General

Behinderung im Islam

Von Milena Rampoldi, ProMosaik. Als Menschenrechtlerin
setze ich mich dafür ein, dass Menschen nicht diskriminiert und nicht
unterdrückt werden. Und ein Teil der Gesellschaft, der immer noch sehr stark
diskriminiert und ausgeschlossen wird, sind sicherlich die Menschen, die unter
einer Krankheit oder Behinderung leiden.



Diese Menschen werden in zweifacher Hinsicht
diskriminiert: einerseits werden sie ausgeschlossen, weil sie anders sind und
in der Gesellschaft als unnützlich gelten, weil sie nicht vorteilhaft sind, um
in einer konsumistischen und kapitalistischen Gesellschaft voranzukommen. Sie
stören meine Karriere, mein soziales Ansehen und meinen
ästhetisch-konsumistischen Stolz. Andererseits wird man offen mit ihnen diskriminiert,
wenn man als Minderheit in der Gesellschaft versucht, diese Menschen nach dem
Prinzip der Inklusion aufzunehmen und als einen wertvollen Teil unserer
Gemeinschaft zu akzeptieren. Neben den physischen Barrieren erfahren diese
Menschen aber am meisten emotionale Barrieren in den Köpfen der anderen, die
sie als krank oder behindert sehen und sich somit von ihnen distanzieren, weil
sie sie nicht brauchen können und ihr Anblick nicht “normal” erscheint oder
sogar irritiert.
Im Koran hingegen werden die Begriffe der
Krankheit und der Behinderung umgekehrt. Krankheit und Behinderung sind nicht
die tatsächlichen physischen oder geistigen Unzulänglichkeiten der Menschen, da
Allah die Menschen in “ihrer besten Form erschaffen hat”, wie es in der Surah
95.4 heißt. Somit kann ein Mensch mit einer körperlichen oder geistigen
Imperfektion gar nicht als krank und behindert gelten. Er gehört so wie er ist
zur islamischen Gemeinde, denn Allah hat ihn wie alle anderen perfekt und nach
seinem Ebenbild erschaffen. Somit ist seine Unzulänglichkeit, wie sie die
Menschen sehen, die nicht nach dem Ideal des Koran leben, unwichtig und nicht
der Rede wert.
Wer im Koran als krank und physisch oder
psychisch begrenzt gilt, ist hingegen der Mensch, der sich gegenüber dem
Schöpfer schließt, den Schöpfer nicht wahrnimmt und bewusst gegen ihn spricht
und handelt. In einem wichtigen Vers der Sura al-Baqara, Vers 7 heißt es
hierzu:
“Versiegelt hat Allah ihre Herzen und ihre
Ohren, und über ihren Augen liegt eine Hülle, und sie werden schwer bestraft.”
Die tatsächliche Krankheit und Behinderung als
Strafe wie etwa im buddhistischen Denken oder teilweise auch im Christentum im
Rahmen der theologischen Anschauung der Erbsünde ist dem Islam völlig fremd.
Denn Allah prüft den Menschen durch die Krankheit und die Behinderung und bestraft
ihn keineswegs. Daher werden Menschen mit physischen oder geistigen
Beschränkungen im Islam als Teil der Gesellschaft angesehen und in ihrer Würde
respektiert.
In diesem Zusammenhang ist vor allem hinsichtlich
der Pädagogik Allahs für die Inklusion Kranker und Behinderten in die Ummah die
Sure 80 ausschlaggebend, in der Allah sogar den Propheten schilt, weil er einen
blinden Mann unzureichend gut behandelt und vernachlässigt, als er sich an ihn
wendet. Der Vorwurf Allahs gegen den Propheten erstreckt sich über den gesamten
ersten Teil der Sura 80, 1-10 (al-Abasa) und betont somit die Bedeutung
dieses Themas:
1. Er runzelte die Stirn und wandte sich ab,

2. Weil ein blinder Mann zu ihm kam.

3. Was aber lässt dich wissen? Vielleicht wünscht er, sich zu reinigen,

4. Oder er möchte der Lehre lauschen und die Lehre möchte ihm nützlich sein.

5. Was den anlangt, der gleichgültig ist,

6. Dem widmest du Aufmerksamkeit,

7. Wiewohl du nicht verantwortlich bist, wenn er sich nicht reinigen will.

8. Aber der, der in Eifer zu dir kommt,

9. Und der (Gott) fürchtet,

10. Den vernachlässigst du.
Nach
der Weltanschauung des Korans werden Menschen nicht aufgrund ihrer äußerlichen
Unzulänglichkeiten bewertet und ausgeschlossen. Denn es gibt im Koran keine
äußerlichen Unzulänglichkeiten. Diese schreiben wir den Menschen zu, um sie
nicht in die Gesellschaft aufzunehmen, wenn wir uns vom islamischen Ideal des
Menschen entfernen.
Diese
koranische Anschauung gilt für alle Arten von Krankheiten und Behinderungen, ob
nun körperlicher oder geistiger Art, wie im Koranvers 48:17 (al-Fath) bestätigt
wird. Hier heißt es
“Kein
Tadel trifft den Blinden, noch trifft ein Tadel den Lahmen, noch trifft ein
Tadel den Kranken (wenn sie nicht ausziehen). Und wer Allah und Seinem
Gesandten gehorcht, den wird Er in Gärten führen, durch die Ströme fließen;
doch wer den Rücken kehrt, den wird Er strafen mit schmerzlicher Strafe.”