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Was ist los mit Israel? Zur Mythologie des Zionismus

Von Ludwig Watzal, Der Semit, 30. November
2016.
In Deutschland wird die israelische und
zionistische Version der Geschichte weitestgehend akzeptiert. Sie basiert
jedoch auf einer Ansammlung von Mythen, die das Ziel verfolgen, das moralische
Recht und das ethische Verhalten der Palästinenser ins Zwielicht zu rücken und
ihren Anspruch auf ihr Land als illegitim erscheinen zu lassen. Dass diese
Geschichtsklitterung funktioniert, liegt daran, dass diese Mythen von den
Mainstream-Medien und großen Teilen der politischen Klassen in Europa
akzeptiert werden.



Der im britischen Exil lebende israelische
Historiker Ilan Pappe hat in seinem jüngsten Buch „Was ist los mit Israel?“
sich mit den zehn Hauptmythen des Zionismus auseinandergesetzt und sie als das
entlarvt, was sie sind, nämlich Legenden, bestehend aus Halbwahrheiten und
Fabrikationen von Geschichte. Der Autor konfrontiert die zionistischen Mythen
mit der Realität vor Ort und klopft erstere daraufhin ab, ob sie der Wahrheit
standhalten. Ohne eine solche unvoreingenommene Betrachtung der Geschichte
könne es keinen dauerhaften Frieden in der Region geben, so Ilan Pappe. 
Den historischen Running Gag der zionistischen
Geschichtsklitterung bildet die Erzählung vom „leeren Land“ Palästina, in das
ein Volk ohne Land nach 2000jährigem Exil endlich „nach Zion“ zurückgekehrt
sei. Dieser Mythos fand in dem Slogan vom Land ohne Volk, für ein Volk ohne
Land seinen prägendsten Ausdruck. Dass es sich dabei um eine Legende 
handelt, haben Historiker zur Genüge aufgezeigt und nachgewiesen. Palästina war
über Jahrhunderte hinweg eine entwickelte und blühende arabische Gesellschaft
und hatte zu Beginn des 20. Jahrhunderts sogar eine Zeitung namens „Filastin“.
Pappe hält es für weniger wichtig, ob die
Juden als ein Volk existiert haben als vielmehr, dass die Zionisten die
Existenz eines palästinensischen Volkes bestreiten und mit dem Anspruch
auftreten, dass der Staat Israel sämtliche Juden der Welt repräsentiere und
alles nur um ihretwillen tue und für sie handle. Dies ist ein ebenso verwegener
Anspruch wie die Gleichsetzung von Zionismus und Judentum. „Der Zionismus war
nur eine von vielen Arten der Praktizierung des Judentums seit dessen
Entstehung, und als er entstand, war er, selbst nach dem Holocaust, nur eine
der möglichen Antworten auf den Antisemitismus.“ Ein nicht unerheblicher Teil
der Judenheit lehrt nicht nur den Zionismus als eine Häresie ab, sondern auch
den Staat Israel, den sie für einen „Frevel gegen Gott“ halten.
Die Zionisten beriefen sich ebenfalls auf die
Bibel, aber sie diente ihnen nur als Mittel zum Zweck. Der höchste Prophet des
Zionismus, Theodor Herzl, zog sogar Uganda anstelle des Gelobten Landes Zion in
Erwägung. Auch andere Länder standen zur Auswahl, letztendlich fiel die Wahl
auf Palästina. „Von da an wurde die Bibel sowohl zur Rechtfertigung als auch
zur Richtschnur der zionistischen Kolonisierung Palästinas“, schreibt Pappe.
Für ihn ist der Zionismus eine „koloniale Siedlerbewegung“. Das Elend, die
Leidensgeschichte und die Tragödie der einheimischen Bevölkerung begann mit der
Ankunft der Zionisten in Palästina. Die rassistische zionistische Ideologie ist
die Ursache allen Übels in der Region.
Der Autor rückt weitere israelische
Geschichtslegenden ins rechte Licht wie zum Beispiel, dass die Palästinenser
1948 das Land freiwillig verlassen hätten oder dass Israel im Juni 1967 keine
Wahl hatte, als die umliegenden arabischen Länder anzugreifen, da eine tödliche
Gefahr für das Land bestanden habe. Pappe legt überzeugend dar, dass die
Palästinenser weder freiwillig gingen noch von ihren Politikern aufgefordert
worden sind, zu gehen, sondern sie wurden von den verschiedenen zionistischen
Milizen durch Anwendung von Terror zur Flucht gezwungen und vertrieben. Wie
formulierte es doch einer der führenden Terroristen der damaligen Zeit, der
spätere Ministerpräsident Menachem Begin in seiner Autobiographie: „Ohne Deir
Yassin hätte es kein Israel gegeben.“ In dem palästinensischen Dorf verübten
die zionistischen Terrorbanden ein Massaker an der Zivilbevölkerung.
Auch die zionistische Darstellung der Umstände
des Sechstagkrieges halten einer historischen Überprüfung nicht stand. Es
bestand zu keinem Zeitpunkt die Gefahr eines Angriffs arabischer Armeen auf
Israel, sondern Israel führte einen präventiven Angriffskrieg, auf den es sich
jahrelang präzise vorbereitet hatte. Die Aussagen der führenden Militärs und
Politiker der damaligen Zeit lassen daran keinen Zweifel, gleichwohl hält sich
die Legende vom kleinen David gegen den übermächtigen Goliath hartnäckig.
Neben dem Mythos von der „einzigen Demokratie
des Nahen Ostens“ bestimmt der Mythos vom „Friedensprozess“ den zionistischen
Narrative im Westen. Israel sei weder eine Demokratie im klassischen westlichen
Verständnis, sondern eher eine Demokratie eigenen Rechts, sprich sui generis,
oder noch präziser: eine Ethnokratie. Und der „Friedensprozess“ von Oslo habe
keinen Frieden, sondern noch mehr Kolonisierung palästinensischen Landes
gebracht. Ob der Westen an seinen Wunschtraum von der Zwei-Staaten-Lösung
glaubt, darf eher bezweifelt werden, da die israelische Politik darauf abzielt,
gerade diese zu verhindern. Tatsächlich existiert bereits jetzt die
„Ein-Staaten-Lösung“, nämlich Israel herrscht über ganz Palästina.
Ilan
Pappe schlägt in diesem Buch ein Bresche für die historische Wahrheit, der sich
das israelische politische Establishment stellen muss, wenn es an Frieden
interessiert ist. Israels Sicherheitsestablishment missbraucht das Judentum,
weil es seine expansionistische Kolonial- und Unterdrückungspolitik mit
Judentum gleichsetzt und damit alle Juden in Geiselhaft nimmt.. Aufklärung tut
deshalb mehr als Not, die das Buch in hervorragender Weise leistet. Dem
Verleger Abraham Melzer gebührt deshalb ein besonderer Dank, dass er dieses
Buch auf den Markt gebracht hat, wohlwissend, dass ihn die zionistische
Israellobby dafür noch mehr hassen und verfolgen wird, um ihn mundtot zu machen
Den zionistischen Ideologen und dem politischen Establishment sei Pappes Buch als
Nachtlektüre besonders ans Herz gelegt, da die Entzauberung der zionistischen
Geschichtsmythologie ihnen bestimmt schlaflose Nächte bereiten wird. Auch für
die interessierte Öffentlichkeit ist dieses Buch ein absolutes Muss sein. 
Ilan Pappe, Was ist los mit Israel? Die zehn Hauptmythen des
Zionismus. Aus dem Englischen von Michael M. Schiffmann, Cosmics Verlag,
Neu-Isenburg 2016, 262 Seiten, Euro 15.
 ISBN: 978-3-9817922-6-3