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Kaum jemand spricht über die Finanzierung der Corona-Folgen

Von Urs P. Gasche, Infosperber, 13. Mai 2020. Milliarden werden aus dem Hut gezaubert. Wer sie zurückzahlen soll, bleibt offen. Eine Mikrosteuer wollen weder Linke noch Grüne. «An den Kosten werden wir noch Jahre zu kauen haben», erklärte Thomas Jordan, Präsident der Schweizerischen Nationalbank, in der «Sonntags-Zeitung» vom 10. Mai. Und Finanzminister Ueli Maurer klagte in der NZZ vom 29. April: «Mir ist es nicht mehr wohl in meiner Haut.» Schon jetzt sei klar, dass «wir Steuern und Lohnbeiträge … erhöhen müssen, um die Sozialwerke zu sichern». Und «ab 2022 könnte ein grösseres Sparpaket zum Thema werden».



Wer soll
die Corona-Milliarden wieder in die Staatskasse bringen?



Sparen wird das mehrheitlich bürgerliche Parlament
kaum bei den Milliarden für neue Kampfflugzeuge. Im Vordergrund stehen vielmehr
ein höheres Rentenalter und ein Abbau von Sozialleistungen. Die Entwicklungshilfe
wird wieder in Frage gestellt und ein Abbau von Umwelt- und Klimaauflagen
gefordert werden.
SP schlägt höhere Steuern für Reiche und für Erben
von mehr als zehn Millionen vor
Linke und Grüne unterstützen die grosszügigen
finanziellen Hilfen für die Wirtschaft. Wegen der Milliardenausgaben und des
Lockdowns «steuern wir auf eine katastrophale Situation zu», meinte zwar
SP-Präsident Christian Levrat. Doch er würde allen Einwohnern noch zusätzlich
je 200 Franken auszahlen lassen, «um die Gastronomie und den Tourismus zu
unterstützen», erklärte Levrat im Tages-Anzeiger vom 24. April.
Zur Finanzierung des
Milliarden-Mannas schlägt Levrat höhere Steuern für Einkommen von über 300’000
Franken, eine höhere Bundessteuer sowie eine Erbschaftssteuer auf Geerbtes von
über zehn Millionen vor – «nur so lange», schränkt er ein, «bis wir wieder
finanziell auf sicherem Boden sind». Man kann gespannt sein, wie Levrat für
diese Vorschläge im Parlament eine Mehrheit zimmern will.
Die ganze Finanzbranche dagegen will der SP-Chef
offensichtlich ungeschoren lassen, obwohl die Banken zu den Corona-Gewinnern
gehören. UBS, Credit Suisse und grosse Kantonalbanken wiesen von Januar bis
Ende März hohe Gewinne aus. Die Nationalbank subventioniert die Finanzbranche
mit künstlich tiefen Zinsen und gewährt ihnen «eine Reihe von regulatorischen
Erleichterungen», wie Nationalbank-Präsident Jordan erklärte. Das spottbillige
Geld nutzen Grossbanken auch für kurzfristig lukrative Spekulationsgeschäfte
mit Derivaten und dergleichen.
Vorschlag einer temporären Mikrosteuer auf
Finanztransaktionen
Der Vorschlag einer rasch
einzuführenden temporären Mikrosteuer
 auf allen elektronischen Geldtransfers kam
Mitte April von den Initianten der 
Volksinitiative zur Einführung einer Mikrosteuer auf allen
elektronischen Geldtransaktionen. Diese 
Mikrosteuer soll mittelfristig vor allem die heutige
bürokratische und unsoziale Mehrwertsteuer vollständig ersetzen.
Eine leicht abgespeckte «Corona-Mikrosteuer» könnte
die riesigen Löcher stopfen, welche die Corona-Epidemie in den Haushalten von
Bund, Kantonen, Firmen und Selbständigen reisst. Die vorgeschlagene zeitlich begrenzte
Mikrosteuer könnte innerhalb von nur drei Monaten einen Ertrag von bis zu
zwanzig Milliarden Franken bringen, schätzen die Initianten.
Der Zürcher Finanzprofessor Marc Chesney,
Mitinitiant der Mikrosteuer-Initiative, analysiert die Lage wie folgt:
«Die Zahl der
Kurzarbeitenden, der Konkurse und der Arbeitslosen steigt, während die
Finanzspekulation wie gewohnt und im grossen Stil weitergeht. Die Wetten auf
die Insolvenz von Unternehmen und sogar von Ländern nehmen international zu.
Enorme Summen werden eingesetzt und gigantische und schamlose Gewinne erzielt.»


Eine Mikrosteuer von beispielsweise mickrigen 0,1 Prozent auf jeder
Transaktion dieser Finanzakteure (je 0,05 Prozent beim Zahlenden und beim
Empfänger) würde die enormen Kosten der Krise besser verteilen. Die Coronakrise
sei eine «ideale Gelegenheit, um die Mikrosteuer in der Praxis zu testen»,
meinte Chesney.
Fast alle Parlamentarier der SP, Grünen und GLP
schweigen oder äussern Bedenken
Eine Infosperber-Umfrage bei fast allen National-
und Ständeräten der SP, der Grünen und der GLP ergab, dass eine
Mikrosteuerfinanzierung der Corona-Kosten bei ihnen keine Chance hat. Nur acht
dieser Parlamentarier haben kurz Stellung genommen (siehe ganz unten).
«Ich bin enttäuscht, aber nicht überrascht»,
sagt Jacob Zgraggen, früheres Mitglied der Geschäftsleitung der
Bank Julius Bär und Mit-Initiator der Mikrosteuer-Initiative. Allerdings wäre
eine kurzfristige Umsetzung «kompliziert», räumt er ein, weil Finanzflüsse, auf
denen heute die Mehrwertsteuer erhoben wird, von der Corona-Mikrosteuer
ausgenommen werden sollten.
Auch Vermögensverwalter Felix Bolliger,
der die Idee einer Mikrosteuer entwickelt hatte, bedauert die flaue Reaktion.
«Die automatische Mikrosteuer ist eine schmerzfreie Steuer auf dem gesamten
Zahlungsverkehr. Sie könnte Geldmittel zur Überbrückung der Covid-geschädigten
Wirtschaft generieren, ohne dem Staat einen neuen Schuldenturm aufzuzwingen.»
Im aufgeblähten Finanzsektor gebe es beispielsweise
allein für die Schweiz bei den Derivatsgeschäften 1,36 Billionen offene
Positionen. Skeptiker der Mikrosteuer hätten vielfach keine Vorstellung von der
«Enormität des Finanzsektors». Sie würden an den Lippen der «etablierten»
Experten hängen und hätten wenig Ahnung davon, was etwa «leveraged short
selling» sei. Leider würden die Mechanismen des heutigen Finanzsektors weder
analysiert noch hinterfragt.
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Eingegangene Stellungnahmen der Parlamentarier
Infosperber hatte folgende Frage gestellt:
Könnten Sie sich vorstellen, eine sofortige,
zeitlich begrenzte Mikrosteuer auf allen elektronischen Geldtransaktionen, die
nicht der Mehrwertsteuer unterliegen, zu unterstützen?
Bruno Storni, Nationalrat SP Tessin
«Ja, habe schon davon gelesen, kenne aber nicht
viel davon, da ich mehr in anderen Bereichen politisiere.»
Tamara Funiciello, Nationalrätin SP Bern
«Grundsätzlich unterstütze ich die Idee. Was ich
nicht unterstütze, ist der Ersatz all dieser Steuern – vor allem nicht
zeitgleich. Das finde ich falsch und auch gefährlich. Die Planungssicherheit
wäre nochmals um einiges schwieriger.»
Yvonne Feri, Nationalrätin SP Aargau
«Ich finde die Mikrosteuer seit längerer Zeit ein
spannendes Projekt und habe mich bereits mehrmals mit Oswald Sigg darüber
unterhalten. Warum nicht gleich definitiv einführen? Ja, ich kann mir
vorstellen, so etwas zu unterstützen. Wer/wie bringen Sie das auf die
politische Ebene?»
Beat Jans, Nationalrat SP Basel
«Ich halte die Finanztransaktionssteuer für ein
sehr interessantes Instrument, das längst weltweit hätte eingeführt werden
müssen. Ich habe allerdings Fragen dazu, welche ich auch schon mündlich an
Herrn Chesney gestellt hatte, ohne eine befriedigende Antwort zu erhalten.
  1. Wie
    ergiebig ist die Finanz-Mikrosteuer? Das hohe Ertragspotential, das ihr
    zugeschrieben wird, hat meines Erachtens vor allem damit zu tun, dass der
    Handel heute hochfrequent im Mikrosekundentakt abläuft. Die Gewinne, die
    pro Transaktion gemacht werden, sind sehr klein. Bei einer Besteuerung
    würden die Trader ihre Algorithmen umprogrammieren. Das Handelsvolumen
    würde einbrechen. Wie viel bliebe dann noch übrig? Könnte man dann immer
    noch Milliarden generieren?
    Ich habe da ganz
    grosse Zweifel.
  2. Wie
    wird die Steuer vollzogen? Wie kommen die kantonalen Steuerbehörden an die
    Informationen zur Steuererhebung? Ich kann mir nicht vorstellen, dass es
    möglich ist diese Vollzugsaufgabe schnell und rechtssicher auf die Beine
    zu stellen.»
Corina Gredig, Nationalrätin GLP Zürich
«Spannend als Gedankenexperiment, aber praktisch
nicht umsetzbar. Wir können nicht rasch eine Steuer einführen, ohne die
kollateralen Schäden und Auswirkungen auf das ganze Steuersystem zu
analysieren. Führen wir eine solche Steuer nur in der Schweiz ein, gibt es vor
allem einen Effekt: Teile des Finanzsektors zügeln ihre Tätigkeiten an Orte, wo
es keine solche Steuer gibt.»
Melanie Mettler, Nationalrätin GLP Bern
«Ich habe mich noch nicht im Detail mit der
Mikrosteuer auseinandergesetzt. Ich finde aber die Idee einer Mikrosteuer schon
seit meiner Studienzeit sehr spannend. Kurzfristig, mit dem Ziel einer
Umsetzung innert weniger Monate, sehe ich vor allem Hindernisse bei der
technischen Umsetzung: Es bräuchte einen Standard und Softwareinvestitionen für
die Verarbeitung der Daten seitens Banken und Steuerverwaltungen, die ich als
nicht ganz trivial ansehe. Aber zur Bewältigung der Coronaschulden, wie Sie das
vorschlagen, wäre ja grundsätzlich nicht eine Umsetzung innert Monaten nötig.»
Katharina Prelicz-Huber, Nationalrätin Grüne Zürich
«Ich könnte mir vorstellen, den Vorschlag zu
unterstützen.»
Christophe Clivaz, Nationalrat Grüne Wallis
«Oui je pourrais soutenir à titre personnel
cette proposition pour un financement supplémentaire temporaire. Concernant
l’initiative qui vient d’être lancée, je suis plus réservé mais je dois encore
étudier le dossier.»