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Die Bündnisfrage Transatlantische Kreise in der Bundesrepublik fordern deutsche Beteiligung an den zunehmenden US-Aggressionen gegen China.

Von
German
Foreign Policy
, 04. Mai 2020. Die Vereinigten Staaten und transatlantisch
orientierte Kreise in Deutschland erhöhen den Druck auf Berlin, sich an einer
“Abkopplung” des Westens von China zu beteiligen. “Die
Bündnisfrage” sei “entscheidungsreif”, erklärt Mathias Döpfner,
Vorstandsvorsitzender der Axel Springer SE; die Bundesrepublik müsse den “Irrweg”
der wirtschaftlichen Kooperation mit der Volksrepublik beenden und sich endlich
in aller Form gegen Beijing positionieren. Hintergrund sind die globalen
Machtverschiebungen, die sich in der Coronakrise abzeichnen: Während China die
Talsohle inzwischen offenkundig hinter sich gelassen hat und schon wieder auf
ein Wirtschaftswachstum zusteuert, ist eine Besserung der Lage in den USA und
in Europa noch nicht in Sicht. Beobachter mutmaßen, “Einfluss und
Bedeutung” der westlichen Mächte würden vermutlich “weiter schwinden”.
Während in Washington mittlerweile überlegt wird, der Volksrepublik die
Staatensouveränität abzuerkennen, um Entschädigungsklagen zu ermöglichen,
suchen starke Kräfte in der deutschen Wirtschaft den Ausweg aus der Krise im
Chinageschäft.


“Ein neues Systemduell”
Die globale Machtverschiebung, die sich mittlerweile
in der Coronakrise abzeichnet (german-foreign-policy.com berichtete [1]), wird
in der deutschen Öffentlichkeit zunehmend thematisiert. Unter der Überschrift
“Vor der Wachablösung?” hieß es in einer führenden Tageszeitung
bereits Mitte vergangener Woche, die “meisten” Beobachter gingen
davon aus, “Einfluss und Bedeutung der Vereinigten Staaten (und
Europas)” würden “weiter schwinden”. Zugleich meinten viele,
China werde “seinen Aufstieg zur Spitze von Weltpolitik und Weltwirtschaft
unbeirrt fort[setzen]”.[2] Am Wochenende urteilte eines der größten
deutschen Nachrichtenportale unter der Überschrift “Die
Wachablösung”, in der Coronakrise verlören “die USA weiter an
Führungskraft”: “Die Pandemie könnte den Beginn des chinesischen
Zeitalters begründen.”[3] Habe es zunächst eine Zeitlang so ausgesehen,
“als würde der Ausbruch des Coronavirus China um Jahre zurückwerfen”,
so sei es nun “US-Präsident Donald Trump, der nahezu Tag für Tag … der
Welt erklären muss, warum sein Land die Seuche nicht in den Griff
bekommt”. Das Portal stellt die Frage: “Steht der Welt … ein neues
Systemduell bevor, ein neuer kalter Krieg?”
US-Geheimdienstinformationen
Tatsächlich reagieren die Vereinigten Staaten auf den
sich abzeichnenden Machtverlust mit einer Verschärfung ihrer Attacken gegen
Beijing. Am vergangenen Donnerstag behauptete US-Präsident Donald Trump, es
gebe Hinweise, denen zufolge das Covid-19-Virus aus einem Labor in Wuhan
stamme. Wissenschaftler weisen diese Spekulation seit Wochen entschieden
zurück; dennoch sind, wie berichtet wird, inzwischen US-Geheimdienste damit
befasst, angebliche Beweise für sie aufzutreiben, um den Druck auf Beijing
weiter zu erhöhen. Trump hat mitgeteilt, er schließe neue Maßnahmen gegen die
Volksrepublik nicht aus; in Frage kämen etwa weitere Strafzölle. Bereits zuvor
war berichtet worden, in Washington werde unter anderem darüber nachgedacht,
Schulden, die man in China habe, zu streichen; freilich wurde dies offiziell
dementiert. Ebenso hatte es geheißen, die Trump-Administration könne der
Volksrepublik in einem Akt bislang beispielloser Selbstanmaßung die
Staatenimmunität aberkennen; dies gilt als wichtige Voraussetzung für
Schadensersatzklagen gegen Beijing wegen der Covid-19-Pandemie, die seit einiger
Zeit in den USA und in anderen westlichen Staaten gefordert werden.[4] Gestern
hat US-Außenminister Mike Pompeo die Behauptung wiederholt, es gebe
“umfangreiche Belege” für die angebliche Herkunft des Virus aus einem
Labor in Wuhan.[5] Freilich sind Lügen von US-Regierungspolitikern mit Bezug
auf erfundene Geheimdienstinformationen seit vielen Jahren notorisch. In diesem
Fall ist es besonders bemerkenswert, dass bislang die US-Dienste den
Behauptungen der Administration zu der Herkunft des Virus sogar offiziell
widersprochen haben.
Gespaltene deutsche Wirtschaft
Der Druck auf Berlin und die EU, sich an der Seite
Washingtons aggressiv an den Attacken gegen Beijing zu beteiligen, nimmt zu. So
forderte die transatlantisch orientierte Springer-Presse bereits kürzlich von
China “Entschädigung” für Schäden, die im Westen durch die Pandemie
entstehen.[6] Zugleich zeichnet sich ab, dass die EU durch die Krise im
globalen Machtkampf am weitesten zurückgeworfen wird. So warnte der
EU-Außenbeauftragte Josep Borrell vergangene Woche, die Wirtschaftsleistung der
USA werde nach Berechnungen des Peterson Institute for International Economics
aus Washington dieses Jahr um 8 Prozent einbrechen, diejenige der EU sogar um
12 Prozent, während die chinesische Wirtschaft um 1,5 Prozent wachsen werde.[7]
Die dramatische Krise und der drohende globale Positionsverlust stürzen die
deutsche Industrie in ein Dilemma. Während sie in den USA ihren mit Abstand
größten Investitionsstandort und ihren bedeutendsten Absatzmarkt hat, zeichnen
sich Chancen, der Krise zu entkommen, aktuell nicht dort, sondern lediglich in
China ab, dessen Wirtschaft schon wieder rund zu laufen beginnt
(german-foreign-policy.com berichtete [8]). Die deutsche Industrie ist tief
gespalten: Bereits vergangenes Jahr hatte in einer Umfrage unter Spitzenkräften
aus deutschen Unternehmen nur die Hälfte geantwortet, im Falle eines Falles –
dann, wenn man sich zwischen beiden entscheiden müsse – ziehe man die
Kooperation mit den Vereinigten Staaten derjenigen mit China vor. Rund ein
Drittel hingegen gab an, sich auf Seiten der Volksrepublik zu positionieren.[9]
Das Land ist inzwischen wichtigster Handelspartner und drittgrößter
Investitionsstandort der deutschen Wirtschaft – mit weiterhin rasch wachsender
Tendenz.
“Die ökonomische Falle”
In dieser Situation setzen Transatlantiker zweierlei
Hebel an. Der eine macht sich das Interesse Berlins und Brüssels zunutze, zu
einer eigenständigen Weltmacht zu werden, die freilich über eine starke
eigenständige Industrie verfügen muss. “Es besteht kein Zweifel daran,
dass China aktuell versucht, die Covid-Krise zu seinem geopolitischen Vorteil
zu nutzen”, schrieb der frühere NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen
vergangene Woche in einem Beitrag in einer führenden deutschen Tageszeitung.[10]
Dabei setze Beijing eindeutig auf die Ökonomie. Chinas Strategie basiere
“auf einem entscheidenden Vorteil”: “Lange vor dem Westen”
werde das Land “den Gipfel dieser Pandemie überwunden haben und wieder
handlungsfähig sein”. Es werde “Produkte auf unsere Märkte
werfen” können, “um unsere zur Untätigkeit verdammten Firmen weiter
zu untergraben”, oder auch “strategische Investitionen” tätigen
können – nämlich strategisch wichtige Firmen aus der krisengeschüttelten EU “zu
einem Schnäppchenpreis” übernehmen. Das gelte es aktuell zu unterbinden:
Es sei “unerlässlich, dass Europa jetzt einen Kurswechsel unternimmt – um
zu verhindern, dass der Westen schlafwandelnd in die ökonomische Falle einer
kommunistischen Diktatur tappt”.
“Ein Irrweg”
Der andere Hebel besteht in der Einforderung
transatlantischer Bündnistreue, die – wie seit dem ersten Kalten Krieg üblich –
mit angeblichen Werten (“Freiheit”, “Demokratie”) überhöht
wird. In diesem Sinne hat sich am gestrigen Sonntag der Vorstandsvorsitzende
der Axel Springer SE, Mathias Döpfner, zu Wort gemeldet. “Wenn eine
Therapie gegen das Virus gefunden ist, die Shutdown- und Lockerungsdebatten
verklungen sind und die Rezession ihr hässliches Gesicht zeigt, muss nichts
Geringeres geklärt werden als die Weltordnung”, behauptet Döpfner.
“Konkreter” gehe es um “die Bündnisfrage”: “Wo steht
Europa? An der Seite Amerikas oder an der Seite Chinas?” Ein
“Sowohl-als-auch” sei nicht mehr möglich; “die Bündnisfrage”
sei “entscheidungsreif”. Nun hätten sich die USA “klar für eine
Politik des Decouplings entschieden”, also “eine Abkoppelung und
zunehmende Unabhängigkeit von China”. Dem müsse sich “Europa”
anschließen. Döpfner räumt ein, dies werde “teuer”; schließlich
verzeichne allein die deutsche Wirtschaft “mit China ein jährliches
Handelsvolumen von rund 200 Milliarden Euro”. Doch “eine Abkopplung
von den USA” werde “uns wirtschaftlich und sicherheitspolitisch
wesentlich härter treffen”. Die Coronakrise mit ihren ökonomischen
Verwerfungen biete nun “eine einmalige Gelegenheit zur Korrektur eines
Irrwegs”.
[2] Klaus-Dieter Frankenberger: Vor der Wachablösung?
Frankfurter Allgemeine Zeitung 29.04.2020.
[3] Matthias Gebauer, Ralf Neukirch, René Pfister,
Bernhard Zand: Die Wachablösung. spiegel.de 03.05.2020.
[4] Jeff Mason, Matt Spetalnick, Humeyra Pamuk: Trump
threatens new tariffs on China in retaliation for coronavirus. uk.reuters.com
30.04.2020.
[5] Pompeo asserts ‘enormous evidence’ ties the virus
to a Wuhan lab, a claim not backed yet by U.S. intelligence. nytimes.com
03.05.2020.
[7] Josep Borrell: The post-coronavirus world is
already here. ecfr.eu 30.04.2020.
[9] Capital – F.A.Z. Eite-Panel. Pressekonferenz.
Berlin, 21. November 2019. S. dazu Vor der Zerreißprobe.
[10] Anders Fogh Rasmussen: Europa muss Chinas Angriff
abwehren. sueddeutsche.de 29.04.2020.
[11] Mathias Döpfner: Wir müssen uns entscheiden.
welt.de 03.05.2020.