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Beim Umgang mit Demenz von Migranten lernen

Von Migazin,
20. März 2017. Bürokratische Hürden machen Demenz in Familien mit
Migrationshintergrund zu einer besonders großen Herausforderung. Meistens
übernehmen Familienangehörigen die Pflege. Das sind Ergebnisse einer aktuellen
Studie.


Alte Hände © daoro auf flickr.com (CC 2.0),
bearb. MiG
Migrantenfamilien organisieren
einer Studie zufolge die Pflege demenzkranker Angehöriger möglichst lange
selbst. Trauer und Schmerz über das, was sich am Verwandten ändere, stehe bei
den Pflegenden oft im Vordergrund, sagte der Gießener Theologe und Soziologe
Reimer Gronemeyer am Wochenende dem Evangelischen Pressedienst in
Gießen. Es gebe eine Orientierung an traditionellen Familienstrukturen und
Gewissensfragen. Der Wissenschaftler und sein Team haben für eine Studie Interviews mit pflegenden Angehörigen geführt,
um zu erforschen, wie Migrantenfamilien mit Demenz umgehen.
„Es gibt unter Migranten eine größere Selbstverständlichkeit, dass Pflege
selbst organisiert werden muss“, berichtete der Soziologe Jonas Metzger. Auch
in Migrantenfamilien seien meist die Frauen die Pflegenden. Teilweise schliefen
sie sogar auf einer Matratze im Wohnzimmer, um die Eltern im Blick zu haben.
Oft hätten die Interviewer gehört: „Sie hat so viel für uns getan, jetzt ist
sie mal dran“, sagte Gronemeyer.
Schwierigkeiten mit der
Bürokratie
Die befragten Familien stammten hauptsächlich aus der Türkei und aus
Russland. „Es wurde schnell deutlich, dass große Schwierigkeiten mit der
deutschen Bürokratie bestehen“, sagte Metzger. Migrantengruppen erhielten oft
nicht die Informationen, auf die sie ein Recht hätten und seien auf das
Wohlwollen der Institutionen angewiesen. „Die Familien hatten lange
Schwierigkeiten, bis ihnen eine Person aus dem deutschen Gesundheitswesen unter
die Arme griff.“ Bis dahin hatten sie die Pflege meist so organisiert, dass sie
die Dienste nicht mehr benötigten.
Die Interviews seien bewegend gewesen, aus vielen spreche eine poetische
und emotionale Kraft, betonte Gronemeyer. „Es würde sich lohnen, mehr als
bisher hinzuhören, wie Migranten mit Demenz umgehen.“ Auffällig sei, dass
türkische und russische Migranten große Kraft aus der Religion schöpften und
ihnen die Einstellung helfe: „Ich schaffe das, ich komme durch die schwere
Zeit“, berichteten die beiden Forscher. „Aber es gibt auch Leiden und Belastung
unter der Pflegesituation. Es ist nicht so, dass sie sagen: Wir wollen keine
Unterstützung.“
Lernen von Migranten
Bei steigender Zahl von Demenzkranken und abnehmender Zahl an Pflegekräften
müssten sich die Menschen auf die Frage besinnen: „Was können wir eigentlich
selbst?“, sagte Gronemeyer. Er glaube, dass die Gesellschaft zu dieser Frage
von Migrantenfamilien eine ganze Menge lernen könne.
Die vier beteiligten
Wissenschaftler führten insgesamt 22 Interviews mit pflegenden Angehörigen
sowie vier Gespräche mit Experten. Zudem fand eine Feldstudie in der Türkei
statt. Außerdem sprachen sie mit pflegenden Angehörigen ohne
Migrationshintergrund.(epd/mig)