Österreich versinkt im Corona-Chaos
von Frank Jödicke, Buchkomplizen, 7. Januar 2021. Am 27. Dezember 2020
nahm Bundeskanzler Sebastian Kurz (r.) an der ersten Corona-Impfung teil. Bild:
Dragan Tatic/BKA. Die Strategie, die die österreichische Bundesregierung nie hatte, geht
jetzt nicht mehr auf. Der Unmut im Land wächst. Rosig hatten türkiser Bundeskanzler Sebastian Kurz und grüner
Gesundheitsminister sich bis vor kurzem die Zukunft ausgemalt. Der
„Gamechanger“-Impfung sei im Land eingelangt und nun ginge es schnell bergauf.
Dumm nur, dass die Wirklichkeit sich nicht an Message-Control und mediale
Inszenierungen hält.
Die Regierung erwog ernsthaft noch im alten Jahr mit dem Black-Hawk-Kampfhubschrauber
die ersten Impfdosen in Altersheimen im ganzen Land abzuliefern. Jene Impfdosen
übrigens, die Sebastian Kurz (laut seinen Hagiographen in der österreichischen
Boulevardpresse) vom Krankenbett aus per Telefon in Brüssel bestellt hatte.
Nichts davon war wahr, die Impfdosen waren vom Gesundheitsministerium
bereits Tage zuvor bestätigt worden und entsprachen der in der EU
ausgehandelten Zuteilung für Österreich. Nun zeigt sich, dass die bestellte
Menge von 880.720 Dosen bei weitem nicht ausreichen wird und weitere Dosen
nicht in Sicht sind. Das Bundesland Kärnten teilte bereits mit, dass bis Ende
März nur in Altenheimen geimpft werden könne (ohne Kampfhubschrauber
vermutlich).
GRÜNDE FÜR DIE HAUSGEMACHTE KRISE
Gründe für die Impfmisere gibt es zahlreiche. Zum einen hat der Kanzler
Kurz seine Karriere rein auf medialen Inszenierungen aufgebaut. Als blutjunger
Jungpolitiker fuhr er mit dem „Geilomobil“ durch die Stadt Wien, um vornehmlich
auf sich selbst aufmerksam zu machen, seinen Karrieresprung zum
Rechtspopulisten machte er mit der angeblichen Schließung der „Balkanroute“ und
so verankerte er sich als Medienliebling.
Eine Strategie die funktionierte, denn für die Medien war es mit Kurz nie
langweilig. Mal waren es seine Blödheiten, mal war es seine Cleverness die den
Politiker Kurz aus der langweiligen Masse hervorhoben. Die komplett am Boden
liegende ÖVP ließ sich bereitwillig zur türkisen Bewegung, der „neuen ÖVP“,
umbauen. Wo Erfolg ist, da ist auch Gefolgschaft.
Nur, mit Message-Control und zehntausenden Euro an Facebook-Werbung lässt
sich keine reale Krise bewältigen. Dies dämmert in Österreich nun auch den
konservativen Medien, die langsam dem Kanzler die Gefolgschaft verwehren. Alle
Medien verbreiteten das Internet-Aperçu: „Israel (das etwa gleichgroß wie
Österreich ist) hat eine Million Impfungen gemacht, Österreich hat eine Million
Fotos vom Kanzler beim Impfen gemacht.“
Ein zweiter gewichtiger Grund liegt in der falschen Dualität von
Kapitalismus und Nationalismus, dem andere europäische Länder auch erlegen
sind. Es gibt einerseits immer wieder Versuche zu nationalen Alleingängen, bei
denen den anderen Staaten die Impfdosen abgeluchst werden sollen. „Koste es,
was es wolle.“ Bei diesem unilateralen Spiel gewinnen übrigens immer die USA.
Dann gab es aber auch den Appell zu Zusammenhalt und Einheit in der EU, der
aber streng nach kapitalistischen Gesichtspunkten durchgeführt wird. Österreich
und die EU wollten bei den ohnehin recht günstigen Impfdosen (AstraZeneca
kostete knapp zwei Euro, Pfizer-Biontech kostet 12 Euro, eine Grippeimpfung
hingegen 15) den Preis drücken, indem Verträge mit möglichst vielen Anbietern
gemacht wurden. Nun können viele nicht liefern, weil der Stoff noch nicht
zufriedenstellend funktioniert (z.b. Sanofi) oder die Zulassung noch nicht
geschafft wurde. Reduziert auf das Angebot eines einzigen Anbieters ist die
Impfdosenmenge nun viel zu gering. Man hat sich offenbar an der „Impfbörse“
verspekuliert. Ideen zur staatlichen Impfherstellung aufgrund der Krise wurden
(selbstverständlich) nie diskutiert.
Die besondere Verfasstheit der Republik Österreich bietet eine weitere,
gewichtige Fehlerquelle. Die Apparate der Ministerien sind traditionell sehr
mächtig und beschneiden gerne die Macht der jeweiligen Minister. Außerdem sind
sie durch die berüchtigten Untersektionen aufgebläht, in denen durch die neue
Regierung in Ungnade gefallene, aber unkündbare Spitzenbeamte geparkt werden.
So herrschte in den Ministerien immer eine Art großer Koalition.
Die Grünen standen nach Übernahme des Gesundheitsministeriums vor einer
schwierigen „Umfärbungsaktion“, die namentlich unter Pandemie-Bedingungen nicht
durchzuführen war.
Es musste also mit jenen blauen und türkisen Mitarbeitern weitergewerkelt
werden, die unter der Sozial- und Gesundheitsministerin der FPÖ, Beate
Hartinger-Klein, im Wesentlichen mit dem neoliberalen Umbau der Krankenkassen
und Unfallversicherung betraut waren. Inwieweit diese überhaupt ein Interesse
am erfolgreichen Arbeiten des grünen Ministers Rudolf Anschober haben, ist eine
Quizfrage, die in diesen Tagen leicht beantwortet werden kann.
WIE GEHT ES WEITER?
Spitzenpolitiker und Spitzenbeamte, die sonst gerne die mediale Bühne der
„Zeit im Bild“-Sendung des ORF nutzen, sind mittlerweile alle abgetaucht. Jede
Frage zur Pandemiebekämpfung in Österreich muss ihnen peinlich sein. Denn es
ist ja nicht nur die gescheiterte Impfstrategie, die dem Land bis Ende März
keine echte Perspektive bietet. Der kostenlose Versand der FFP2-Masken an
Personen über 65 Jahren verläuft nur „schleppend“, Ärztekammerpräsidenten der
Länder beklagen, dass die Ärzte überhaupt nicht in die Strategien
eingebunden sind und dergleichen mehr.
Es zeigt sich das Muster, dass Dinge von der Regierung in den Medien
einfach mal behauptet werden, um zu überprüfen, wie diese „ankommen“ und dann
erst überlegt wird, wie sich dies überhaupt umsetzen lässt. Tatsache ist, dass
der von Gesundheitsminister Anschober angekündigte Corona-Marathon erst in
seiner Anfangssteigung ist, wenn es bis Ende September nicht gelingt, 60% der
Bevölkerung zu immunisieren. Nur dann könnte ähnliche Eindämmungsmaßnahmen wie
in diesem Winter verhindert werden.
Aber wie soll dies gelingen? Weder die Infrastruktur wurde aufgebaut, noch
sind die nötigen Impfdosen vorhanden, noch gibt es den nötigen Rückhalt in der
Bevölkerung. Die kommt sich zunehmend so vor, als seien sie von den Regierenden
hinter die Fichte geführt worden. Zu unklar sind das Gebärden und die Logik
hinter den Entscheidungen.
So wurde das ganze Land abgesperrt, trotz umfassender Schutzkonzepte
beispielsweise der großen Kulturbetriebe, gleichzeitig aber die Sessellifte
geöffnet. Der Leiter der Wiener Staatsoper bat deshalb seine Theatergäste doch
bitte in Zukunft in Skischuhen zu erscheinen.
Als Sahnehäubchen hat man sich darauf festgelegt den Lockdown spätestens am
25.1. zu beenden. Zuvor wollte man ein „Freitesten“ ermöglichen, das den Zugang
zu Theater, Gastronomie und Hotels schon ab dem 18.1. ermöglichen sollte. Die
Opposition kippte die völlig unklare Gesetzgebung, allein aufgrund der Bedenken
der Epidemiologen ist dies wohl auch berechtigt gewesen. Weshalb solle ein
Schnelltest, der nur für einen Tag Gültigkeit hat, eine Woche lang gelten?
Gedrängt von Handel, Gastronomie und sonstigen Interessenverbänden wird nun
fieberhaft nach Möglichkeiten gesucht, den Termin Ende Januar zu halten,
während viele andere Länder ihre Lockdowns verschärfen und verlängern. Auch
hier ist der nächste Ärger vorprogrammiert. Österreich könne nur
aufsperren, wenn die Zahl der Neuinfektionen unter der Marke von 1000 läge. Am
Mittwoch lag der Wert bei 2469 – Tendenz steigend.