“Innenbeiträge. Eine reine Verschleierung also, mit der immer
begründet werden kann, wenn Beiträge der Arbeitenden wieder den
UnternehmerInnen zugeschanzt werden sollen, was zum Beispiel auch als
„Lohnkostenzuschuss“ bei Langzeitarbeitslosen geschieht.

Wer bekommt das
Geld?
Das KurzarbeiterInnengeld wird nicht direkt von der Bundesagentur
ausbezahlt, sondern an die Unternehmen, die es wiederum an die Beschäftigten
weitergeben. Was der Bundestag jetzt wirklich anderes beschlossen hat, ist,
dass die Unternehmen nicht nur das KurzarbeiterInnengeld erstattet bekommen,
sondern auch noch die Beiträge zur Renten- und Krankenversicherung, die sie
nach der bisherigen Rechtslage weiter zahlen mussten. Diese zusätzlichen Kosten
werden jetzt also auch aus dem Topf der Gelder genommen, die die Beschäftigten
bezahlt haben. Also ein weiterer Transfer in Richtung Kapital.

Die Kurzarbeitenden bekommen für den Zeitanteil,
den sie kurzarbeiten, 60 bzw. 67 % vom Netto.

Das ist ein rechnerisches Netto, das mit
Standardabzügen bei den Sozialabgaben und Steuern operiert. Den höheren Betrag
gibt es dann, wenn ein Kind auf der Steuerkarte steht. Bei 100 % Kurzarbeit
bedeuten 60 % vom Netto, dass das für viele weniger als Hartz IV ist.

Hinzu kommt, dass in der aktuellen Krise –
anders als 2009 – Menschen mit geringem und mittlerem Einkommen besonders stark
von Kurzarbeit betroffen sind und diese zumeist in Betrieben arbeiten, die
dieses Geld auch nicht „aufstocken“ (wie es z. B. in der Metall- und
Elektroindustrie oft tariflich vereinbart ist).

Entgegen der Behauptung, dass das
KurzarbeiterInnengeld „steuerfrei“ sei, müssen davon Steuern gezahlt werden.
Der Trick: Der Betrag selbst wird nicht versteuert, aber er führt zu einem
höheren Steuersatz: Also paar Prozent mehr Steuern auf das restliche Jahreseinkommen.
Das wird „Progressionsvorbehalt“ genannt.

100 % Kurzarbeit bringen also einen heftigen
Verlust an Einkommen – anders, als wenn z. B. in einer Konjunkturkrise jemand
20 oder 40 % KurzarbeiterInnengeld erhält und für den Rest weiter den vollen
Lohn.

Andere Formen der
Kurzarbeit
Neben der staatlich regulierten Kurzarbeit gibt es auch tariflich oder
betrieblich geregelte Formen. Auch zu Beginn der Corona-Krise waren viele
Beschäftigte offiziell ja gar nicht in Kurzarbeit, sondern mussten Stunden aus
Zeitkonten („Plus-Stunden“, „Gut-Stunden“, manchmal auch „Überstunden“ genannt,
was zu Verwechslung mit Mehrarbeit führen kann, die ausbezahlt wird) abbauen
oder sogar ins Minus gehen. Das bedeutete dann, dass sie keinen Lohnverlust
erlitten, sondern erzwungene Freizeit nehmen mussten. Auch Urlaubsnahme auf
Druck der Firma gab es.

Tarifliche Formen der Kurzarbeit gibt es unter
anderem in der Metall- und Elektroindustrie. Einmal als Ergänzung, falls die
Dauer der staatlich regulierten Kurzarbeit abgelaufen ist. Dabei wird vor allem
das Urlaubs- und das Weihnachtsgeld umgewidmet. Zum Zweiten gibt es seit drei
Jahren das „Tarifliche Zusatzgeld“ (T-ZUG), eine dritte Einmalzahlung im Juli,
die unter bestimmten Bedingungen (Kinderbetreuung, Pflege, Schicht) in Freizeit
umgewandelt werden kann. Dieses T-ZUG, das manche als Neueinstieg in die
Arbeitszeitverkürzung gepriesen haben, hat sich schnell als zusätzliches
Kurzarbeitsinstrument erwiesen. Betriebsräte vereinbaren dies oft als
Zwangsregelung für alle. Im Normalfall bedeutet das 8 weitere Tage
Arbeitsausfall, zu 75 % von den Beschäftigten bezahlt.

Es gibt zusätzliche tarifliche und betriebliche
Regelungen, nach denen das KurzarbeiterInnengeld von der Firma aufgestockt
wird. Da werden oft andere Entgeltbestandteile wie Urlaubs- oder
„Weihnachts“geld mit verrechnet. In jedem Fall muss diese Aufstockung voll
versteuert werden. Sie findet also als „brutto“ statt. Wenn mit diesem Brutto
auf 100 % des üblichen Netto aufgestockt wird, kommt daher am Ende trotzdem
weniger als 100 % des üblichen Netto raus.

Dabei darf man aber all diejenigen nicht aus den
Augen verlieren, die aus solchen Regelungen ganz herausfallen.
Das sind heute geschätzt 30 bis 40 %
der Beschäftigten:

  • LeiharbeiterInnen, die nach wie vor einfach
    von den Entleihfirmen „abgemeldet“ und von den Verleihfirmen entlassen
    werden.
  • Leute im Niedriglohnbereich, die zwar auch
    Sozialbeiträge bezahlen, deren KurzarbeiterInnengeld, wenn sie es kriegen,
    aber meist weit unter Hartz IV liegen würde.
  • Scheinselbstständige und
    Solo-UnternehmerInnen, die niemand ausbeuten und durch so gut wie nichts
    gesichert sind.
  • Der ganze graue und schwarze Arbeitsmarkt: Es
    wird viel über die armen Bauern/Bäuerinnen geredet, die keine
    SaisonarbeiterInnen holen dürfen. Wer redet von den SaisonarbeiterInnen,
    deren Einkommen entfällt, die davon das ganze Jahr leben müssen? Oder den
    illegalen Pflegekräften in Familien, von denen 90 % „illegale“
    EU-AusländerInnen sind?
    In diesem Bereich arbeiten
    geschätzt 3–4 Millionen Menschen.
Auch wenn in vielen dieser Arbeitsverhältnisse (Leiharbeit, Niedriglohn,
Saisonarbeit) auch Beiträge in die Sozialversicherung bezahlt werden, fallen
die meisten Betroffenen durch alle Rettungsringe durch, ausser vielleicht in
Einzelfällen die Selbstständigen.
Wem nützt die
Kurzarbeit?
Natürlich den Unternehmen. Die können durch Kurzarbeit und die flexiblen
Arbeitszeitmodelle ihre Personaldecke ganz wunderbar an die Auftragslage
anpassen. Kündigungsschutz und lange Kündigungsfristen verhindern zwar, dass es
in Deutschland so wie in den USA läuft, dass die Leute einfach von jetzt auf
nun entlassen werden, aber durch die Kurzarbeitregelung zahlen sie es zum ganz
grossen Teil selbst.

Die Rettungspakete helfen also sehr eindeutig
vor allem der „Wirtschaft“ oder genauer dem Kapital.

Corona und
Konjunkturkrise
Während die Beschäftigten in Krankenhäusern und im Lebensmittelhandel
überlastet sind, hat in anderen Sektoren die Krise schon früher zugeschlagen.
Die Autoindustrie, das Paradepferd des deutschen Exports, befindet sich schon
seit einem Jahr in einer Krise, die sich stetig verschärft.

Die IG Metall geht davon aus, dass in den
nächsten Jahren 50.000 Arbeitsplätze in der Autoindustrie wegfallen und weitere
180.000 durch Digitalisierung und E-Mobilität gefährdet sind.

Andere Quellen sagen, dass schon im Jahr 2019
über 50.000 Arbeitsplätze gestrichen worden sind. Die Nationale Plattform
Mobilität (NPM), ein grosses BeraterInnengremium der Bundesregierung, rechnet
vor, dass 410.000 Arbeitsplätze wegfallen könnten, rund die Hälfte der Branche.

Was in den einzelnen Betrieben geplant wird,
bestätigt solche Befürchtungen: Das Problem ist nicht nur, dass für E-Autos
weniger Arbeitskräfte gebraucht werden als für solche mit Verbrennungsmotoren,
sondern dass die Unternehmen neue Produktion nicht in Deutschland ansiedeln und
zusätzlich die Verbrennungstechnologie ins Ausland verlagern. Schuld ist ihre
verschärfte Konkurrenz, die sich in einem globalen Preiskampf manifestiert.
Zusätzlich und gerade deshalb werden natürlich die neuesten
Rationalisierungsmöglichkeiten genutzt, weil sie einen kurzfristigen
Kostenvorsprung versprechen.

Für alle vom Kapital und seiner Konkurrenz
verursachten Probleme – verfehlte Produkte, Klimakatastrophe, Handelskriege und
digitale Modernisierung – sollen also die Beschäftigten zahlen.

Das alles galt bereits, bevor Corona zur
Pandemie geriet. Seitdem hat sich die Lage für die Beschäftigten verschärft.

Kurzarbeit und
Gewerkschaft
Der Vorsitzende der IGM, Hofmann, lobt in der April- Ausgabe der „metall-zeitung“
den „Schutzschirm für die Beschäftigten und die Betriebe“, den die IGM
gefordert, sowie die Aufstockung auf das KurzarbeiterInnengeld, die sie
vereinbart hat. Dass hierbei auf die von den Beschäftigten bezahlte
Arbeitslosenversicherung zurückgegriffen wird, ist für ihn kein Thema. Auch
nicht, dass die Beschäftigten auf eine Tariferhöhung verzichten müssen dadurch,
dass der Vorstand die Tarifrunde abgesagt hat. Laut Hofmann ist sie übrigens
nicht „ausgefallen, sondern sie wird im Dezember nachgeholt“. Also wie: zwei
Tarifrunden in einem Dezember?

Vor Corona hatte die IGM-Spitze das Problem der
bedrohten Arbeitsplätze immerhin noch wahrgenommen und Proteste organisiert. In
der Tarifrunde sollte das zum Thema gemacht werden – wenn auch mit untauglichen
Vorschlägen verbunden: Der Vorstand wollte Zukunftsvereinbarungen mit den
einzelnen Unternehmen abschliessen, was im Gegenzug sicher mit viel Verzicht
bezahlt worden wäre. Wir dagegen wären für gemeinsamen Widerstand und Streiks
gewesen – gegen Schliessungen und für Arbeitszeitverkürzung für alle bei vollem
Lohnausgleich: Also fordern statt betteln, gemeinsam statt „Jede Bude für
sich“, kämpfen statt verzichten!

Jetzt hat die IGM-Führung sogar noch auf ihr
Bettelprogramm verzichtet. Das Problem der bedrohten Arbeitsplätze kommt nicht
mehr vor. Sie hat nichts in der Hand, die Unternehmen aber haben freie Bahn!

Also keine Diskussion, ob die Unternehmen
eigentlich kurzarbeiten, weil sie die Gesundheit schützen oder weil die Krise,
die sich seit Herbst abzeichnet, jetzt voll angekommen ist. Also keine Kritik
an der Kurzarbeitregelung, keine Hinweise seitens der Führung auf die Gefahren
für die Arbeitsplätze.

Die Praxis in den
Betrieben
Wenn eine Firma z. B. 20 % Kosten sparen will, also Leute abbauen und Werke
oder Abteilungen dichtmachen, wie geht sie jetzt vor?

Sie beantragt in dem Werk, das sie dichtmachen
will, 100 % Kurzarbeit, verlagert die Arbeit, und macht das Werk gar nicht erst
wieder auf. Bei den Angestellten und FacharbeiterInnen, bei denen sie einen
Teilabbau will, wird sie einen Teil der Leute arbeiten lassen und die „low
performer“, wie Manager sie nennen, so lange wie möglich in 100 % Kurzarbeit
lassen. Richtig mürbe machen, richtig die Belegschaft spalten. „Alle gemeinsam
durch die Krise“? Von wegen!

Sie wollen die Beschäftigten zahlen lassen und
ihre Taktik ist dabei immer zu spalten. Das haben sie vorher getan, das tun sie
jetzt wieder. Das geht auch international: Es gibt schon jetzt Konzerne, die
haben in Europa dicht – aber produzieren in China und Japan, Brasilien oder
Mexiko.

Da können Betriebsräte übrigens etwas tun:
Kurzarbeit findet nur statt, wenn die Betriebsräte mitmachen. Es gibt
Betriebsräte, die fordern verbindliche Vereinbarungen und überwachen, wer wie
viel Kurzarbeit macht und wer wann raus genommen wird, wenn wieder Arbeit
anliegt. Betriebsräte können auch die Gesundheitsbedingungen, zum Beispiel
Abstandsregeln, kontrollieren. Die wenigsten Betriebsräte fordern das bzw.
setzen es auch durch.

Aber in manchen Unternehmen gibt es
Auseinandersetzungen um die Arbeitssicherheit, z. B. um die Abstände der
Sitzplätze in Callcentern, die gerade boomen.

Anderswo lassen sich Beschäftigte nicht ins
Home-Office schicken, weil sie wissen, dass es schwer wird, das zurückzudrehen.
Genauso wie die Verlängerung der täglichen Arbeitszeit, die jetzt z. B. Bayern
durchgesetzt hat und die die UnternehmerInnen schon lange fordern. Bisher im
Namen einer modernen Arbeitswelt, jetzt im Namen des Notstandes.

Kurzarbeit und
Klassenkampf
Kurzarbeit, haben wir gesehen, ist eine Regelung, die komplett von
Sozialpartnerschaft geprägt ist. Es wird so getan, als sei sie genauso im
Interesse der AusbeuterInnen wie der Ausgebeuteten. Teil eines „Schutzschirms
für die Betriebe und die Beschäftigten“, wie Hofmann sagt.

Es wird geradezu verschleiert, wer eigentlich
zahlt, und wem sie eigentlich nützt, wird nicht diskutiert. Für Betriebsräte
und Gewerkschaften ist es ein Regelungsinstrument, für die Unternehmen die
Fortsetzung der Ausbeutung mit anderen Mitteln.

Natürlich soll damit – wie mit allen
partnerschaftlichen Regelungen – Widerstand verhindert werden. Lieber
Kurzarbeit statt Entlassung. Lieber Abfindung als gar nichts. Natürlich wird
damit viel Eigeninitiative erstickt. „Mal schauen, was die wieder für uns
geregelt haben“, sagte im Fernsehen ein VW-ler vorm Tor. Maximal schimpft man
drüber, tut aber nichts.

Kurzarbeit ist ein Beispiel, wie scheinbar im
Interesse der Arbeitenden vorgegangen wird und tatsächliche Errungenschaften
der ArbeiterInnenklasse durch die Sozialpartnerschaft und die Einbindung in den
bürgerlichen Staat deformiert werden, ihren Sinn verlieren und sich gegen die
Klasse richten.

Lange Kündigungsfristen, Kündigungsschutz und
Arbeitslosenversicherung sind wirkliche Errungenschaften, die in vielen Kämpfen
zum Teil mit Streiks durchgesetzt wurden. Sie verhindern, dass die
UnternehmerInnen die Krisen und Schwankungen ihres anarchischen Systems
ungebremst auf die ArbeiterInnenklasse abwälzen können, die ihrerseits auf den
Verkauf ihrer Arbeitskraft angewiesen sind.

Aber die ArbeiterInnenklasse hat keine Kontrolle
über diese Versicherung und damit über ihre Beitragsgelder. Die Unfall-,
Kranken- und Rentenversicherung wurde vom Staat unter Bismarck eingeführt, als
die deutsche Bourgeoisie sich einer ständig wachsenden ArbeiterInnenbewegung
gegenüber sah, die Arbeitslosenversicherung 1927 kurz vor Ausbruch der Grossen
Depression. Die Sozialversicherung sollte gewissermassen das Zuckerbrot für das
Proletariat im Kampf gegen die Sozialdemokratie darstellen, die integrative
Ergänzung zu den Sozialgesetzen. Auch wenn Bismarck mit den
SozialistInnengesetzen scheiterte, so verweist die Geschichte der
Sozialversicherung darauf, dass mit solchen Reformen immer auch eine
Integration der unterdrückten Klasse verbunden ist.

Das drückte sich übrigens auch in der Politik
von SPD und Gewerkschaften aus, die schon früh aufhörten, um die alleinige
Kontrolle über diese Gelder zu kämpfen. Unter dem Vorwand der oben erwähnten,
angeblich „paritätischen“ Finanzierung wurde den KapitalistInnen, gegen deren
Willkür sich ja eigentlich die Versicherung richtet, eine gleichberechtigte
Mitsprache gewährt und das ganze unter staatliche Oberaufsicht gestellt. Mit
den Hartz-Reformen im Rahmen der Agenda 2010 wurde die Kontrolle der
Gewerkschaften dann praktisch ganz beendet – ohne wesentlichen Widerstand
dieser. Also entscheidet der bürgerliche Staat allein über die Verwendung der
Gelder der ArbeiterInnenklasse und diese haben letztlich den Charakter einer
Sondersteuer angenommen.

Die Gewerkschaften und Betriebsräte benutzen in
ihrem immer engeren Schulterschluss mit den Unternehmen die Kurzarbeit als
gemeinsames Steuerungsinstrument, so wie sie das trotz aller Sonntagsreden auch
bei der Leiharbeit tun. Die Kurzarbeit kam in der letzten Krise vor allem den
besserverdienenden Schichten der ArbeiterInnenschaft zugute, insbesondere in
der Autoindustrie. Gerade da, wo wie Kollaboration der Gewerkschaften mit dem
Kapital am engsten ist, floss das meiste Geld.

Was wir wollen
Es wichtig zu
verstehen, was hier abläuft: wie die ArbeiterInnenklasse betrogen wird und das
nicht nur bei der Sozialversicherung; wie Betriebsräte und Gewerkschaften dabei
mitmachen – oftmals mit dem kurzsichtigen, beschränkten Blick darauf, was
„realistisch“ erscheint und was mit möglichst wenig Kampf gegen das Kapital
„erreicht“ werden kann. Wie dadurch gerade die gewerkschaftlich besser
organisierten und meist auch besser bezahlten Teile der Klasse teilweise
befriedigt werden, meist auf Kosten von anderen Teilen. Wie erstere durch
dieses „Uns geht es ja doch noch ein bisschen besser“ geradezu erzogen werden,
ihre Privilegien zu verteidigen und unsolidarisch zu handeln. Was letztlich zu
diesem bekannten Bild der ArbeiterInnenklasse in Deutschland als passiv und
unsolidarisch führt.

Mit diesem Verständnis ist es möglich, eine
Strategie zu entwickeln, die die Errungenschaften der Klasse von dem Kleister
der SozialpartnerInnenschaft befreit, zum Beispiel die Kurzarbeit nicht
hinnimmt, sondern einerseits für die alleinige Kontrolle über die
Arbeitslosenversicherung durch die Gewerkschaften eintritt und anderseits für
eine Umverteilung der Arbeit auf alle bei vollem Lohn- und Personalausgleich,
was Kurzarbeit und Arbeitslosigkeit im Kern bekämpft.

Damit ist klar, dass die Gewerkschaften, von der
Fuchtel der Bürokratie befreit werden müssen: von ihrer Anbindung an den
bürgerlichen Staat und der Unterwerfung unter die Interessen der
KapitalistInnen, in jedem einzelnen Unternehmen und in ihrer Gesamtheit; von
einer Politik, die die Klasse nicht vereinigt, sondern in Einzelinteressen
aufspaltet und dabei sich vor allem auf die bessergestellten Teile und ihre
Privilegien stützt. MarxistInnen nennen diese Teile die
„ArbeiterInnenaristokratie“.

Dafür ist ein systematischer Kampf nötig, der in
den Gewerkschaften geführt werden muss, der sich aber nicht nur darauf
beschränken darf und hochpolitisch ist. Er muss auch in die Parteien getragen
werden, die sich auf die Gewerkschaften und ihren Apparat stützen, also SPD und
DIE LINKE, sowie auch an alle Bewegungen, die sich auf irgendeine Weise mit den
Problemen befassen, die aus dem Kapitalismus kommen: die MieterInnenproteste
und vor allem die Umweltbewegungen.

Das Thema Kurzarbeit und der Umgang damit sind
aktuelle Beispiele, wie die sozialpartnerschaftliche Anpassung der
reformistischen Gewerkschaftsführungen schon jetzt den Weg bereitet, dass wir
wieder für die Krise des Kapitals zahlen sollen und das mehrfach. Eine Kopie
der IG-Metall-Strategie von 2009/10, mit Kurzarbeit, mehr Niedriglohnbereichen
und Abwrackprämien das deutsche Exportkapital auf Kosten der ausländischen
Konkurrenz zu stärken und so Arbeitsplätze zu sichern, wird angesichts der
Autokrise und von Handelskrieg noch viel weniger funktionieren. Vor allem auch,
weil seitens der KapitalistInnen überhaupt keine Bereitschaft sichtbar ist,
sich auf solches einzulassen. Sie haben anderes vor. Trotzdem hat die IG Metall
als stärkste Gewerkschaft Corona zum Anlass genommen, vor den seit vielen
Monaten geplanten und begonnen Angriffen seitens des Kapitals erbärmlich zu
kapitulieren.

Die sklavische Unterordnung der
Gewerkschaftsführungen unter das Kapital, dass sie um Almosen betteln, statt
die Kraft der organisierten Mitglieder zu nutzen, um die ganze Klasse zu
mobilisieren, kann nur durch zwei Dinge gebrochen werden: einerseits durch ein
klares politisches Verständnis, dass es nötig ist, den Kapitalismus zu stürzen,
weil dieses System die Welt in den Untergang führt. Zweitens dadurch, dass
dieses System in seinem Weg in die Barbarei immer mehr Leute vor die Wahl
stellt, zu kämpfen oder schweigend unterzugehen.

So wird die beginnende Krise Hunderttausende vor
diese Wahl stellen und es ist dann entscheidend, dass es eine Kraft in der
Gewerkschaftsbewegung gibt, die Forderungen und Vorschläge machen kann, die
sich gegen die Quelle des Problems, die Ausbeutung der Arbeitenden zur
Vermehrung des Profits, richten. Wir brauchen eine klassenkämpferische
Basisbewegung und mit der Vernetzung für kämpferische Gewerkschaften hat sich
ein hoffnungsvoller Ansatz dafür gebildet. Eine klassenkämpferische
Basisbewegung ist der Schlüssel dafür, dass die ArbeiterInnenklasse wieder zur
Akteurin wird und aufhört, Objekt der Ausbeutung durch das Kapital und der
politischen Bevormundung durch die Bürokratie zu sein.