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Edward Saids Erbe ehren heißt, die BDS-Bewegung unterstützen

Von Nada Elia, Mondoweiss, 26.
September 2016, übersetzt von K. Neubauer, herausgegeben von Fausto Giudice, Tlaxcala, 4.
Oktober 2016. 

Am 25. September vor 13 Jahren starb Professor Edward Said, einer
der einflussreichsten Intellektuellen des 20. Jahrhunderts und eine politische
Ikone für jeden, der sich für Palästina engagierte. Und wie es mit den meisten
Ikonen der Geschichte geschieht, führte Saids Erbe zu einem Tauziehen zwischen
“liberalen Zionisten” und tausenden anti-zionistischen Kritikern und
BDS-Aktivisten, die seine radikale Gelehrsamkeit und sein politisches
Engagement hervorgebracht hat.
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Wandmalerei zur Ehre Edward Saids,  San Francisco State University
Jahrzehnte lang, als Said noch unter uns war, wurde er als “Terror-Professor” in den Schmutz gezogen, auch von dem rechtsgerichteten Magazin Commentary,das ihn auch beschuldigte, eine “doppelte Karriere als Literatur-Professor und Ideologe des Terrors” zu führen. 2000 wurde er als jemand verunglimpft, der zur Gewalt greife, als er von einem Dorf im südlichen Libanon, der gerade erst von der 22-jährigen israelischen Besatzung befreit worden war, einen Stein in Richtung Israel geworfen hatte. Während seiner Karriere gab es konzertierte Bemühungen seine Gelehrsamkeit zu diskreditieren  und sogar seine palästinensische Identität zu leugnen. Letzteres ist eine Kränkung, die viele Palästinenser in der Diaspora erfahren: sogar nachdem der Status eines palästinensischen Flüchtlings als einziger Flüchtlingsstatus weltweit von einer Generation auf die nächste weitergegeben wird, wird denen von uns, die außerhalb ihrer historischen Heimat geboren sind, deren Flüchtlingsstatus aber nicht von der UN dokumentiert ist, die palästinensische Identität abgesprochen, da die Zionisten danach trachten uns unser Rückkehrrecht zu nehmen und leugnen, dass hunderttausende von uns während der Nakba vertrieben worden sind. (Die pro-israelische Organisation StandWithUs zum Bespiel hat mich zur Irakerin erklärt, einer “vorgetäuschten” Palästinenserin, weil ich tatsächlich in Bagdad geboren bin, aber von palästinensischen Eltern, die beide aus der Altstadt von Jerusalem kamen. Saids Verleumder behaupteten, er wäre Ägypter, weil er in Kairo groß geworden ist.
In Orientalismus, seinem grundlegenden Werk, dass die postkolonialen Studien  lancierte, bestand er darauf, dass das westliche Narrativ über den “Orient” nicht dekontextualisiert werden könnte, sondern als Instrument des  Kolonialismus und des Imperialismus gesehen werden müsste.
Lange bevor die Befürworter des kulturellen Boykotts Essays schrieben, in denen sie erklärten, dass die Kunst nicht über der Politik stehe, veröffentlichte Said ein Buch nach dem andern, in denen er genau diesen Punkt herausstellte, analysierte und veranschaulichte. 
Edward Said hat sich natürlich auch mit Daniel Barenboim 1999 zusammengetan, um dasOrchester des West-östlichen Divans  zu gründen, eine israelisch-arabische Initiative, die junge aufstrebende arabische und israelische Musiker unter Barenboims Leitung für Auftritte in europäischen Konzertsälen zusammen bringt. Ich sage “arabisch” nicht im zionistischen Sprachgebrauch, der die palästinensische Identität auszulöschen sucht, sondern weil Musiker aus verschiedenen arabischen Ländern einschließlich Palästina sich in dem Orchester vereinten.  Und ich sage “israelisch-arabisch” und stelle israelisch voran, weil das Orchester einen israelischen Dirigenten hatte und weiterhin hat. Auch wenn in ihm Musiker aus Jordanien, Syrien, dem Libanon und Ägypten waren, liegt der Fokus des Orchesters exklusiv auf Israel/Palästina und reduzierte damit “Palästinenser” zu “Arabern”, die es scheinbar nur zögernd als solche bezeichnet. Wäre sein Fokus tatsächlich auf “Araber” gerichtet, würde es die soziopolitische Situation in Ländern wie Libanon, Syrien und Ägypten berücksichtigen. 
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 Der symbolische Steinwurf von Edward Said im Jahr 2000
“Ich ermuntere die Leute dazu, die Besatzungskräfte anzugreifen! Einen Stein auf die israelischen Grenztruppen zu werfen war ein Augenblick des Hochgefühls…”- Plakat von Mohammed Hamza, 2012

Andererseits weist Saids gesamtes Werk mit Überzeugungskraft den Zionismus und die aufgezwungenen Konzessionen der Enteigneten zugunsten der Privilegierten zurück, rückt die Anliegen der Palästinenser, die palästinensische Souveränität und das palästinensische Narrativ ins Zentrum. Er war überzeugt, dass es nicht möglich ist, die Politik der USA gegenüber den Palästinensern zu verändern ohne den Diskurs über Palästina zu verändern. Dass wir jetzt von der “Palästina-Frage” sprechen anstatt vom Nahostkonflikt und die Einstellung derer sofort erkennen können, die darauf bestehen “Nahostkonflikt” oder “arabisch-israelischer Konflikt” zu sagen, wenn sie von Palästina sprechen, muss seinem Fortbestehen [der Bezeichnung “Palästina-Frage, AdÜ] zugerechnet werden. Die Gespräche, die er in den 1970-er Jahren eröffnete, als er darauf bestand, über den “Zionismus vom Standpunkt seiner Opfer aus”  zu diskutieren, in einem Kapitel in The Question of Palestine, in dem er argumentiert, die Palästinenser hätten ein angeborenes Recht auf nationale Selbstbestimmung, sind die Gespräche, die es vielen von uns erlaubten, heute die israelischen Übergriffe anzuprangern – sie sind die Vorläufer der Gespräche, die von BDS erweitert wurden, nachdem sie uns den theoretischen Rahmen dafür gegeben haben, um von Siedlungskolonialismus und Enteignungspolitik zu sprechen.
Es ist daher interessant zu sehen, dass die liberalen Zionisten jetzt Said als Modell für “Zusammenarbeit” empfehlen, die das Zusammenkommen von Mitgliedern der Seite des Unterdrückers und der unterdrückten Klasse schwer nachvollziehbar erscheinen lässt, als ob Politik keine Rolle spielen würde, die völlig inkonsequent Einzelpersonen mit verschiedenem Background einmal miteinander Brot brechen und in Hummus dippen lässt. Als wäre der Hummus nicht auch etwas Einheimisches, das sich die Siedlerkolonialisten anzueignen suchen. Und das Orchester des West-östlichen Divans wird oft als Muster einer “interkulturellen” Vereinigung genannt, das sich dem gegenwärtigen Ruf nach kulturellem Boykott widersetzt, wobei vollständig außer Acht gelassen wird, dass der Aufruf zu einem kulturellen Boykott erst zwei Jahre nach Saids Tod kam. Andererseits wird diese Zusammenarbeit von der Palestinian Campaign for the Academic and Cultural Boycott Israel (PACBI) als etwas “Normalisierendes” problematisiert, obwohl diese sechs Jahr vor dem Aufruf zum kulturellen Boykott entstand. 
Der jüngste Austausch zwischen dem antizionistischen libanesisch-australischen Anthropologen Ghassan Hage und Nir Avieli, dem Vorsitzenden der Israelischen Anthropologischen Vereinigung, ist ein gutes Beispiel dafür, wie liberale Zionisten an der Idee des “Dialogs” sogar noch unter der sich für die Palästinenser ständig verschlechternden Situation hängen, und Said wird als erstes Beispiel für einen palästinensischen Intellektuellen zitiert, der einem solchen Dialog zugestimmt hätte. Als Hage die Einladung als Hauptredner zum Jahrestreffen der Israelischen Anthropologischen Vereinigung ablehnte, schrieb ihm Nir Avieli, der ihn eingeladen hatte, zurück: “Kollegen, die ich in Israel und im Ausland konsultiert hatte, sagten mir, einen Palästinenser und/oder einen Anthropologen aus dem Nahen Osten als Hauptredner zum Jahrestreffen der Israelischen Anthroplogischen Vereinigung einzuladen, sei zwecklos, wenn nicht verrückt: Sie sagten, “kein palästinensischer oder arabischer Intellektueller mit Selbstachtung würde eine solche Einladung annehmen”. “Ja”, fügten sie hinzu, “Edward Said war gekommen.”
“Aber das war Said, und der Besuch fand zu einer ganz anderen Zeit statt”, sagte Avieli korrekterweise. Said hatte 1999 tatsächlich zugestimmt, vor der Israelischen Anthropolgischen Vereinigung zu sprechen. Dies war vor dem Aufruf zum BDS.
Das Weglassen von Saids völliger Ablehnung von Konzessionen an die herrschende Macht, eine Ablehnung, die ihn nach den Oslo-Verträgen auf seine Position in der PLO verzichten ließ, ist nicht verschieden von der revisionistischen Neuschreibung von Martin Luther King jr., dessen aufmüpfige Haltung gereinigt wurde und dessen größten Erkenntnisse über Militarismus und Rassismus unter den Teppich gekehrt wurden, nachdem man BlackLivesMatter-Aktivisten erzählt hatte, Martin Luther King jr. würde den Verkehr nicht “unterbrechen” und das business as usualnicht “stören”, obwohl es eine leicht zugängliche Dokumentation darüber gibt, dass er das tatsächlich und immer wieder gemacht hat und dafür Märsche, Proteste und Boykotts anführte.
BDS-Aktivisten mögen nicht wie Said aussehen oder klingen, so wie auch BLM-Aktivisten heute nicht wie Martin Luther King jr. aussehen oder klingen, letztlich ist aber Said, der “kosmopolitische” Sohn des palästinensischen Jerusalem unser Held, unsere Inspiration, unser Vorbild, als herausfordernder Palästinenser, der in seinen letzten Jahren gelegentlich die schwarz-weiße Kufiya trug. Wenn wir der Macht die Wahrheit sagen, wenn wir den Rassismus zurückweisen, wenn wir das zionistische Narrativ mit unseren “störenden” Aktionen zertrümmern, wenn wir Künstler bitten nicht im Apartheid-Israel aufzutreten, führen wir, nicht die liberalen Zionisten sein Erbe fort. Wir sind die, die diese Fackel weiter tragen, und wir werden es nicht zulassen, dass sein Mut, seine Klarheit, seine Integrität, gesäubert werden, nachdem sie in der Vergangenheit verblasst waren. 
Ich maße mir nicht an für Said zu sprechen, seine eigenen Worte sollten genügen. Wenn wir Saids Worte lesen, können wir nicht anders als in der abschließenden Analyse und ein Jahrzehnt vor dem Lautwerden des Aufrufs zum BDS, anzuerkennen, dass Said unmissverständlich Sanktionen gegen Israel befürwortet hat, seinen Exzeptionalismus verurteilt und es mit dem Südafrika der Apartheid verglichen hat.

“Die Frage, die gestellt werden muss”, schrieb er in The Politics of Dispossession, “ist, wie lange kann die Geschichte des Antisemitismus und des Holocaust als Umfriedung benützt werden, um Israel von Auseinandersetzungen  und Sanktionen wegen seines Verhaltens gegenüber den Palästinensern frei zu stellen, Auseinandersetzungen und Sanktionen, die gegen andere repressive Regierungen angewandt werden, wie es Südafrika war? Wie lange noch werden wir leugnen, dass die Schreie der Menschen von Gaza … direkt mit der Politik der israelischen Regierung zusammenhängen und nicht mit den Schreien der Opfer der Nazis?”

Von allen “anderen repressiven Regierungen”, die Said erwähnen hätte können, nannte er eine als beispielhaft: das Südafrika der Apartheid-Ära. The Politics of Dispossession kam 1994 heraus, in dem Jahr, in dem die Apartheid in Südafrika offiziell abgeschafft wurde; Said reiste damals sofort dorthin, um zu sehen, wie der Kampf gekämpft und wie er gewonnen worden war. Said bat darum, gegenüber Israel “Auseinandersetzungen und Sanktionen… anzuwenden, so wie Sanktionen bei Südafrika angewandt wurden.” Würde das heute jemand wirklich eher so interpretieren, dass “Kunst über der Politik steht”, als Boykott, Divestment und Sanktionen?