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Tschad: Was wird aus Zouhoura?

Von Aurélie
Bazzara, LePoint Afrique, 21.11.2016, deutsche Übersetzung von Milena Rampoldi, ProMosaik.
Die 17-jährige Zouhoura ist zum Symbol der tschadischen Frauenfrage geworden. Im Februar 2016 fiel sie einer Gruppenvergewaltigung zum Opfer. Nun fängt sie in Nancy in Lothringen ein neues Leben an.
Die 17-jährige Zouhoura, das Opfer einer Gruppenvergewaltigung in ihrem Lande, dem Tschad, am 8. Februar 2016, hier bei einer Pressekonferenz in Paris am 18. März 2016.© AFP/Alain Jocard
 „Das ist das Mädchen, das beinahe den Präsidenten Idriss Déby  gestürzt hätte“, flüstert man in Präsidentenkreisen. Nichts weniger als das! Ihr Name ist Zouhoura. „Ich mag es nicht, wenn man das sagt. Ich schäme mich. Stell Dir vor, er ist doch der Präsident“, entgegnet die 17-Jährige. Wie schüchtern und fragil sie auch erscheinen mag: die junge, tschadische Frau hat es im Februar geschafft, eine ganze Regierung zu erschüttern.
„Das Mädchen, das beinahe Idriss Déby gestürzt hätte“
Auf dem Heimweg von der Schule wird sie von sieben jungen Männern entführt. Sie wird geschlagen und dann vergewaltigt. Ihre Angreifer, Söhne von Armeegenerälen und von Ministern, drohen ihr, die Bilder ihrer Qualen zu veröffentlichen, wenn sie redet. Zouhoura beschließt, jedes Tabu zu brechen und erstattet Anzeige. „Diese Erpressung ist im Tschad gang und gebe. Wenn man immer nur schweigt, beginnt das Ganze von Neuem, und andere Mädchen werden entehrt.“ Die unerträglichen Bilder gehen durch die sozialen Netzwerke. Sie sorgen für Empörung. Eine zweite Probe beginnt für sie, da sie zum Symbol des feministischen Kampfes in diesem Sahelland geworden ist. „Ich war verloren und verstand nichts mehr. Ich hatte den Eindruck, als würde man mich dazu anspornen, mich in einem politischen Kampf zu engagieren“, berichtet sie heute.
Die Regierung versucht zunächst, den Vorfall zu vertuschen, aber schließlich gibt sie nach. „Der Innenminister kam zu mir nach Hasue, um mich zu fragen, was wirklich geschehen war. Es war wie in einem  Film“, erinnert sich Zouhoura verblüfft. Mutig, aber noch nicht kühn genug, findet sie Zuflucht bei Abdallah Moussa, ihrem Onkel, einem tschadischen Flüchtling, der in Nancy in Frankreich lebt. Weit weg vom Tumult von N’Djamena, wo Tausende von Studenten, Frauen und Männer demonstrieren und „Gerechtigkeit für Zouhoura“ fordern. Am 30. Juni begann das Gerichtsverfahren. Ohne sie, ohne ihren Vater und ohne ihre Anwälte. „Die junge Dame ist nicht bei der Verhandlung erschienen. Wir Anwälte waren sehr enttäuscht von ihrer Haltung. Wir haben über die sozialen Netzwerke erfahren, dass sie nach Frankreich geflohen ist. Sie hat nie Kontakt mit uns aufgenommen“, bedauert Rechtsanwalt Frédéric Dainonet, einer der Verteidiger der zierlichen jungen Frau.
Ein Schauprozess
Nach einem Schauprozess werden die sechs Angeklagten  zu zehn Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Aber für Abdallah Moussa „war die Justiz nicht fair“. „Die Vergewaltiger waren nicht einmal 24 Stunden im Gefängnis“, wettert der Ersatzvater. Diese Vorwürfe weist der Generaldirektor für Menschenrechte beim Justizministerium vollständig zurück. „Alle Angeklagten befinden sich in Haft, bis auf einen, der aus dem Gefängnis ausgebrochen ist. Der Fall ist erledigt, Recht wurde gesprochen. Die Eltern haben nicht einmal Berufung eingelegt“, spricht Abdelnasser Garboa los. Eine verfahrensnahe Quelle fügt hinzu: „Der Onkel der jungen Frau nutzt das Schicksal seiner Nichte aus, um einen politischen Kampf daraus zu machen“. Ihrer Familie ist es egal. Der Kampf spielt sich nunmehr  anderswo ab, und zwar in Europa. „Zouhoura wird Anklage erheben, sobald sie 18 Jahre alt und die französische Staatsbürgerschaft erhalten wird. Sie wird die Verbrecher aufsuchen, um sie angemessen verurteilen zu lassen“, erklärt Abdallah Moussa, der Onkel des Opfers.
Während Zouhoura auf ihren 18. Geburtstag wartet, macht sie etwas völlig Neues. Sie hat sich darum bemüht, von diesen politischen Geschichten Abstand zu nehmen   und ist empört über die Dinge, die sie über ihren Vater gelesen hat. Mahamat Yesko, dem Gründer der Oppositionspartei Mouvement démocratique africain (MDA, Demokratische, afrikanische Bewegung) wurde vorgeworfen, vom Déby-Regime bestochen worden zu sein. „Er hat gar kein Interesse an der Sache gezeigt“, bedauert Rechtsanwalt Frédéric Dainonet. Und dann fügt er noch hinzu: „Wahrscheinlich hatte man ihm politische Versprechungen gemacht“. Öffentlich hat der Vater tatsächlich die Vergewaltigung der Tochter abgestritten. „Es ist, als hätte er mich zum zweiten Mal vergewaltigt“, erinnert sich die junge Frau. „Zu Beginn wollte ich nicht mehr mit ihm sprechen. Dann habe ich begriffen, dass er dazu gezwungen worden ist. Manchmal telefonieren wir uns“, meint sie abschließend.
Den Tschad vergessen
Ob es stimmt oder nicht: Zouhoura möchte den Tschad, wo sie sich nicht mehr in Sicherheit fühlt, einfach nur vergessen. Halbherzig nimmt sie ihr Studium in einem Fachgymnasium  in Lothringen wieder auf. Mit einer Obsession: ihre Geschichte zu verbergen. „Ich fühle mich immer komisch und von den anderen abgetrennt. Ich frage mich immer, ob ich mich denn verändert habe“, vertraut sie mir an. Und dann wechselt sie plötzlich das Thema: „Gefallen  dir die Reality-Shows?“ Die Schülerin lässt sich in ihrem bequemen rosaroten Schlafanzug mit gelben Punkten in den Sofa fallen und zappt von Des Anges 8 zu Secret Story nach  Marseillais et les Ch’tis. „Julien ist meine Lieblingsfigur“, kommentiert die Expertin, mit einem Glas Sodawasser in der Hand.
Auch wenn „Zouzou“, wie sie ihre Cousine, die mit ihr in Nancy lebt, nennt, in den Bildschirm eintaucht, der ihr ein glamouröses Leben auf Knopfdruck bietet, ist die  Familie auch immer in der Nähe. Sie erinnert sich an ihre glückliche Kindheit in den Vierteln der tschadischen Hauptstadt. Sie schwört uns, dass sie als Kind, das Lieblingskind von den 10 Geschwistern war. Wenn die „kleine Blume“ nicht am Rock ihrer Mutter hing, traf sie sich mit ihren Cousinen, „die wie Schwestern sind“, um sich verwöhnen und frisieren zu lassen. Eine Umgebung, durch die sie in den Jahren eine feministische Gesinnung erlangt hat.
Da sie zwangsweise zu schnell erwachsen wurde, sucht sie nun die Verteidigung des Anliegens der afrikanischen Frauen auch in ihrem Alltag heim. Es ist eine fixe Idee, die sie stärkt, indem sie sich schweren Herzens in die ärmlichen Zeugenaussagen taucht, die auf ihrer Wattpad-App gepostet werden. „Hier erzählen Frauen ihre Geschichten von ihrer Vergewaltigung oder Zwangsheirat“, erläutert die Aktivistin. Um ihren Kampf voranzutreiben, hat das schmâchtige Flüchtlingsmädchen vor dem Europäischen Parlament in Straßburg ihre Zeugenaussage gemacht. Sie wurde von zwei Abgeordneten des Menschenrechtsausschusses eingeladen. Das Ziel, das sie mit dieser Aussage verfolgte: sie wollte um Unterstützung bitten, um einen Verein zu gründen, der ihren Namen trägt. Und warum nicht? Sie könnte auch „Frauenministerin im Tschad werden“, lacht sie, während sie unbekümmert die Augen zum Himmel hebt.