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Literatur und Exil – Oskar Maria Graf, ProMosaik im Gespräch mit Dr. Dittmann von der OMGraf-Gesellschaft

Von Hala Farrag, 16. April 2021. Ulrich Dittmann wurde 1937 in Berlin geboren, studierte 1957 bis zum Staatsexamen 1963 an den Universitäten in München und in Durham (GB); promovierte mit einem Stipendium der VW-Stiftung bei Professor Walter Müller-Seidel über ein Thomas Mann-Sprachthema, war ab 1965 Tutor, Assistent und Akademischer Rat/Direktor am Institut für Deutsche Philologie der Universität München bis 2003. Neben der Lehre Mitarbeit an der Historisch-kritischen Ausgabe der Werke Adalbert Stifters; 1992 Gründung der OMGraf-Gesellschaft mit der Stadt München und war deren 1. Vorsitzender bis 2015.

Wie wichtig ist es an Exil-Schriftsteller zu erinnern?

Während der „1000 Jahre“ von 1933 bis 1945 gab es im Deutschen Reich nur regimetreue bzw. vom totalitären Regime verschattete, sogenannte „innere Emigranten-Literatur’. Autor*innen, welche die literarischen Aufbrüche nach der Jahrhundertwende und aus den 20er Jahren fortsetzten, waren als ‚undeutsch’ ins Exil verbannt – sofern sie nicht an den Grenzen oder der Bürokratie von Gastländern scheiterten.

Erst nach 1945 griff man – aufatmend – auf die Expressionisten der Menschheitsdämmerung, die Ansätze von Dada und Neuer Sachlichkeit zurück. Das Kriegsende 1945 hat die Sprache befreit, aber es entfaltete sich auch bald wieder ein Literatur-Markt, auf dem sich Exilautor*innen nicht gleich durchsetzen konnten. Weil es zwei Deutschlands gab, der Eiserne Vorhang die BRD und die DDR trennte, stießen die im Ausland entstandenen Werke je nach ihrer weltanschaulichen Orientierung auf unterschiedliche Akzeptanz.

Politische Maßstäbe entschieden über das, was zwischen 1933 und 1945 in Prag, USA, Mexiko, Russland und anderswo hatte verfaßt werden können. Was in einem Teil Deutschlands erschien, war im anderen unerwünscht. Thomas Mann wurde zwar auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs gelesen, Heinrich Mann, Feuchtwanger und andere politisch engagierte Autoren – die Anti-Faschisten – dagegen vor allem in der DDR. In beiden Staaten etablierte sich langsam eine eigene Exilforschung, die sich zusätzlich zur Arbeit von einzelnen Autoren gewidmeten literarischen Gesellschaften um die Kontinuität des nicht kontaminierten Schreibens in deutscher Sprache kümmerte.

Werke, die jenseits des von der NS-Doktrin beherrschten Landes entstanden waren, gelten heute als die eigentliche deutsche Literatur der Jahre 1933 bis 1945.

Was charakterisiert Oskar Maria Graf unter den Exil-Schriftstellern? Gibt es Ihrer Ansicht nach andere Exil-Schriftsteller, die mit Oskar Maria Graf zu vergleichen sind?

OMG war dank seiner Natur und seiner Erzählbegabung an allen drei Exilstationen – Österreich, Tschechoslowakei und USA – ein gern gesehener Gast, selbst als er in NY aufgrund seiner ‚linken’ Grundeinstellung als Staatenloser nicht nach Bayern zurückkehren konnte. Er hielt konsequent an der deutschen Sprache, am bairischen Dialekt fest und vermochte trotz großer finanzieller Not stets Zentrum eines Freundeskreises zu sein. Ebenso blieb er seinen Grundüberzeugungen, dem Vertrauen auf eine Volksfront der linken Parteien und auf die Unteilbarkeit der deutschen Literatur treu, d. h. er publizierte bis zu seinem Tod in beiden deutschen Staaten.

Welche Rolle können solche Gesellschaften in der gegenwärtigen Literaturlandschaft spielen? Wie kann Ihre Gesellschaft in Zeiten des Lockdowns mehr Interessenten erreichen? Vom Lokalen ins Internationale.

Literarische Gesellschaften versammeln nicht nur das Lesepublikum eines Autors/einer Autorin und versuchen dieses zu erweitern. Sie helfen Literaturstudent*innen und Schüler*innen mit einem zum Werk erstellten Archiv und den gesammelten Ausgaben; sie publizieren das Jahrbuch und evtl. auch ein Journal zum Werk, pflegen eine eigene Webseite, veranstalten regelmäßige Lesungen und Tagungen, arrangieren einen monatlichen Stammtisch, regen neue Ausgaben an und übernehmen an biographischen Jubiläen für die Kulturverwaltungen der Städte und Länder die Ausrichtung entsprechender Feierlichkeiten: Die OMG-Gesellschaft wurde 1992 von der Stadt München gegründet, um zum 100. Geburtstag im Jahre 1994 über 12 Monate hinweg vielfältigst des Autors zu gedenken und ihn zu feiern. – Über die ALG, die Arbeitsgemeinschaft literarischer Gesellschaften, deren Vorstände sich jährlich treffen, werden anregende Tagungen zu Erforschung und Diskussion von persönlichen, politischen und literarischen Bezügen veranstaltet.   –    Nachdem der Lockdown derzeit soziale Kontakte unterbindet, muss sich die Arbeit leider auf Jahrbuch, Webseite und Mail-Kontakte reduzieren.

Welche Wege gäbe es, das vergriffene Werk von Oskar Maria Graf und anderen in Vergessenheit geratenen Schriftstellern neu herauszugeben, und dieses Werk somit erneut ins Licht der Lektüre und der Forschung zu rücken?

OMGs Werk liegt in ausgewählten Einzelbänden zweier Ausgaben vor, die auch gut verbreitet, aber nicht aufeinander abgestimmt sind: Eine Ausgabe „letzter Hand“ liefert von wichtigen Büchern/Essays überarbeitete Fassungen (Süddt. Verlag 17 Bände + 1 Briefband), die andere die überzeugenderen Erstfassungen (List-Verlag 16 Bände); das bereitet für OMG-Leser*innen ein gewisses Dilemma – mal endet ein Text so, später ganz anders. Eine jüngere dritte Ausgabe, broschiert, bietet in bisher 14 Bänden (Allitera-Verlag) texttreue Nachdrucke der Erstausgaben, deren Original-Exemplare vor 1933 erschienen sind, aber oft den Bücherverbrennungen der Nazis zum Opfer fielen.

Wie aktuell ist das Thema der Isolation, der Fremde und der Verbindung zwischen Lokal und Global heute in unserer Lockdown-Ära?

Eine interessante Frage! die mit Hinweis auf die pandemische Bedrohung des einfachen körperlichen Lebens und einer dementsprechend anderen Solidarität der Leute beantwortet werden kann: Die Isolation ist universell. Sie war im politischen Exil ganz anders gelagert: Herkunft und politische Orientierung schufen Lager, die sich befehdeten, die in den Gastländern unterschiedlichen Bedingungen ausgesetzt waren und daher die Isolation existentiell bedrängender erleben ließen.