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GEGEN DAS VERGESSEN – Fremdenfeindliche Gewalt in Rostock-Lichtenhagen vor 25 Jahren

Von Anne-Dorle Hoffgaard, MiGAZIN, 21. August 2017. Das „Sonnenblumenhaus“
in Rostock-Lichtenhagen wurde 1992 weltweit zum Symbol für schwere rassistische
Ausschreitungen. 25 Jahre später wird vom 22. bis 26. August mit einer
Gedenkwoche und fünf Kunstobjekten an die Ereignisse erinnert.
Das “Sonnenblumenhaus”
im Rostocker Stadtteil Lichtenhagen © Anne Roth @ flickr.com (CC 2.0),
bearb. MiG

Die Bilder gingen vor 25 Jahren um die Welt: Am 24. August 1992 belagerten
Hunderte Jugendliche und Erwachsene das „Sonnenblumenhaus“ im Rostocker
Stadtteil Lichtenhagen. Aus der Menge heraus wurden Steine und Brandsätze
geworfen. Etwa 150 Menschen konnten sich nur durch Flucht auf das Dach des
Hauses vor dem Feuer retten, darunter 120 Vietnamesen, ein ZDF-Team und einige
Rostocker. Dies war der traurige Höhepunkt der vom 22. bis 26. August 1992
andauernden ausländerfeindlichen und rassistischen Krawalle vor der Zentrale
Aufnahmestelle für Asylbewerber im „Sonnenblumenhaus“ und dem benachbarten
Wohnheim für Vietnamesen.
Die Rostocker Bürgerschaft entschuldigte sich vor fünf Jahren, zum 20.
Jahrestag der Ausschreitungen, in einer Erklärung bei den Opfern. Rund 150
Menschen hätten damals um ihr Leben fürchten müssen, während Rechtsextremisten
aus ganz Deutschland, aber auch Tausende Rostocker Beifall klatschten, hieß es
darin. Die in der Verantwortung stehenden Behörden von Bund, Land und Kommune
hätten versagt. Die Ereignisse dürften weder verdrängt, noch beschönigt oder
vergessen werden. Die Aufarbeitung sei ein immerwährender Auftrag.
Fünf Stelen gegen das Vergessen
Einen weiteren Schritt des Gedenkens will Rostock in diesem Jahr vom 22.
bis 26. August mit einer Gedenkwoche gehen. In diesen Tagen sollen fünf Stelen
aus Marmor in verschiedenen Stadtteilen eingeweiht werden, die die
Künstlergruppe „Schaum“ zum Thema „Gestern Heute Morgen“ gestaltet hat. Diese
Künstlergruppe besteht aus Alexandra Lotz und Tim Kellner.
Die fünf Kunstobjekte tragen die Titel „Politik“, „Medien“, „Gesellschaft“,
„Staatsgewalt“ und „Selbstjustiz“. Aufstellt werden sie vor dem Rathaus, dem
Verlagsgebäude der „Ostsee-Zeitung“, am ehemaligen Standort des
„JugendAlternativZentrums“, an der Polizeiinspektion und beim
„Sonnenblumenhaus“. Damit will die Stadt das Konzept des dezentralen Erinnerns
und Mahnens „Lichtenhagen 1992“ umsetzen.
Pogrom richtete sich auch gegen
Sinti und Roma
Begleitend werden an den verschiedenen Erinnerungsorten dokumentarische
Songtexte live aufgeführt. Diese „Gesangsstücke“ haben Künstler Stefan
Krüskemper, Oscar Ardila und Michaela Nasoetion gemeinsam mit Rostocker
Einwohnern entwickelt. Sie sollen, so die Stadtverwaltung, ein lebendiges
Gedenken sein.
Zum Auftakt der Gedenkwoche gibt es am Dienstag um 17 Uhr eine
Veranstaltung in der Marienkirche, der evangelischen Hauptkirche Rostocks. Dazu
wird auch der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani
Rose, erwartet. Die Krawalle von Rostock-Lichtenhagen 1992 hatten sich auch
gegen Sinti und Roma gerichtet.
Ein allgemeiner Rassismus hat
sich breit gemacht
Politikwissenschaftler und Studenten der Universität Rostock hatten vor
fünf Jahren in einer Publikation auf die besondere Rolle der Sinti und Roma
hingewiesen. „Der Antiziganismus der Bevölkerung hat das Pogrom entfacht“, hieß
es – auch mit Blick auf Medienberichte. Im Verlauf der Ausschreitungen habe
sich dann ein allgemeiner Rassismus breit gemacht, wie der Angriff auf die
Unterkunft vietnamesischer Vertragsarbeiter zeige.
Die Politikwissenschaftler hatten
damals auch einen dauerhaften Ort des Erinnerns und Gedenkens an die Ereignisse
von Lichtenhagen gefordert. Erste Schritte dazu waren im August 2012
unternommen worden. Doch die Friedenseiche, die als Erinnerungszeichen beim
„Sonnenblumenhaus“ gepflanzt worden war, war noch im selben Monat von
unbekannten Tätern abgesägt worden. Auch die Gedenktafel am Rathaus wurde nur
wenige Monate später, im Dezember 2012, von Unbekannten abgeschraubt. Die Tafel
wurde ersetzt, der Baum jedoch nicht. Die Gefahr, dass er erneut abgesägt wird,
erschien der Stadt zu groß. (epd/mig)