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„Das ist unser Land!“, ein Politdrama über Rechtspopulismus in Frankreich

Von Marius Nobach, Filmdienst, 24. August 2017. Eine Krankenschwester als Zugpferd einer
populistischen Partei. Heute kommt ein neuer französischer Film in die deutschen Kinos. 
Eine beliebte Krankenschwester soll Kandidatin
einer populistischen Partei in Frankreich werden. Der Front National lässt
grüßen. Nach einem starken Beginn verliert „Das ist unser Land!“ (ab 24.
August) an Präzision.
In der Dämmerstunde schaut alles
friedlich aus. Wenn die Kamera über die nordfranzösische Landschaft kreist,
liegt über den menschenleeren Feldern, Bergen, Städten und Straßen eine
grenzenlose Ruhe. Doch unter der Oberfläche verbirgt sich so manches
Bedrohliche, das ans Licht drängt, so wie die alte Granate, auf die ein Bauer
beim Pflügen stößt und die er gelassen zur Seite räumt, wo bereits weitere
Weltkriegsrelikte liegen.
Das Ereignis in der Umgebung der früheren
Schlachtgebiete dient dem belgischen Regisseur Lucas Belvaux in seinem Film
„Das ist unser Land!“ als Metapher für das Kommende: Auch in den Menschen ist
Unheil mitunter bereits angelegt und braucht nur einen Anstoß, damit es zum
Vorschein kommt.
Die Hauptfigur, die Krankenschwester Pauline,
präsentiert sich zunächst äußerst sympathisch. Von morgens bis abends ist sie
auf den Beinen und macht die Runde durch die Häuser ihrer Patienten, bleibt
geduldig und freundlich, wenn die Kranken schwierig oder ausfallend werden. Die
Nerven verliert Pauline nur, wenn sich ihr Ex-Mann vor der Mitverantwortung für
ihre beiden Kinder drücken will.
Doch wenn sie nachdenkt, gibt es einiges, was ihr
missfällt: Da ist das Verhalten einzelner Patienten wie einer Muslimin unter
der Fuchtel ihres traditionellen Mannes, da ist die hohe Arbeitslosenzahl in
Nordfrankreich, sind die Einsparungen im Sozialbereich und andere „Beweise“ für
die Gleichgültigkeit der Regierung in Paris.
Aber ändern könne sie ja doch nichts, deswegen gehe
sie auch nicht wählen, sagt Pauline ihrem väterlichen Freund, dem Arzt
Berthier. Der widerspricht: Es gebe für die Anliegen der kleinen Leute die
richtige Partei, nun müsse sie nur noch mit guten Kandidaten an die Macht
kommen. Und wer stehe dem leidgeprüften Volk näher als Pauline?
Verführung ist das Ziel dieser Szene, die aus einer
unpolitischen, beliebten Frau eine kommunale Kandidatin der
rechtspopulistischen Partei RNP machen soll, um dieser zu einem besseren Image
zu verhelfen. Belvaux macht bei seinem satirischen Drama keinen Hehl daraus,
dass mit der RNP der Front National gemeint ist. Die Ähnlichkeit seiner
Film-Parteichefin Agnes Dorgelle mit Marine Le Pen ist unverkennbar.
Wie ihr reales Vorbild gibt sich Dorgelle als um
Frankreichs Wohl besorgte Powerfrau, die sich offiziell von den faschistischen
Wurzeln ihrer Partei losgesagt hat, aber nicht vor Hassparolen zurückschreckt.
Die Schauspielerin Catherine Jacob kommt dem Vorbild bis hin zur eisigen Mimik
verblüffend nahe, doch ist Belvaux auf mehr als eine Bloßstellung durch
Imitation aus.
Mit seiner gutgläubigen, von Emilie Dequenne sehr
einnehmend verkörperten Hauptfigur zeigt er, wie leicht sich Skepsis gegen
Fremdenfeindlichkeit in Luft auflösen kann. Dass der von Andre Dussollier mit
katzenhafter Eleganz gespielte Großbürger Berthier bei Pauline leichtes Spiel
hat, wirkt ebenso glaubhaft wie ihre Reaktion auf die Präsentation der Partei:
Der begeisterte Jubel der Anhänger macht ihr Eindruck, und die strammen
Kampfansagen von Dorgelle scheinen ihr in der Tradition der abschließend
gesungenen Marseillaise zu stehen. Mehr und mehr arrangiert sich Pauline mit
ihrer neuen Aufgabe – und reagiert beleidigt, wenn ihre noblen Absichten
infrage gestellt werden.
Neben diesen Spitzen gegen die Selbsttäuschung von
Wut- und Protestwählern spießt Belvaux auch moderne Strategien rechter
Gruppierungen auf, die von offen rassistischen Äußerungen abraten und milden
Populismus und viel Lächeln empfehlen. Die Fraktion der rechten Gewaltszene
erscheint in einem Nebenstrang um einen Jugendfreund von Pauline, von dessen
Aktionen gegen Ausländer sie lange nichts ahnt.
Weniger geglückt sind die Auseinandersetzungen der
verführten Pauline mit Freundinnen oder ihrem Vater. Ohnehin leicht überladen
mit Episoden um Ressentiments und wachsende Gewaltbereitschaft in der
französischen Gesellschaft, verliert der Film zusehends an Präzision, bevor er
etwas abrupt zum Schluss kommt. Das ist nach dem starken Beginn etwas
ernüchternd, aber konsequent: Die Auseinandersetzung mit dem Gesehenen soll
keinesfalls mit dem Abspann enden.