Militarisierung in Bolivien im Kampf gegen Covid-19
Von Andreas Hetzer, amerika21,
16. April 2020. De-facto-Regierung setzt in Santa Cruz Militär zur Durchsetzung
der Ausgangssperre ein. Infizierte und “Verdachtsfälle” in La Paz
sollen per Fußfesseln überwacht werden
Militärpräsenz in
den Straßen gehört seit mehr als drei Wochen zum Alltag in Bolivien, QUELLE: ABI
La Paz/Santa Cruz. Zur Kontrolle der von der bolivianischen Regierung verhängten
vollständigen Ausgangssperre wird seit Dienstag dieser Woche in der Stadt Santa
Cruz das Militär eingesetzt. Vertreter der Regierung begründen die
Militarisierung mit der angeblichen Nichteinhaltung der angeordneten Maßnahmen
durch die Bürger, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Die
bevölkerungsreichste Stadt des Landes weist bis dato die meisten Fälle von
Infizierten mit dem Coronavirus auf.
vollständigen Ausgangssperre wird seit Dienstag dieser Woche in der Stadt Santa
Cruz das Militär eingesetzt. Vertreter der Regierung begründen die
Militarisierung mit der angeblichen Nichteinhaltung der angeordneten Maßnahmen
durch die Bürger, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Die
bevölkerungsreichste Stadt des Landes weist bis dato die meisten Fälle von
Infizierten mit dem Coronavirus auf.
Seit Dienstag um Mitternacht sind die Bezirksgrenzen
der Stadt Santa Cruz vollständig geschlossen. Lediglich Personen mit einer
Sondergenehmigung dürfen sich motorisiert fortbewegen. Verstöße werden mit bis
zu drei Jahren Gefängnis geahndet. Zur Gewährleistung der
Nahrungsmittelversorgung bleiben einige Verkehrskorridore geöffnet. Die Bürger
dürfen weiterhin gemäß ihrer Ausweisnummer an bestimmten Tagen das Hause verlassen
und lebensnotwendige Dinge erledigen. Die Einhaltung der Auflagen wird von
Polizei und Militär kontrolliert und erfolgt in enger Abstimmung mit der
Zentralregierung in La Paz. Das Militär darf demnach
Personen- bzw. Fahrzeugkontrollen durchführen und unterstützt die örtliche
Polizei bei der Überwachung von städtischen Räumen mit besonders hohem Ansteckungsrisiko.
Dies gilt insbesondere für die acht Großmärkte, die nach wie vor zur Versorgung
der Bevölkerung geöffnet sind.
der Stadt Santa Cruz vollständig geschlossen. Lediglich Personen mit einer
Sondergenehmigung dürfen sich motorisiert fortbewegen. Verstöße werden mit bis
zu drei Jahren Gefängnis geahndet. Zur Gewährleistung der
Nahrungsmittelversorgung bleiben einige Verkehrskorridore geöffnet. Die Bürger
dürfen weiterhin gemäß ihrer Ausweisnummer an bestimmten Tagen das Hause verlassen
und lebensnotwendige Dinge erledigen. Die Einhaltung der Auflagen wird von
Polizei und Militär kontrolliert und erfolgt in enger Abstimmung mit der
Zentralregierung in La Paz. Das Militär darf demnach
Personen- bzw. Fahrzeugkontrollen durchführen und unterstützt die örtliche
Polizei bei der Überwachung von städtischen Räumen mit besonders hohem Ansteckungsrisiko.
Dies gilt insbesondere für die acht Großmärkte, die nach wie vor zur Versorgung
der Bevölkerung geöffnet sind.
Die Entscheidung zum Einsatz des Militärs wurde von
der nationalen und den regionalen Regierungen gemeinsam getroffen. Der
“Plan für eine sichere Stadt” sei notwendig, weil die bisherigen
Anordnungen nicht vollständig befolgt würden. Stellvertretend für die
Rechtfertigung von Regierungsvertretern äußerte sich
der Entwicklungsminister Wilfredo Rojas: “Wir befinden uns im Krieg gegen
einen unsichtbaren Feind, und deshalb gibt es keine Diskussionen, die Bürger
haben in Kriegszeiten schlichtweg zu gehorchen.”
der nationalen und den regionalen Regierungen gemeinsam getroffen. Der
“Plan für eine sichere Stadt” sei notwendig, weil die bisherigen
Anordnungen nicht vollständig befolgt würden. Stellvertretend für die
Rechtfertigung von Regierungsvertretern äußerte sich
der Entwicklungsminister Wilfredo Rojas: “Wir befinden uns im Krieg gegen
einen unsichtbaren Feind, und deshalb gibt es keine Diskussionen, die Bürger
haben in Kriegszeiten schlichtweg zu gehorchen.”
Am Mittwoch haben nun auch die lokalen und regionalen
Regierungsvertreter des Departamentos Oruro entschieden,
die gesamte Region zu militarisieren, nachdem sich die Zahl der Infizierten an
einem Tag schlagartig verdoppelt hatte. Dem Militär wurden ähnliche Befugnisse
erteilt wie in Santa Cruz. Zuvor hatte die lokale Gesundheitsbehörde ihre
Besorgnis darüber geäußert, dass die Bürger sich nicht an die Restriktionen
hielten und Infizierte bzw. Verdachtsfälle unverantwortlich mit ihrer Situation
umgingen. Dies “kann völlig außer Kontrolle geraten”, so Henry
Tapia, der Direktor des regionalen Gesundheitsamtes von Oruro.
Regierungsvertreter des Departamentos Oruro entschieden,
die gesamte Region zu militarisieren, nachdem sich die Zahl der Infizierten an
einem Tag schlagartig verdoppelt hatte. Dem Militär wurden ähnliche Befugnisse
erteilt wie in Santa Cruz. Zuvor hatte die lokale Gesundheitsbehörde ihre
Besorgnis darüber geäußert, dass die Bürger sich nicht an die Restriktionen
hielten und Infizierte bzw. Verdachtsfälle unverantwortlich mit ihrer Situation
umgingen. Dies “kann völlig außer Kontrolle geraten”, so Henry
Tapia, der Direktor des regionalen Gesundheitsamtes von Oruro.
Die Militärpräsenz in den Straßen gehört jedoch schon
seit mehr als drei Wochen zum Alltag des südamerikanischen Landes. Seit der
Erklärung des gesundheitlichen Notstands am 22. März durch die
Nationalregierung werden Militäreinheiten eingesetzt. Auf einer Pressekonferenz
am 11. April in La Paz erklärte der
Oberbefehlshaber der Streitkräfte, Carlos Orellana, dass seine
Einheiten knapp 10.000 Personen festgenommen und fast 6.000 Fahrzeuge
sichergestellt hätten. Insgesamt seien 47.698 Armeeangehörige im Einsatz.
seit mehr als drei Wochen zum Alltag des südamerikanischen Landes. Seit der
Erklärung des gesundheitlichen Notstands am 22. März durch die
Nationalregierung werden Militäreinheiten eingesetzt. Auf einer Pressekonferenz
am 11. April in La Paz erklärte der
Oberbefehlshaber der Streitkräfte, Carlos Orellana, dass seine
Einheiten knapp 10.000 Personen festgenommen und fast 6.000 Fahrzeuge
sichergestellt hätten. Insgesamt seien 47.698 Armeeangehörige im Einsatz.
In La Paz wurden unterdessen Überwachungsmaßnahmen
anderer Art gebilligt. Der Notstandausschuss der Regierung verabschiedete in
der vergangenen Woche die Einführung von elektronischen Fußfesseln zur
Überwachung der Ausgangssperre von Infizierten bzw. von Verdachtsfällen. Die
vorerst 500 Geräte seien mit einem Chip zur GPS-Überwachung ausgestattet,
sodass die Polizei die Bewegungsprofile der entsprechenden Personen erfassen
könne. Die ursprünglich für Verurteilte mit alternativem Strafmaß angedachte
Technologie könne laut dem Interimsminister für Justiz, Álvaro Coimbra, nun
dazu verwendet werden, die Mobilität in Zeiten des Coronavirus zu
kontrollieren. “Uns sind Personen bekannt, die weder über die geistigen
Kapazitäten noch über die Reife verfügen zu verstehen, dass wir bei Verdacht in
Quarantäne und bei einer Infektion isoliert bleiben müssen”, so Coimbra.
Es wird bereits darüber nachgedacht, die bisher nur für La Paz geltende
Regelung landesweit einzuführen.
anderer Art gebilligt. Der Notstandausschuss der Regierung verabschiedete in
der vergangenen Woche die Einführung von elektronischen Fußfesseln zur
Überwachung der Ausgangssperre von Infizierten bzw. von Verdachtsfällen. Die
vorerst 500 Geräte seien mit einem Chip zur GPS-Überwachung ausgestattet,
sodass die Polizei die Bewegungsprofile der entsprechenden Personen erfassen
könne. Die ursprünglich für Verurteilte mit alternativem Strafmaß angedachte
Technologie könne laut dem Interimsminister für Justiz, Álvaro Coimbra, nun
dazu verwendet werden, die Mobilität in Zeiten des Coronavirus zu
kontrollieren. “Uns sind Personen bekannt, die weder über die geistigen
Kapazitäten noch über die Reife verfügen zu verstehen, dass wir bei Verdacht in
Quarantäne und bei einer Infektion isoliert bleiben müssen”, so Coimbra.
Es wird bereits darüber nachgedacht, die bisher nur für La Paz geltende
Regelung landesweit einzuführen.
Laut aktuellen Daten des
Gesundheitsministeriums vom vergangenen Dienstag befinden sich die meisten von
den insgesamt 397 Infizierten in der Altersgruppe zwischen 20 und 39 Jahren,
gefolgt von über 60-Jährigen. Bei letzterer sind bisher die meisten der 28 Todesopfer zu
beklagen. Es sind bisher deutlich mehr Männer als Frauen infiziert. Der
Gesundheitsminister Marcelo Navajas gab sich bei
der Präsentation der Statistiken zuversichtlich: “Im Moment haben wir den
Vorteil, dass wir immer noch über alle Möglichkeiten zur Eindämmung des Virus
verfügen, denn die Anzahl der Fälle bewegt sich auf niedrigem Niveau.”
Nichtsdestotrotz gibt es unter anderem von der
Weltgesundheitsorganisation Einwände gegen die
Aussagekraft der Zahlen, weil zu wenig Test stattfänden und nur wenige Fälle
diagnostiziert würden.
Gesundheitsministeriums vom vergangenen Dienstag befinden sich die meisten von
den insgesamt 397 Infizierten in der Altersgruppe zwischen 20 und 39 Jahren,
gefolgt von über 60-Jährigen. Bei letzterer sind bisher die meisten der 28 Todesopfer zu
beklagen. Es sind bisher deutlich mehr Männer als Frauen infiziert. Der
Gesundheitsminister Marcelo Navajas gab sich bei
der Präsentation der Statistiken zuversichtlich: “Im Moment haben wir den
Vorteil, dass wir immer noch über alle Möglichkeiten zur Eindämmung des Virus
verfügen, denn die Anzahl der Fälle bewegt sich auf niedrigem Niveau.”
Nichtsdestotrotz gibt es unter anderem von der
Weltgesundheitsorganisation Einwände gegen die
Aussagekraft der Zahlen, weil zu wenig Test stattfänden und nur wenige Fälle
diagnostiziert würden.
Kritik am Vorgehen der De-facto-Regierung kam u.a. von
der Nichtregierungsorganisation Human Rights Watch (HRW), nachdem die
De-Facto-Regierung verfügt hatte, im Falle der Verbreitung von
Falschinformationen gegen Menschen Anzeige zu erstatten. „Die bolivianische
Regierung nutzt anscheinend gerade die Pandemie als Gelegenheit. Dieses
Vorgehen verstößt gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung“, so der Leiter von
HRW Amerika José Miguel Vivanco. Verschiedene Regierungsmitglieder hatten
bereits Oppositionellen mit strafrechtlicher Verfolgung gedroht.
der Nichtregierungsorganisation Human Rights Watch (HRW), nachdem die
De-Facto-Regierung verfügt hatte, im Falle der Verbreitung von
Falschinformationen gegen Menschen Anzeige zu erstatten. „Die bolivianische
Regierung nutzt anscheinend gerade die Pandemie als Gelegenheit. Dieses
Vorgehen verstößt gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung“, so der Leiter von
HRW Amerika José Miguel Vivanco. Verschiedene Regierungsmitglieder hatten
bereits Oppositionellen mit strafrechtlicher Verfolgung gedroht.
Tatsächlich geht die De-facto-Regierung weiter gegen
Oppositionelle und ehemalige Verbündete des Ex-Präsidenten Evo Morales vor, der
sich momentan im argentinischen Exil befindet. Der Kokabauernführer Faustino
Yucra wurde vergangene Woche in Tarabuco, Chuquisaca, von Polizeieinheiten
festgenommen und nach La Paz ins Gefängnis San Pedro verlegt. Er wird wegen
Terrorismus, Herstellung von Sprengsätzen und Anstiftung zu Straftaten angeklagt.
Nach den Präsidentschaftswahlen vom 20. Oktober 2019 habe er gemeinsam mit Evo
Morales Proteste und die Blockade mehrerer Städte geplant. Bereits vor Monaten
hat die De-facto-Regierung ein Ermittlungsverfahren gegen Morales wegen
Terrorismus und Aufruhr angestrengt, sodass ihm bei Einreise in sein Heimatland
sofort die Verhaftung droht. Aktuell wird die Bewegung zum Sozialismus (MAS)
beschuldigt, “Falschinformationen” über die Corona-Pandemie zu
verbreiten. Zudem rufe die Partei zu Protesten gegen die Regierung und damit
zum Verstoß gegen die Ausgangssperre auf. Die MAS bestreitet dies. Es seien
Menschen, die hungern und deshalb auf die Straße gehen. Die MAS rufe nicht dazu
auf, die Quaratäne zu brechen, erklärte Andrónico
Rodríguez, MAS-Mitglied und Gewerkschafter der Kokabauern.
Oppositionelle und ehemalige Verbündete des Ex-Präsidenten Evo Morales vor, der
sich momentan im argentinischen Exil befindet. Der Kokabauernführer Faustino
Yucra wurde vergangene Woche in Tarabuco, Chuquisaca, von Polizeieinheiten
festgenommen und nach La Paz ins Gefängnis San Pedro verlegt. Er wird wegen
Terrorismus, Herstellung von Sprengsätzen und Anstiftung zu Straftaten angeklagt.
Nach den Präsidentschaftswahlen vom 20. Oktober 2019 habe er gemeinsam mit Evo
Morales Proteste und die Blockade mehrerer Städte geplant. Bereits vor Monaten
hat die De-facto-Regierung ein Ermittlungsverfahren gegen Morales wegen
Terrorismus und Aufruhr angestrengt, sodass ihm bei Einreise in sein Heimatland
sofort die Verhaftung droht. Aktuell wird die Bewegung zum Sozialismus (MAS)
beschuldigt, “Falschinformationen” über die Corona-Pandemie zu
verbreiten. Zudem rufe die Partei zu Protesten gegen die Regierung und damit
zum Verstoß gegen die Ausgangssperre auf. Die MAS bestreitet dies. Es seien
Menschen, die hungern und deshalb auf die Straße gehen. Die MAS rufe nicht dazu
auf, die Quaratäne zu brechen, erklärte Andrónico
Rodríguez, MAS-Mitglied und Gewerkschafter der Kokabauern.
Als Reaktion auf
die Ausbreitung des Virus hat die De-facto-Regierung den gesundheitlichen
Notstand und die Quarantäne um weitere zwei Wochen bis zum 30. April
verlängert. Gleichwohl kündigte die
selbsternannte Interimspräsidentin Jeanine Áñez an, in einer Woche mit
Gesundheitsexperten und Wissenschaftlern über Möglichkeiten der
Flexibilisierung der Restriktion zu beraten. Außerdem versprach
sie auf der Pressekonferenz in La Paz weitere Hilfspakete für
die Bevölkerung, den Ankauf notwendiger medizinischer Ausstattung für
Krankenhäuser und Kredite für Unternehmen zum Erhalt von Arbeitsplätzen.
die Ausbreitung des Virus hat die De-facto-Regierung den gesundheitlichen
Notstand und die Quarantäne um weitere zwei Wochen bis zum 30. April
verlängert. Gleichwohl kündigte die
selbsternannte Interimspräsidentin Jeanine Áñez an, in einer Woche mit
Gesundheitsexperten und Wissenschaftlern über Möglichkeiten der
Flexibilisierung der Restriktion zu beraten. Außerdem versprach
sie auf der Pressekonferenz in La Paz weitere Hilfspakete für
die Bevölkerung, den Ankauf notwendiger medizinischer Ausstattung für
Krankenhäuser und Kredite für Unternehmen zum Erhalt von Arbeitsplätzen.