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Die Ethnisierung sexistischer Gewalt

Von Annamaria Rivera, MicroMega,
12. September 2017. Deutsche Übersetzung von Milena Rampoldi, Tlaxcala. Die
vor kurzem in Rom erfolgte Festnahme eines Bürgers aus Bangladesch wegen des
Verdachts der Vergewaltigung und des Raubs zu Lasten einer jungen Finnin, führt
– fürchten wir – zu einer hysterischen Medienkampagne, die die sexistische
Gewalt wie einen Notfall angeht, der vorwiegend auf das Verschulden der „Anderen“
zurückzuführen ist. 




Die sexuelle Gewalt ist hingegen strukturell und
transversal, wie das Beispiel der beiden Carabinieri aus Florenz genau beweist.
Sie wurden vom Dienst suspendiert, weil gerade gegen sie wegen Vergewaltigung
ermittelt wird.

Man kann zumindest hoffen, dass die letzte Episode die fünf-sternige Stadträtin  (Fünf-Sterne-Bewegung)
von Venaria Reale, Claudia Nozzetti, nicht das wiederholen lassen wird,
was sie in einem ungenauen Italienisch über die mutmaßlichen
Vergewaltiger-Aliens von Rimini geschrieben hatte, aber nicht
gewagt hatte, gegenüber den Carabinieri zu behaupten: „Ich hoffe, sie
werden sie dazu zwingen, sich gegenseitig den Schwanz  abzuschneiden und
zu essen“.

Der differenzierte Umgang mit den Nachrichten über die sexistische
Gewalt, nach Nationalität und Herkunft der Vergewaltiger, zeigt sich an
einem Aspekt, der nur scheinbar ein Detail ist. Im Falle der
mutmaßlichen Vergewaltiger in Uniform haben die Medien es nicht mal
gewagt, die typischen Vergleiche mit den Tieren anzuführen („Rudel“,
„Rudelanführer“, „Jagd gegen diese Bestien“, wie im Fall von Rimini). In
diesen Vergleichen wird aber gerade den Nicht-Menschen eine hingegen
typische menschliche Eigenschaft zugesprochen. Und das ist ein
verhasster Topos, der in den verschiedensten Medien, egal welcher Orientierung, verbreitet ist.

Im Falle von Rimini haben auch die Fake News nicht gefehlt, u.a. die Nachricht von Alessandro Meluzzi (ehemaliger Senator der Berlusconi-Koalition Pol der Freiheiten),
der in einem Tweet vier Bilder der mutmaßlichen Täter veröffentlichte.
Dabei stand der folgende Kommentar: „Nun ist aber Schluss mit diesen
kotzigen Untertieren!“. Diese Zeitungsente landete natürlich gleich auf
einigen Zeitungen der Rechten.

Die Darstellung der beiden Gruppenvergewaltigungen von Rimini in den
Medien war genau so maßlos, vulgär, vorverurteilend und verstieß auch
 gegen die mindesten Regeln der Unschuldvermutung und des Schutzes von
Minderjährigen wie die Darstellung der Vergewaltigung durch die Männer
in Uniform vorsichtig war: sie wurde im Konditional formuliert, war
skeptisch gegenüber den Beweismitteln und den Zeugnisaussagen und voller
Anspielungen auf den Lebensstil und die (Un)sittlichkeit  der Opfer.

Hierzu reicht es, die Behauptung des Bürgermeisters von Florenz, Dario
Nardella (Demokratische Partei, PD) zu zitieren, der auf den
unverschämten Gemeinplatz „Die waren ja geradezu auf der Suche danach“
zurückgreift, wenn er sagt: „Es ist wichtig, dass die US-amerikanischen
Studenten auch mit der Unterstützung der Universitäten und unserer
Institutionen lernen, dass Florenz nicht die Stadt zum Austoben ist“.  

Die Untersuchung zum Fall in Florenz wurde von der Tageszeitung Corriere della Sera in Form eines Comics behandelt


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In Italien ist die Tendenz gar
nicht neu, nach der die Verbrechen nach dem „ethnischen“ Profil der
mutmaßlichen Täter und der aktuellen politischen Atmosphäre ausgewählt,
hierarchisiert, betont oder minimalisiert werden. Und falls die Opfer
Migranten oder Mitglieder einer Minderheit sind, werden die auch
brutalsten Verbrechen in die Lokalzeitungen verbannt. Beispielhaft ist
der Fall des brutalen Mords von 2016 in der Provinz von Parma. Opfer war
der Tunesier Mohamed Habassi, der von zwei „respektablen“ Bürgern aus
Parma gefoltert und verstümmelt wurde. Es handelt sich hierbei um einen
brutalen Fall, der erst nach dem ersten meiner drei Artikeln zur Sache
in die nationalen Medien gelangte.

Neu ist auch nicht die Tendenz, die Verbrechen gegen Frauen zu
instrumentalisieren, wenn sie von den „Anderen“ verübt wurden. Dies
erfolgt mit dem Ziel, den ungesündesten, kollektiven Stimmungen zu
folgen und gesetzliche Maßnahmen zu ergreifen, die sich am Rassismus und
am Polizeistaat orientieren. Bekannt wurde der „Kriegsrat“ der zweiten
Prodi-Regierung, der nach dem Vergewaltigungsmord von Giovanna Reggiani
am 30. Oktober 2007 im Viertel von Tor di Quinto in Rom einberufen
wurde. Wegen dieses Verbrechens wurde dann Romulus Nicolae Mailatun, ein
rumänischer Staatsbürger der Roma-Minderheit, zu einer lebenslänglichen
Haftstrafe verurteilt. Aber vorher wurde die gesamte Roma-Minderheit
aus Rumänien verdächtigt und bestraft, und dies mit der Zerstörung der
Hütten und illegalen Wohnräume und durch die Gesetzesverordnung Nr. 181
vom 1. November 2007, die direkt in Kraft trat und die Ausweisung von
EU-Bürgern erlaubte.

Beispielhaft ist auch die Kampagne, die zwischen Januar und März 2009
rund um die „Vergewaltigung von Caffarella“ ins Leben gerufen wurde.
Hier wurden zwei rumänische Roma beschuldigt, die dann freigesprochen
wurden. Bei der Gelegenheit schlugen Roberto Calderoli und Luca Zaia,
Minister der vierten Berlusconi-Regierung und zwei Meister der
aggressiven Machokultur, die chemische Kastrierung der Vergewaltiger
vor.

Seitdem wird dieser Vorschlag jedes Mal in den Medien unterbreitet, ob
es nun um konkrete oder imaginäre Vergewaltigungen geht. Wichtig ist,
dass die Täter Ausländer sind. Salvini schlägt dies für die mutmaßlichen
Vergewaltiger von Rimini vor: „Wenn sie schuldig befunden  werden,
sollen sie chemisch kastriert werden, egal ob sie minderjährig sind oder
nicht. Und dann nach Hause mit ihnen!“ Im Gegensatz dazu kommt es im
Falle des konstanten und strukturellen Phänomens  der sexuellen Gewalt,
die von italienischen Staatsbürgern sogar mit Uniform ausgeübt wird, zu
keinem öffentlichen Alarm. Es werden auch nicht so barbarische
Vorschläge unterbreitet. Stellen Sie sich mal vor, was für einen Skandal
der Vorschlag einer chemischen Kastrierung der Carabinieri, falls sie
„schuldig befunden worden wären“, hervorgerufen hätte!

Hierzu sei darauf hingewiesen: nur eine pathologische phallische
Fixierung, umso mehr bei Frauen (siehe bei der oben angeführten
Nozzetti), verleitet zur Annahme, dass das „Hauptwerkzeug“ der
Vergewaltigung der Penis, d.h. ein unkontrollierter, sexueller Impuls
ist, eher als der unbewusste oder bewusste Wille und Wunsch, Frauen zu
erniedrigen, zu bestrafen und auszulöschen.

“Hände weg von unseren Frauen”, fordern Fascho-Männer in Rimini


Auch nicht neu, besser gesagt so alt wie das Lynchen, ist das Thema des „Anderen“, der unseren Frauen auflauert. Alt ist auch die Anschauung, nach der die Anderen die
natürliche Haltung hätten, Frauen zu unterdrücken, zu versklaven und zu
vergewaltigen. Aber in Wirklichkeit sind die Vergewaltigung wie auch
der Frauenmord in allen Gesellschaftsschichten und Umgebungen, in allen
Kulturen, Religionen und Nationalitäten vertreten. Gemeinsam haben all
diese Taten nur Eines: sie werden von Männern verübt. Wir wissen
außerdem auch, dass sei es in Italien als auch im Ausland der Großteil
der Vergewaltigungen und Frauenmorde in der nächsten Umgebung der Frauen
verübt wird.

Seit Jahrzehnten spricht die feministische Bewegung in Italien vom
Skandal dieser verbreiteten Gewalt und vom System, das sie begünstigt.
Aber während die Frauen immer freier, unabhängiger und selbstbewusster
werden, verändern sich die strukturellen Mechanismen der Diskriminierung
aufgrund des Geschlechts sehr wenig. Gerade diese Errungenschaften
führen – ohne eine öffentliche, geteilte Darstellung desselben Rechts,
derselben Würde und desselben Wertes des weiblichen Geschlechts – im
Großteil der Männerwelt, die unter einer traditionellen
Männlichkeitskrise leidet, zur Zunahme von Frustrationen, Zorn und
Bestrafungswünschen gegenüber den Frauen.