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Vorbild NSA (II)

von Foreign German Policy, 8. September 2016. Die Spionageapparate des Bundes sollen im kommenden Jahr deutlich mehr Geld erhalten als 2016 und damit ihre Fähigkeiten zur Überwachung der Telekommunikation ausbauen. Berichten zufolge wird etwa der Haushalt des Bundesnachrichtendienstes (BND) 2017 auf 808 Millionen Euro steigen; das wären rund 75 Prozent mehr als noch im Jahr 2011. 
Auch das Bundesamt für Verfassungsschutz wird über einen Etat verfügen, der fast doppelt so hoch ist wie 2009, und in Zukunft unter anderem direkten Zugriff auf das Ausländerzentralregister erhalten. Beide Dienste sollen in die Lage versetzt werden, auch verschlüsselte Kommunikation beliebig zu dechiffrieren. Zugleich steht die Verabschiedung eines neuen BND-Gesetzes bevor, das die Tätigkeit des BND massiv entgrenzt und das inzwischen von mehreren UN-Sonderberichterstattern scharf kritisiert wird: Es trage der Tatsache nicht Rechnung, dass “der Schutz der Meinungsfreiheit” gemäß internationalen Übereinkünften “unabhängig von der Nationalität und von Grenzen” gelten. Ohnehin bestätigt ein unlängst bekannt gewordenes Beschwerdeschreiben der Bundesdatenschutzbeauftragten, dass der BND in der Praxis geltendes Recht weitgehend ignoriert. Beobachter kommen zu dem Ergebnis, Berlin arbeite am Aufbau einer “europäischen NSA”.
Mehr Mittel denn je
Die Haushalte der Spionageapparate des Bundes sollen im kommenden Jahr erheblich aufgestockt werden. Dies berichten Medien unter Bezug auf Haushaltsentwürfe für 2017. Demnach wird der Bundesnachrichtendienst (BND) nächstes Jahr 808 Millionen Euro zur Verfügung haben; das sind zwölf Prozent mehr als 2016. 2011 lag das Haushaltsvolumen des Dienstes noch bei 460 Millionen Euro. Bleibt es bei der geplanten Aufstockung, dann werden die BND-Mittel binnen nur sechs Jahren um mehr als 75 Prozent erhöht worden sein. Ähnlich verhält es sich mit dem Etat des Bundesamtes für Verfassungsschutz, der um 18 Prozent auf 307 Millionen Euro aufgestockt werden soll. Im Jahr 2009 hatte er noch bei 158 Millionen Euro gelegen. Werden die Pläne realisiert, dann entspräche dies einer Mittelerhöhung um fast 95 Prozent binnen acht Jahren.
Abfangen und entschlüsseln
Der BND wird einen erheblichen Teil seiner neuen Mittel den Berichten zufolge nutzen, um neue Technologien zur Überwachung der Telekommunikation zu beschaffen. 2017 sind gut 73 Millionen Euro dafür vorgesehen, in den Jahren danach laut aktuellen Plänen insgesamt weitere 249 Millionen Euro. Im nächsten Jahr sind allein 21,25 Millionen Euro für ein Projekt namens “Panos” vorgesehen, das es ermöglichen soll, verschlüsselte Messenger-Dienste wie WhatsApp zu knacken.[1] Aufträge dafür sollten auch “externe Firmen und Dienstleister” erhalten, heißt es im Etatentwurf. Den Berichten zufolge deutet dies darauf hin, dass der BND “Wissen über Schwachstellen in Zukunft auch einkaufen möchte”; entsprechende Software (“Zero Day Exploits”) wird von Hackern auf dem Schwarzmarkt für sechs- bis achtstellige Beträge angeboten.[2] Weitere BND-Projekte sollen Programme und Technologien entwickeln, die Chat-Kommunikation filtern und analysieren oder Kommunikation per Satellitentelefon abfangen können. In den Projekten enthalten sind zudem Abhörmaßnahmen am Internetknoten DE-CIX in Frankfurt am Main; dies ist der – gemessen am Datendurchsatz – größte Internetknoten der Welt.
Zentralstellenfunktion
Die neuen Mittel für das Bundesamt für Verfassungsschutz hingegen sollen den Berichten zufolge nicht nur zur Entwicklung von Abhörsoftware, sondern auch zur engeren Vernetzung der diversen deutschen Inlandsgeheimdienste eingesetzt werden. Bereits seit Juni ist bekannt, dass eine neue, im Geschäftsbereich des Bundesinnenministeriums tätige “Zentrale Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich” (ZITiS) den Verfassungsschutz, die Bundespolizei und das Bundeskriminalamt beim Knacken verschlüsselter Telekommunikation unterstützen soll. Sie werde außerdem, heißt es, mit ihren zunächst 60, perspektivisch sogar bis zu 400 Mitarbeitern Möglichkeiten schaffen, elektronische Nachrichten bereits vor der Verschlüsselung, also “schon an der Quelle”, abzufangen – offenbar per direktem Zugriff auf die Computer der Zielpersonen.[3] Mit den neuen Etatmitteln, heißt es, sollten nun die 16 Landesämter für Verfassungsschutz an eine Analyseschnittstelle des Bundesamtes angeschlossen werden, dessen “Zentralstellenfunktion im Verfassungsschutzverbund” damit gestärkt würde.[4] Darüber hinaus erhalten die Verfassungsschutzbehörden jetzt auch direkten Zugriff auf personenbezogene Datenbanken des Ausländerzentralregisters. In diesem sind alle Personen registriert, die mindestens drei Monate in Deutschland leben oder gelebt haben, aber nicht die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen. Das Ausländerzentralregister umfasst derzeit gut 26 Millionen personenbezogene Datensätze.
Schrankenloses Abhören
Die Aufrüstung der Geheimdienste geht einher mit einer Neufassung des BND-Gesetzes, die am 28. Juni vom Bundeskabinett beschlossen und am 8. Juli vom Bundestag in erster Lesung behandelt worden ist; sie soll in Kürze endgültig verabschiedet werden. Offiziell soll das neue Gesetz in Reaktion auf den NSA-Skandal die Grundlagen für die Arbeit der deutschen Auslandsspionage “präzisieren”. Tatsächlich entgrenzt es die Tätigkeit des BND noch stärker als bisher. Der Gesetzentwurf, der in der Bundesrepublik zunehmend auf Protest stößt, ist nicht nur laut Einschätzung des Wissenschaftlichen Diensts des Bundestags verfassungswidrig, weil er außerhalb Deutschlands lebenden Ausländern prinzipiell kein Grundrecht auf geschützte Telekommunikation gewährt und damit ihre massenhafte Ausforschung ermöglicht.[5] Er hat außerdem den Protest gleich dreier UN-Sonderberichterstatter auf sich gezogen. Wie die Sonderberichterstatter für den Schutz der Meinungsfreiheit, für die Situation der Menschenrechtsverteidiger und für die Unabhängigkeit der Richter und Anwälte schreiben, birgt der Gesetzentwurf nicht nur ein “hohes Risiko”, dass der BND “persönliche Daten” völlig unbescholtener “ausländischer Bürger und Institutionen sammeln und analysieren wird”; er rufe auch “ernsthafte Bedenken” hervor, “dass ausländische Journalisten und ihre Informanten Ziel von unbegründeter und unverhältnismäßiger Überwachung werden”. Das wiege besonders schwer, da “der Schutz der Meinungsfreiheit … gemäß dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte unabhängig von der Nationalität und von Grenzen” gelte.[6] Tatsächlich erlaubt der Gesetzentwurf dem BND Praktiken, die von der NSA bekannt sind und die im Sommer 2013 weltweit Empörung hervorriefen und damit den NSA-Skandal auslösten.[7]
Legal, illegal, ganz egal
Ganz unabhängig davon scheint die Annahme, die Vorschriften des alten oder auch des künftigen BND-Gesetzes ließen Rückschlüsse auf die tatsächliche Praxis des BND zu, vollkommen unrealistisch. Dies ergibt sich aus einem Schreiben, das die Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff am 15. März an den Staatssekretär im Bundeskanzleramt und Beauftragten der Bundesregierung für die Nachrichtendienste, Klaus-Dieter Fritsche, schickte. Voßhoff bezieht sich darin auf Bemühungen ihrer Behörde, Datenschutzkontrollen in der BND-Außenstelle in Bad Aibling vorzunehmen. Obwohl die Kontrollen nicht umfassend hätten durchgeführt werden können, da der Dienst sie “rechtswidrig mehrfach massiv beschränkt” habe, seien zwölf offene Rechtsverstöße festgestellt worden, konstatiert die Datenschutzbeauftragte. Unter anderem habe der BND “ohne Rechtsgrundlage personenbezogene Daten erhoben” und sie “systematisch weiter verwendet”. Darüber hinaus habe er, ebenfalls ohne die erforderliche Rechtsgrundlage, Dateien erstellt und sie langjährig genutzt. In großem Umfang seien Unbescholtene von den Maßnahmen betroffen gewesen. So seien in einem Fall “zu einer Zielperson … personenbezogene Daten” von insgesamt “fünfzehn unbescholtenen Personen erfasst und gespeichert” worden, berichtet Voßhoff.[8] Sie verlangt in ihrem Schreiben die Löschung der illegal gespeicherten Daten – “unverzüglich”. Ob dies mittlerweile geschehen ist, ist unbekannt; Zweifel sind erlaubt.
Eigenständig agieren
Beobachter stufen die kostspielige Aufrüstung der deutschen Geheimdienste im IT-Bereich als “einen Versuch der Emanzipation von den US-Diensten” ein: “Auf lange Sicht planen die deutschen Geheimdienste offenbar, eigenständiger agieren zu können”, heißt es.[9] Über den Entwurf für das neue BND-Gesetz urteilt Klaus Landefeld, Vorstandsmitglied des IT-Branchenverbandes Eco und Beirat des Internetknoten-Betreibers DE-CIX Management GmbH: “Die NSA würde sich freuen, wenn sie so eine Gesetzesgrundlage hätte.”[10] Tatsächlich fordern deutsche Politiker und Experten seit 2013, Deutschland und die EU müssten in Sachen Spionage mit den USA gleichziehen. “Das Land ist abhängig von der Spähtechnologie der Amerikaner”, kritisierte im November 2013 der Politologe Herfried Münkler, ein Beirat der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS): Man müsse jetzt “im Prinzip … eine europäische NSA” aufbauen.[11] Mit Blick auf die NSA äußerte im Dezember 2013 der damalige innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Hans-Peter Uhl: “Wir können nicht dulden, dass eine amerikanische digitale Besatzungsmacht in Deutschland regiert”. Uhl ergänzte: “Ich glaube, wir sollten in Deutschland die Souveränität auf dem Gebiet der IT zurück erlangen. … Das werden wir tun.”[12] Mit der massiven IT-Aufrüstung der deutschen Geheimdienste und dem neuen BND-Gesetz ist Berlin dazu auf dem besten Weg.