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Rassismus und Corona: Tödliche Ungleichheit

Von Alan Cassidy, Washington, Die Welt,
10. April 2020.

©
Joshua Lott/Reuters
Dass überproportional viele schwarze
US-Bürger an der Corona-Erkrankung sterben, hat lange bekannte Ursachen. Szene
vor dem Roseland Community Hospital in Chicago.
• In den Vereinigten Staaten sterben
überdurchschnittlich viele Menschen mit afroamerikanischer Abstammung an den
Folgen des Coronavirus.
• Die Regierung hat das Problem erkannt
und beteuert, etwas dagegen zu tun, doch viele Schwarze arbeiten in Jobs, in
denen Social distancing oder Homeoffice nicht möglich sind.
• Dass die Schwarzen dem Gesundheitssystem
nicht trauen, hat auch historische Gründe.

Tödliche
Ungleichheit
Ein altes Sprichwort unter
Afroamerikanern besagt: Wenn weiße Leute eine Erkältung kriegen, holen sich
Schwarze eine Lungenentzündung. Das ist meist im übertragenen Sinn gemeint,
etwa dann, wenn von einer wirtschaftlichen Rezession die Rede ist. Was die
Corona-Pandemie angeht, kann man den Spruch aber durchaus wörtlich verstehen.
Noch sind die Daten über die Ausbreitung und die Folgen des Virus in den USA
lückenhaft. Aber nach allem, was bisher bekannt ist, zeigt sich: Schwarze
Amerikaner sterben überdurchschnittlich oft an Covid-19. Das Virus, so scheint
es, verschärft die Gegensätze zwischen Schwarz und Weiß.
Besonders sichtbar wird das in den
großen Städten des Mittleren Westens, die inzwischen zu Hotspots des Virus
geworden sind. In Milwaukee im Bundesstaat Wisconsin sind nur 26 Prozent der
Einwohner der Stadt und ihres Umlands schwarz. Sie machen aber 73 Prozent der
Todesopfer aus. In Chicago stellen Afroamerikaner 32 Prozent der Einwohner,
aber 67 Prozent der Todesopfer. Im Bundesstaat Michigan trugen sich drei
Viertel der Todesfälle in Detroit zu, einer überwiegend schwarzen Stadt. Das
Bild wiederholt sich im Bundesstaat Louisiana im Süden: Dort sind 70 Prozent
der Toten Schwarze, obwohl ihr Bevölkerungsanteil nur 32 Prozent beträgt. Die
meisten Opfer lebten in New Orleans.
Die Zahlen sind für viele
Gesundheitsexperten erschreckend, aber nicht überraschend. Man wisse schon
lange um die Unterschiede beim Gesundheitszustand und der gesundheitlichen
Versorgung der schwarzen Bevölkerung, sagte Anthony Fauci, der Direktor des
Nationalen Instituts für Infektionskrankheiten: “Die Corona-Krise wirft
nun ein grelles Licht darauf, wie inakzeptabel das ist.” Die schwarze
Bürgermeisterin von Chicago, Lori Lightfoot, sprach von Zahlen, “die mir
ganz buchstäblich den Atem rauben. Das ist etwas vom Schlimmsten, das ich in
meiner Zeit als Bürgermeisterin gesehen habe.”
Auch Präsident Donald Trump redete bei
seinem Pressebriefing am Dienstag davon, dass die Schwarzen “drei- bis
viermal” so stark vom Coronavirus betroffen seien wie andere
Bevölkerungsgruppen. “Wir tun alles, was in unserer Macht steht, um das
Problem anzugehen, und es ist ein riesiges Problem. Es ist schrecklich.”

Social
Distancing ist für viele Schwarze ein Luxus
Was die Regierung kurzfristig
unternehmen kann, ist jedoch nicht ganz klar. Für das Leid, das Covid-19 unter
der schwarzen Bevölkerung anrichtet, gibt es viele strukturelle Gründe. Das
beginnt beim Umstand, dass Social Distancing für viele Schwarze ein Luxus ist,
den sie sich nicht leisten können. Afroamerikaner arbeiten überdurchschnittlich
häufig in jenen Berufen, ohne die das Land in dieser Krise gar nicht
funktionieren würde: Sie füllen Regale in Supermärkten, tragen Pakete aus,
fahren Lieferwagen, Busse und U-Bahnen. Es sind Jobs, die sich nicht ins
Homeoffice auslagern lassen – und die sie vermehrt dem Virus aussetzen.
Hinzu kommt, dass viele Schwarze
medizinisch unterversorgt sind. 11,5 Prozent der Afroamerikaner haben nach
Angaben der Kaiser Family Foundation keine Krankenversicherung. Bei den Weißen
sind es 7,5 Prozent. Das führt dazu, dass viele Schwarze entweder gar nicht
oder erst sehr spät zum Arzt gehen, weil sie es sich nicht leisten können. Der
fehlende Versicherungsschutz wird sich – nicht nur für die Schwarzen –
verstärken, wenn nun Millionen Amerikaner im Zug der Wirtschaftskrise ihre Jobs
verlieren. Die Mehrheit der US-Bürger ist über ihren
Arbeitgeber krankenversichert.
In schwarzen Gegenden ist auch die
Grundversorgung oftmals schlecht. So gibt es zum Beispiel im Südosten der
Hauptstadt Washington, in dem überwiegend Afroamerikaner leben, nur ein
einziges größeres Krankenhaus. Außerdem haben umfangreiche Studien gezeigt,
dass Ärzte die Beschwerden von schwarzen Patienten tendenziell weniger ernst
nehmen. Sie ordnen weniger Untersuchungen an und verschreiben zudem
schlechtere Behandlungen.

“An
mir sieht man, wie es ist, in Amerika arm und schwarz aufzuwachsen”
Und dann ist da noch das dunkle Kapitel des
sogenannten Tuskegee-Experiments, das nach Meinung mancher Experten erklärt,
warum viele Schwarze dem Gesundheitssystem bis heute kein Vertrauen entgegen
bringen. In Tuskegee, Alabama, nahmen die US-Behörden von 1932 bis 1972 eine
Studie an 400 schwarzen Landarbeitern vor, die an Syphilis erkrankt waren.
Offiziell sollte es darum gehen, den natürlichen Verlauf der Krankheit zu
erforschen. Dabei wurden den Männern Medikamente vorenthalten, viele litten,
starben und gaben die Krankheit an Familienmitglieder weiter.
All diese Faktoren verstärken das
wichtigste Problem: Schwarze stecken sich vermutlich nicht öfter mit dem
Coronavirus an als andere Bevölkerungsgruppen. Aber sie leiden besonders häufig
an Vorerkrankungen, die teils jahrelang unbehandelt bleiben. In der Pandemie
ist das jetzt für viele tödlich. Zahlen aus Louisiana zeigen, dass 66 Prozent
der Covid-19-Todesopfer an Bluthochdruck litten. 43 Prozent hatten Diabetes, 25
Prozent Herz- oder Lebererkrankungen oder waren fettleibig. Jerome Adams, einer
der obersten US-Gesundheitsbeamten, sagt, auch er habe erhöhten Blutdruck,
Asthma und eine Herzschwäche. “An mir sieht man, wie es ist, in Amerika
arm und schwarz aufzuwachsen.”
Anthony Fauci, Immunologe der
US-Regierung, weiß das. Es sei sehr traurig, dass die Corona-Pandemie die
Schwarzen nun so hart treffe, sagte er diese Woche. Das Einzige, was man in der
jetzigen Situation tun könne, sei, den Betroffenen die bestmögliche Betreuung
zu geben.