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Waldrodungen erhöhen das Risiko für Pandemien

Von María José Sarzoza
und Romano Paganini, Infosperber, 13. Mai 2020. 
Die Covid-19-Pandemie ist in China ausgebrochen. Biologen und Epidemiologen aus Ecuador warnen vor weiteren Krankheiten.



So entstehen neue Krankheiten, wenn das Ökosystem gestört wird.
«Gesunde Ökosysteme und gesunde Wälder sind unser
bester Schutz gegen Viren.» Das sagt
 Luis Suárez vom World Wildlife Fund (WWF).
«Wenn wir ein Ökosystem, einen Dschungel oder einen Wald zerstören, verändern
wir die komplexen Beziehungen, die zwischen den verschiedenen Tieren und
Lebewesen bestehen, die diese Viren und Krankheitserreger im Gleichgewicht
halten.» In seinem Appell verweist der Koordinator von WWF Spanien auf die
weltweit hohe Abholzungsrate, welche die Ausbreitung von zoonotischen
Krankheiten wie Covid-19 begünstigt.
Über 200 Krankheiten als Zoonosen identifiziert
Zoonotischen Krankheiten oder Zoonosen bedeuten die Übertragung von Viren,
Bakterien, Protozoen, Helminthen (Würmern) und parasitären Pilzen zwischen
Tieren und Menschen. Nach Angaben der Ernährungs- und
Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen 
(FAO) sind 70 Prozent aller neuen Krankheiten beim
Menschen, die in den vergangenen vierzig Jahren aufgetreten sind, tierischen
Ursprungs: Das 2015 aufgekommene Middle East Respiratory Syndrome 
(Mers) wurde ursprünglich bei Fledermäusen gefunden,
sprang dann auf Kamele und schliesslich auf den Menschen über. Ähnliches
geschah 2002/2003 mit dem Severe Acute Respiratory Syndrome 
(Sars), dem Vorläufer von Sars-Cov-2. Das Virus gelangte
von Fledermäusen zu Schleich- und anderen Katzen und landete schliesslich im
menschlichen Organismus. 
Die Panamerikanische Gesundheitsorganisation hat inzwischen über 200 Krankheiten als
Zoonosen identifiziert. Und obwohl die aktuelle Pandemie des neuartigen
Coronavirus ihren Ursprung in mehr als 16’000 Kilometern Entfernung hat, weiss
man in Ecuador um die Problematik. Denn im Andenstaat wird nicht nur mit
Wildtieren gehandelt. Ecuador hat proportional gesehen auch die höchste
Abholzungsrate in ganz Lateinamerika und ist daher besonders anfällig für
Zoonosen.
Der Einfluss der Rohstoff-Firmen
Nach Angaben der FAO verfügt Lateinamerika über
935,5 Millionen Hektar Wald, also fast die Hälfte der Gesamtfläche des
Kontinents. Doch alleine im Jahr 2018 haben die Länder Brasilien, Kolumbien,
Bolivien, Peru und Ecuador 1,9 Millionen Hektar Wald verloren. Hinzu kommen die
2,5 Millionen Hektar, die im vergangenen Jahr abgebrannt sind, insbesondere in
Brasilien, Bolivien, Paraguay und Peru. Ecuador seinerseits hat gemäss
nationalen Erhebungen im zweiten Halbjahr 2019 rund 16’000 Hektar
pflanzenbedeckte Flächen durch Brände verloren. Insgesamt werden in Ecuador
jährlich 60’000 Hektar Wald abgeholzt. Das entspricht 120’000 Fussballfeldern.
Seit den 1990er Jahren ist die Gesamtfläche des ecuadorianischen Urwaldes von
14,5 Millionen Hektar auf 12,5 Millionen geschrumpft. 
Die verheerenden Brände des letzten Jahres zerstörten
noch mehr Regenwald.
Bild: Unsplash /Merritt Thomas

Was
bei der Abholzung an Biodiversität verloren geht, landet später als Gewinn auf
den Konten der Rohstofffirmen. Ein Beispiel ist die Agrar-Industrie: Sie lässt
auf dem gerodeten Land Monokulturen wie Soja, afrikanische Palmen und
Eukalyptus anpflanzen oder schickt für die Milch- und Fleischproduktion Kühe
zum Weiden. Die dadurch erwirtschafteten Erträge landen aber nicht bei den
Bauern und indigenen Gemeinschaften, die vertrieben worden sind. Der Gewinn
geht an die Produzenten und Geschäftsleute, die vielfach aus Asien, Nordamerika
oder Europa stammen. Dasselbe gilt für die Bergbau-, Erdöl- und Holzindustrie.
Deren Financiers fördern nicht nur den Rohstoff und verkaufen ihn ins Ausland,
sie finanzieren in Abstimmung mit den jeweiligen Regierungen auch den Bau der
notwendigen Infrastruktur – also Strassen, Brücken, Wasserkraftwerke, Häfen
oder Flughäfen –, um den Export zu erleichtern.
Viren
brauchen neue Wirte
Diese
industrielle Wertschöpfungskette, basierend auf der ungebremsten Ausbeutung von
Rohstoffen, bedeutet zusätzliche Entwaldung und dadurch ein höheres Risiko in
Bezug auf Zoonosen wie Covid-19. So haben Epidemiologen und Virologen des 
Evandro-Chagas-Instituts in
Brasilien bereits im vergangenen Jahrhundert knapp 100 Viren ausgemacht, die in
der Flora und Fauna des brasilianischen Regenwaldes und höchstwahrscheinlich
auch im übrigen Amazonasgebiet vorkommen. Generell kommen diese nicht mit
Menschen in Kontakt, sondern koexistieren mit den Organismen des Waldes,
sprich: Ihr Leben und Sterben findet dort statt. «Das Problem beginnt dann»,
sagt die 
Enthomologin
Sandra Enriquez
, «wenn der Mensch
in dieses Gleichgewicht des Ökosystems eindringt und beginnt, Bäume zu fällen.
Denn damit dringt er auch in den Lebensraum dieser Krankheitserreger ein, die
sich dann neue Wirte für ihr Fortbestehen suchen.»

Wird das Ökosystem gestört, können Viren auf Menschen
überspringen.
Infografik: Victoria Jaramillo

Sandra Enriquez arbeitet am Forschungsinstitut für
Zoonosen an der 
Universidad
Central in Quito
 und dokumentiert dort seit Jahren die Probleme der Leishmaniose. Leishmaniose ist eine zoonotische Krankheit, die
nicht tödlich, aber in Ecuador durchaus von Bedeutung ist. Der Vektor, der für
die Übertragung des Leishmania-Parasiten verantwortlich ist, ist eine kleine
Mücke, die in Ecuador Manta blanca genannt wird. Ihre Brüteorte sind die
Höhlen von Wildtieren und die Wurzeln von Bäumen. Die Manta
blanca ernährt sich dort vom Saft einzelner Pflanzen sowie von reifen
Früchten. Wenn die Weibchen aber ihre Eier legen, sind sie auf das Blut von
Säugetieren angewiesen. Dort finden sich die Proteine, um das Überleben ihres
Nachwuchses zu garantieren. In diesen Momenten verlassen sie ihre Nester und
suchen sich ein Faultier, einen Fuchs oder ein Stachelschwein, stechen das Tier
und bringen das Blut zu ihrer Brut. «Das sind natürliche Kreisläufe innerhalb
eines Waldes», erklärt Sandra Enriquez. «Und da diese Tiere mit Leishmania
leben, entwickeln sie auch keine Krankheiten.»
Menschen werden zur Blutquelle
Im Falle der Leishmaniose beginnt das Problem durch
menschliche Aktivitäten, etwa durch die Erweiterung der Agrarflächen. Wenn die
Manta blanca das Blut nicht von Wildtieren bekommt, sucht sie es bei
Haustieren wie Hunden, Pferden und Ratten. «Da diese Tiere nicht im Wald leben,
haben sie auch keine Abwehrkräfte entwickelt und könnten daher früher oder
später Symptome von Leishmaniose aufweisen», sagt Sandra Enriquez.
Dasselbe gilt für den Menschen, der eine weitere
Blutquelle für die Manta blanca darstellt. Wenn ein mit dem Parasiten
infiziertes Weibchen eine Person beisst, dringt der Erreger ins Blut und an der
Bissstelle – entweder irgendwo auf der Haut oder im Bereich von Mund, Nasen
oder Ohren – kann sich eine nur schwer heilende Wunde bilden. In Ecuador werden
jährlich etwa 1’500 Fälle mit Leishmaniose gemeldet, wobei die Dunkelziffer
enorm hoch sein dürfte, wie Sandra Enriquez sagt. «Denn die Menschen, die im
Risikogebiet leben, haben nur schlechten Zugang zu öffentlichen Gesundheitseinrichtungen
und ziehen es in der Regel vor, sich selbst zu heilen.»
Malaria und Dengue-Fieber auf dem Vormarsch
Das Gesundheitsministerium hat inzwischen
festgestellt, dass Leishmaniose nach 
Dengue und Malaria die dritthäufigste vektorübertragene
Krankheit
 ist.
Die Zahl von Malaria-Erkrankten hat in Ecuador im vergangenen Jahr wieder
zugenommen, wobei sich die 2’081 gemeldeten Fälle entlang der Küste
konzentrierten. Auch die Dengue-Infektionen sind, nachdem sie zuletzt
rückgängig waren, wieder auf dem Vormarsch.
Die Hauptüberträger dieser beiden Krankheiten sind
Stechmücken. Sie haben sich an ihren neuen Lebensraum gewöhnt, der an der Küste
aus Monokulturen besteht: afrikanische Palmen, Eukalyptus und Zedern. Es wird
geschätzt, dass diese Plantagen heute etwa 164’000 Hektar Land einnehmen – fast
fünfmal so viel wie die Fläche Quitos, der Hauptstadt Ecuadors. Die
Konsequenzen: gestorbene oder vertriebene Wildtiere sowie Moskitos, die neue
Blutquellen benötigen und weiterhin Viren oder Parasiten übertragen, die sonst
eigentlich nur im Urwald leben. Diese Insekten, die in stehendem Wasser nahe
von Dörfern oder Städten leben, ertragen heute sogar mehrere Monate Trockenheit
und können ihr ganzes Leben im Umfeld von Menschen verbringen.
Wildtierhandel: jährlicher Umsatz von 10 Milliarden
Dollar
Bei der Entstehung von Krankheiten wie Covid-19
spielt die Zerstörung des Lebensraums von Viren, Bakterien, Parasiten oder
Pilzen also eine entscheidende Rolle. Ein anderer wichtiger Punkt, der sowohl
von WWF Spanien als auch vom Biologen und Epidemiologen 
Juan
Carlos Navarro
 betont wird, sind die Wildtiermärkte wie im chinesischen Wuhan. «Die
Leute romantisieren den Handel mit Wildtieren», sagt Navarro, der an der
Privatuniversität SEK in Quito unterrichtet und mit Sandra Enriquez von
der Universidad Central zusammenarbeitet. «Viele dieser Tiere sind
Träger genau jener Viren, die zoonotische Krankheiten verursachen können und
durch einen Biss, Sekrete, Speichel oder Exkremente leicht übertragbar sind.»
Ein Grossteil des Wildtierhandels in Ecuador – es geht vor allem um Vögel,
Säugetiere und Reptilien – dient dem Fleischkonsum, sowohl lokal als auch
international. Julia Campoverde, Biologin und Koordinatorin der 
Wildlife Conservation
Society Ecuador
 zur Bekämpfung des Wildtierhandels, warnte kürzlich in einem
Online-Seminar vor dem Verkauf dieses Fleisches. Obwohl es frisch und geräuchert
sei, «die Konservierungs- und Transportbedingungen sind äusserst prekär. Das
öffnet zoonotischen Krankheiten Tür und Tor und macht sie für Menschen zu einer
Zeitbombe.»
Das Argument, dieses Geschäft aufrechtzuerhalten,
obwohl es sowohl für die Menschen als auch für das Gleichgewicht der Ökosysteme
gefährlich ist, ist dasselbe wie bei der Abholzung: Geld anhäufen. Experten
sagen, dass der Handel mit Wildtieren nach dem Handel mit Drogen-, Waffen und
Menschen als weltweit eines der grössten Geschäfte gilt. Dazu werden oft
dieselben Netzwerke genutzt, die die organisierte Kriminalität aufgebaut hat.
Gemäss Schätzungen werden durch den Wildtierhandel alleine in Lateinamerika
jährlich über 10 Milliarden Dollar erwirtschaftet.
Zika-Virus als Vorbote
Aus diesem Grund hält der Epidemiologe Juan Carlos
Navarro eine strenge Regulierung des Handels mit wilden Tieren und Pflanzen
sowie der Abholzung für unerlässlich. «Denn wenn nicht, dann laufen wir Gefahr,
dass auch in Ecuador zoonotische Krankheiten ausbrechen, die sich später zu
einer Epidemie entwickeln können.» Er erwähnt den Ausbruch des 
Zika-Virus im Jahr 2014/2015, der beinahe zu einer
Pandemie geführt hätte, und warnt: «Aufgrund der Zerstörung der Ökosysteme, in
denen diese Viren leben, und wegen des Handels mit Wildtieren und Pflanzen kann
es jederzeit zum Ausbruch irgendeiner Zoonose kommen.
Es ist zwar unvorhersehbar, aber durchaus wahrscheinlich.»