Giulio Di Luzio – Der Kapitalismus ist an sich rassistisch
Von Milena Rampoldi, ProMosaik, 15. April 2021. Anbei mein Interview mit dem italienischen Schriftsteller Giulio Di Luzio. Heute hat ProMosaik die deutsche Übersetzung seiner Erzählung über die Tanzwut veröffentlicht. Wir haben über Journalismus und Schriftstellerei und die Themen seiner Werke gesprochen und auch darüber, warum es in Italien besonders in diesem Moment so wesentlich ist, sich gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit aufzulehnen.
Warum hast du dich für den Journalismus und die Schriftstellerei entschieden, um dich für eine bessere Welt einzusetzen?
Ich habe mich für eine Art von Journalismus entschieden, der, wie meine Entwicklung zeigt, in die Lage versetzt, den Themen der neuen Verdammten der Erde, wie den Einwanderern, eine Stimme zu verleihen. Diese werden in der aktuellen strukturellen Krise des westlichen Kapitalismus als menschlicher Müll angesehen. Diese Menschen sind die Prekären, die Arbeitslosen und die im Dschungel der Schwarzarbeit Unterbeschäftigten. Es folgten die Bücher, Essays und Romane.
Welche sind die Hauptthemen deiner Recherchen?
Die Beziehung zwischen der Information und den zeitgenössischen Phänomenen wie zum Beispiel Einwanderung und Arbeitswelt. Heute beeinflussen vor allem die Mainstream-Medien mit ihren hegemonischen Narrativen die Wahrnehmung der öffentlichen Meinung. Epochale und natürliche Phasen, welche die Menschheit seit dem Beginn ihrer Geschichte durchläuft, wie beispielsweise die Migration ganzer Gemeinschaften von einem Ort zum anderen des Planeten, werden als kriminelle Phänomene dargestellt. Sie werden sogar in Verbrechen verwandelt. Um diese letzteren kümmert sich dann eine konsoziative und transversale Klasse von Politikern. Dies geschieht in Italien, wo die Linke vollkommen aus dem Parlament verschwunden ist.
Warum hast du dich für die erzählerische Form als Ausdrucksmittel entschieden?
Ich habe mich für die Literatur entschieden, weil sie unendliche Möglichkeiten bieten, um die großen Knotenpunkte unseres Zeitalters zu vertiefen. Ich habe eine ethische und existenzielle Wahl getroffen, welche die Veröffentlichung meiner Bücher schwierig gestaltet. Denn die italienische Verlagsbranche ist vollkommen abgeflacht auf Marketing und Ausweicherzählformen. Diese fordern den Leser nicht mit Fragen heraus, sondern verpassen ihm Streicheleinheiten durch banale und konformistische Themen.
Was bedeutet der Rassismus für dich und wie kann man ihn bekämpfen?
Der Rassismus verweist auf eine Gesellschaft, in der Profit um jeden Preis und die Vermarktung von Menschen, ob schwarz oder weiß, an erster Stelle stehen. Die Einwanderer gelten in dieser kranken Anschauung als der Ausdruck der schwächsten Personen. Dem Rassismus widersetzt man sich durch Information, Kultur, Bildung und durch den Kampf gegen die Rassisten, die oft auch in den Regierungen des demokratischen Westens zu finden sind.
Warum sind ethnografische Themen wie die Tanzwut so unbekannt? Worin besteht der Kern des Problems der Frauen in den patriarchalischen Gesellschaften wie der Süditaliens?
Die Tanzwut in Italien wird seit einiger Zeit untersucht. Sie bleibt aber ein Nischenthema der Forschung und der Hochschulbildung. Außerhalb Italiens ist sie weitgehend unbekannt. Die Tanzwut war das Zeichen der soziokulturellen Rückständigkeit Süditaliens, wo das Phänomen noch bis vor zwanzig Jahren vorhanden war. Die Frau war das Symbol dieser Rückständigkeit. Es waren Jahrzehnte politischer Kämpfe erforderlich, um ihren Zustand zu verändern. Die Tanzwut drückte dieses Unbehagen in Form unveränderlicher Gesetze und der Manipulation der Kirche und der Medizin aus. Diese zwangen zahlreiche Frauen zur Flucht nach Norditalien oder ins Ausland, wenn sie beschlossen hatten, sich dem zu widersetzen oder nicht aufzugeben.
Wie siehst du die Situation von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit im Coronazeitalter? In welche Richtung geht Italien? Und was muss getan werden, um diesen besorgniserregenden Entwicklungen entgegenzuwirken?
Ich sehe eine Beschleunigung der einschränkenden und repressiven Politik, wenn es um den Rassismus geht. Italien wird von den Entscheidungen der Oligarchien und Eliten der europäischen Banken und der Weltbanken vollkommen versklavt. Diese sind an der neuen technokratischen Ära der Digitalisierung unseres Lebens beteiligt. Dieser Prozess war schon lange geplant und wird nun vom Gesundheitsnotstand großartig vorangetrieben. Wir müssen uns mit allen Mitteln dagegen wehren. Wir müssen uns dieser Politik entgegensetzen. Denn diese Politik verfolgt das Ziel, eine neue Generation moderner Sklaven des dritten Jahrtausends aufzubauen.