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ProMosaik – Unser Manifesto, wer wir sind und warum wir es sind

Von Milena Rampoldi, 6.
Februar 2021. Seit es ProMosaik gibt, gibt es auch konstruktive und destruktive
Kritik an unserem Ansatz. Gleichzeitig gibt es auch Fragen rund um unser
Schaffen und Arbeiten. Menschen, die uns im Netz finden, von uns oder über uns
lesen, fragen sich, wer wir sind, was wir tun und vor allem warum wir es tun.
Als Gründerin von ProMosaik habe ich daher den Entschluss gefasst, unseren
Ideen und unseren in die Realität gekippten Utopien in diesem Büchlein freien
Lauf zu lassen, um eine Diskussion zu wichtigen Themen wie Identität,
Diversität, Sinne des Lebens, Aktivismus und ästhetische Revolution zu fördern.

 


ProMosaik ist aber nicht nur
eine Gruppe von Menschen und die Gesamtheit ihrer Überzeugungen, Hoffnungen,
ihres Engagements und ihres Elans, sondern auch eine Interaktion und eine
Begegnung zwischen Inhalten, Weltanschauungen und verschiedenen Ansätzen zum
sozialen und politischen Leben und zum Sinn des Lebens und Handelns im
holistischen Sinne.

Für uns sind Handeln und Leben,
Wissen und Agieren sehr stark miteinander verwoben. Denn für uns ist die
Dynamik in den gesellschaftlichen und politischen Prozessen eine revolutionäre
Gestaltung des Lebens des Einzelnen, der Gesellschaft und der Weltgemeinschaft
und der innovativen Veränderung des aktuellen Zustandes der Welt, der uns, wie
wir oft betonen, nicht gefällt. Und dieses Gefühl haben wir im Besonderen in
unserem Covid-19-Zeitalter, das von einer extremen Passivität des Intellekts
und des Handelns gekennzeichnet ist und einfach konkret klarmacht, wie sehr
sich Menschen freiwillig unterdrücken, zerstören und einschränken lassen.

Unser Leben ist zu einem
Wintermärchen geworden. Wintermärchen bedeutet für mich persönlich, dass man
Gedanken nicht umsetzt oder den eigenen politischen Intellekt austrocknen
lässt. Im Kapitel VI seines Werkes „Das Wintermärchen“ spricht Heinrich Heine
genau diese Befürchtung an, die wir Covid-19-Bürger im Hier und Jetzt genau wie
der Dichter damals verspüren.

Ideen werden vergessen. Utopien
trocknen aus. Träume verlieren ihre farbliche Intensität. Die Revolution bleibt
in ihren Worten verschlossen. Sie setzt sich nicht durch. Heine lässt in seinem
Werk einen Dämonen auftreten, welcher sagt: „Ich bin die Tat von deinem
Gedanken“.

Der Dämon hält somit dem passiv
gewordenen und sterbenden Revolutionär den Spiegel vor und offenbart sich ihm
als das Handeln, als das Agieren seiner Intellektualität, die keinen Drang mehr
nach Vorwärts, nach dem „Pro“ der Umsetzung des Ideals in die Realität zu
kennen scheint. Somit teilen sich Denken und Handeln und verlieren ihre
Einheit. Denn der Dämon ist eine externe Kraft, die den sterbenden Intellekt
zum Handeln aufruft. Somit entsteht Dualismus und Spaltung zwischen Utopie und
Umsetzung derselben in die Realität. Und das fördert Diktatur, Fatalismus,
Passivität, oberflächliches Reformdenken und apolitisches
Biedermeierleben. 

ProMosaik ist ganz in diesem
Sinne die Bezeichnung für eine aktive und dynamische Einstellung zum Leben, zu
den Menschen und zu Gesellschaft und Politik. Der Name ProMosaik setzt sich aus
zwei positiven Worten zusammen: einerseits das affirmative „Pro“ und
andererseits das künstlerische Symbol der Vielfalt, das Mosaik, das in so
vielen Kulturen, Religionen und Zivilisationen ähnlich entstanden und gepflegt
wurde.

Die lateinische Präposition
„Pro“ weist verschiedene Bedeutungen auf, unter anderem „vorwärts, vor, hervor,
anstatt und für“. Für uns von ProMosaik geht es vordergründig im sokratischen
Sinne um das Hervor der Arbeit der Hebamme als weibliche Kraft der Veränderung,
um das Ergebnis einer Suche als Mensch und als Teil einer Kultur, Gesellschaft
und politisch denkenden Gemeinschaft und um das Für, das den Einsatz für
positive und offene Werte meint. Das „Vorwärts“ ist nur der letzte Moment
dieser dämonischen Umsetzung dieses Ideals in die Realität, die uns so wie sie
im Moment ist nicht gefällt.

Diesen letzten Schritt möchte
ich als „Kippen der Utopie in die Realität bezeichnen“. Wir leben glücklich und
dynamisch in einer Welt, die uns aber nicht entspricht und die wir daher
umwälzen und verändern möchten. Das heißt aber nicht, dass wir das Leben nicht
lieben, denn diese begrenzte Zeit in dieser Welt, die uns nicht gefällt, ist
alles, was wir haben. Daher ist an der Zeit, unsere Ideale kraftvoll in diese
Welt zu „kippen“, um ihr den Geruch der Müllhalde zu nehmen und sie
menschlicher zu gestalten.

Daher ist ProMosaik auch die
Bezeichnung eines Gegensatzes, einer radikalen und klaren Verneinung der
Zustände dieser Welt, die geprägt ist durch Militarismus, Feindseligkeit,
fehlende Schönheit, ein radikales, sozial und politisch fundiertes und
gerechtfertigtes Unrecht, eine tiefgründige und un-empathische Ungleichheit,
gekennzeichnet durch Rassismus, Diskriminierung, Frauenfeindlichkeit,
Antisemitismus, Gewaltverherrlichung und Islamfeindlichkeit.

Wir lieben auch die Gastronomie
und ihre Vielfalt, die Kunst und ihre Vielseitigkeit, die besondere und gleichzeitig
universelle Schönheit aus allen Kulturen und Zivilisationen.

Wir lieben das Einzigartige und
die Universalität und ihre Symbole, die sich dahinter verbirgt. Wir möchten gut
essen und vermeiden daher jegliche „Nazisuppe“ ganz im Sinne von Thomas Bernhard,
der in seinem Teller voller Nazis die Nudeln vermisste, die ich heute genauso
wie er nach dem Anschluss Österreichs vermisse. Braune Suppe ist nichts für
uns, und das sagen wir auch ganz offen. Sie schmeckt uns nicht, und sie sieht
auch nicht gut aus.

Wir lieben eine bunte Welt der
Mosaike, in denen jedes Steinchen seinen Farbton beibehält und sich nicht
chromatisch assimilieren lässt. Zwischen jedem Steinchen gibt es eine dünne
Trennlinie, einen Streifen, der die Grenze zwischen den beiden Steinchen
darstellt. Die Farbe dieser Linie ist meistens weiß. Weiß steht für Reinheit,
Ideal, Licht und Wahrheit. Diese Linie steht aber auch für den Abstand zwischen
den Steinchen.

Jeder hat seine Welt, seine
Farbe und tritt in Kontakt mit den anderen. Er überschreitet durch eine Brücke,
die er sich selbst baut, diese weiße Linie und lernt die andere Welt, die Welt
des Nachbarsteins kennen. Er nähert sich dem Anderen, ja, aber gleichzeitig
auch einer Welt, die nicht die seine ist und auch nicht sein soll.

Das Ich ist nur sich selbst in
der Beziehung zum Du. Denn der Mensch wird, wie Martin Buber es so treffend
definierte, „am Du zum Ich“. Aber er bleibt Ich, und das Du bleibt Du.

Dasselbe geschieht auch in der
Beziehung des Ich zum Absolut Anderen Du, das im Sinne von Emanual Levinas Gott
ist. Das Ich wächst durch seine Beziehungen zum Du, das nun ein menschliches
oder ein transzendentes Du sein kann. Aber das Ich verschmilzt nicht mit dem
Du, es lässt sich vom Du auch nicht einnehmen oder vollkommen verzerren. Es
behält seine Identität bei. Das Ergebnis ist eine Welt der Diversität, die wir
als den Erfolg der Kommunikation und des Kontakts zwischen Menschen bezeichnen
möchten.

Kontakt und Diversität, Nähe und
Abstand, ästhetische, soziale und politische Wahrnehmung und Anerkennung der
Diversität auf allen Ebenen ist das, was mich persönlich als Mensch, als Frau
und als Muslima ausmacht, und dies in meiner Diversität auf allen Ebenen.

Nur wer Diversität sieht,
erkennt, aushält und lebt, der schafft ein sinnvolles Leben und Handeln im
eigenen sozio-kulturellen und politischen Umfeld. Wer sich als Individuum sieht
und sich mit dem Du in Beziehung setzt, wer kommuniziert, sich gegenübersetzt,
sich vergleicht, Empathie übt und Konflikten nicht aus dem Weg geht, der
schafft Sinn, erzeugt Innovation und gestaltet Revolution im ästhetischen,
sozialen und politischen Sinne.

Ich möchte an dieser Stelle von
einer Kunst der Revolution sprechen mehr als von Kunst und Revolution im Sinne
Trotzkis. Aber an Trotzkis Definition der Kunst als „Ausdruck des Verlangens
des Menschen nach einem harmonischen und erfüllten Leben“ möchte ich auf jeden
Fall festhalten.

Und diese Harmonie ist aufgrund
des aktuellen Zustandes der zeitgenössischen Welt, in der wir leben und deren
Masken dieses Covid-19-Virus fallen lässt, vollkommen abhandengekommen.

Der Sinn für Utopie und das
Handeln für eine Utopie im Sinne des oben angeführten „Pro“ ist auch
abhandengekommen. Das Motto von Martin Luther King „I have a dream“ ist die
Vision eines Kippens des utopischen Gedankens eines Traums in die abscheuliche,
blutige und menschenfeindliche Realität, die uns alle umgibt, umzingelt und
einengt. Wie Leo Trotzki 1939 in einem Leserbrief über die Revolution in der
Kunst schrieb:

„Aus dieser Sackgasse mit den
Mitteln der Kunst einen Ausweg zu finden, ist nicht möglich. Die ganze Kultur
befindet sich in einer Krise, von der ökonomischen Basis bis zu den höchsten
ideologischen Schichten. Die Kunst kann weder der Krise entkommen noch sich von
ihr lossagen. Sie kann nicht nur sich selbst retten. Sie wird zwangsläufig
verfallen – wie die griechische Kunst unter den Ruinen der Sklavenhalterkultur
verfiel –, falls die gegenwärtige Gesellschaft sich nicht zu verändern vermag.
Dieses Problem hat einen unbedingt revolutionären Charakter. Aus diesem Grund
wird die Funktion der Kunst in unserer Epoche durch ihr Verhältnis zur
Revolution bestimmt.“

Auch aus der Covid-19-Falle
kommen wir nicht durch eine künstlerische Umwälzung oder durch eine auf die
Kunst beschränkte Revolution heraus, welche die Kunst vor dem Ersticken in der
Passivität rettet, sondern durch eine ästhetische Revolution, die sich visuell
offenbart und in der Gesellschaft und Politik als Ganze konkret wahr wird.

Im Koran finden sich zwei
wesentlich bedeutende Verse, die ich in diesen Diskurs des „Pro“-Mosaik im
umfassenden Sinne einbringen möchte. Einerseits handelt es sich um den Vers aus
der Sura 2 „Die Kuh“, 30, den ich den pessimistischen Engelvers bezeichnen
möchte und in dem es heißt:

„Und als dein Herr zu den Engeln
sagte: „Ich bin dabei, auf der Erde einen Statthalter einzusetzen“, da sagten
sie: „Willst Du auf ihr etwa jemanden einsetzen, der auf ihr Unheil stiftet und
Blut vergießt, wo wir Dich doch lobpreisen und Deiner Heiligkeit lobsingen?“ Er
sagte: „Ich weiß, was ihr nicht wisst.“

Allah lässt somit gegenüber den
Engeln offen, warum er dem Menschen die Freiheit einräumt, sich für das Böse zu
entscheiden und in der Welt Blut zu vergießen und aus der Vergangenheit voller
Kriege nichts als die selbstmörderische Pseudolehre der Fortsetzung der
Aufrüstung und Militarisierung durch noch mehr Technologie lernt.

Aber gleichzeitig spricht Allah
von der Diversität der Kulturen und Zivilisationen als von etwas Positiven und
von Ihm gewollten. Es heißt hierzu in Koran 5:48-49:

 Für jeden von euch
haben Wir eine Richtung und einen Weg festgelegt. Und wenn Gott gewollt hätte,
hätte Er euch zu einer einzigen Gemeinschaft gemacht. Doch will er euch in dem
prüfen, was Er euch gegeben hat. Wetteifert darum im Guten. Zu Gott werdet ihr
allesamt zurückkehren; und dann wird Er euch darüber aufklären,  worüber
ihr uneins seid
.“

Der
Mensch hat somit die Aufgabe, Toleranz zu üben in diesem Mosaik der Welt, das
er nicht in eine braune Suppe verwandeln soll. Die Diversität ist die
„Normalität“ der menschlichen Existenz. Die Gleichschaltung und forcierte
Assimilierung von Menschen sind genau das Gegenteil des Menschlichen. Das
Menschliche bedeutet radikale Diversität, innovative Differenz, gesunde
Distanz, konstruktive Auseinandersetzung, durchdachte Toleranz und auch
Rückzug, wenn der Mensch an die Grenzen seiner Toleranz stößt.

Für
ProMosaik ist die Fokussierung auf die Gleichheit aller Menschen von
wesentlicher Bedeutung. Jeder Mensch hat unabhängig von seiner Hauptfarbe,
Religion, Kultur, sozialer Herkunft, sexueller Orientierung und von seinem
gesundheitlichen Zustand ein und dieselbe Würde, die er bestätigt, indem er
menschlich handelt, das Du respektiert und sich im Prinzip nach dem Grundsatz
von Hillel orientiert:
 

„Was
dir unliebsam ist, das tue auch deinem Nächsten nicht.“

Somit
gibt es in einer Welt der Diversität zwar Abstand, das Bewusstsein der Grenzen
der eigenen Toleranz, das Üben von Empathie, die unzureichende Erfassung des
Du, aber nie offene Diskriminierung, ideologisierten Rassismus und
rechtsradikales und ethnozentrisches Überlegenheitsdenken, das in blinde Gewalt
und Ausschaltung politischer Gegner ausartet.

ProMosaik steht
somit für die bewusste Betonung von Diversität auf allen Ebenen. Unser Ziel ist
das tagtägliche Üben interkultureller Beziehungen zwecks Förderung eines
globalen Interkulturalismus in Anlehnung an das humanistische Weltbürgertum.

Wir sind jung, wir
sind alt, wir sind schwarz, wir sind weiß, wir sind reich und wir sind arm, wir
haben eine Behinderung, wir sind gesund: wir sind die wundervolle Bestätigung
der Diversität und Inklusion, die lebende Verkörperung der Begegnung, um die
Freude zu teilen, etwas voneinander zu lernen.

Und dieses Lernen
ist das Ergebnis der gesellschaftlichen Veränderungen, die wir im Laufe der
Geschichte erzielt haben. Natürlich ergeben sich aus dieser grundlegenden
existentiellen Einstellung im Sinne des „Pro“-Mosaik soziopolitische Folgen.

Wir schließen uns
dem Kampf gegen die Sklaverei an. Wir widersetzen uns dem Raubkapitalismus. Wir
setzen uns für die Rechte der Menschen mit Behinderung und ihre Inklusion ein.
Wir unterstützen anti-imperialistische und anti-kolonialistische Bewegungen.
Wir glauben an die Gerechtigkeit und ans „Kippen“ der Gerechtigkeit in die
Realität des Hier und Jetzt. Wir sprechen uns gegen jeglichen Fatalismus aus
und handeln dynamisch und kommunikativ. Uns widerspricht jegliche Art von
Diskriminierung und Rassismus. Wir stehen für Frauenrechte ein. Wir glauben,
dass es keine Flüchtlinge, sondern nur Menschen gibt.

Wir glauben, dass
die Kinder die Zukunft sind und daher ein innovatives interkulturelles
Erziehungsmuster ein Muss ist, um eine Gesellschaft im Sinne des Friedens, des
Respektes der Diversität und der Chancengleichheit zu fördern und auch
revolutionär und ästhetisch durchzusetzen.

Hier finden Sie die Artikel des “Manifesto von ProMosaik”.