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Netanjahu ist ein Kriegsverbrecher, sagt ehemaliger niederländischer Premierminister

Von Adri Nieuwhof, Electronic Intifada, 9.
September 2016, deutsche Übersetzung von Milena Rampoldi, ProMosaik.
Der Parlamentarier Tunahan Kuzu (l.)
weigert sich, dem israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu während
seines Besuchs im Den Haager Parlament, am 7. September 2016, die Hand zu
reichen.  Bart Maat EPA
Das Zeitalter der „bedingungslosen
Freundschaft“ zwischen Israel und den Niederlanden nimmt wohl sein Ende,
schrieb die niederländische rechte Tageszeitung De Telegraaf, als es diese Woche
wegen des zweitägigen Besuchs von Benjamin Netanjahu in den Niederlanden zwecks
Besprechung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zu Protesten kam.
In einem besonderen
Moment, der auf Video aufgenommen wurde, weigerte sich der niederländische
Abgeordnete Tunahan Kuzu, während eines Treffens mit Parlamentariern, dem
israelischen Premierminister die Hand zu reichen.


Pro-palästinensische
Solidaritätsgruppen hatten bei den Parlamentariern eine Petition eingereicht.
Diese war von mehr als 7.500 Menschen unterzeichnet worden und forderte
Sanktionen gegen Israel aufgrund seiner „Politik der Unterdrückung,
Diskriminierung und des Landraubes und des Ignorierens der Vorgaben der Vereinten
Nationen“.
Die Menschen gingen
auch auf die Straße, um gegen Netanjahus Besuch zu protestieren.
Und mehr als tausend
Menschen schrieben an die Parlamentarier und forderten sie auf, vom geplanten
Treffen mit Netanjahu im Parlament Abstand zu nehmen.


Rik Grashoff, ein
Parlamentarier der Grünen Partei
kündigte auf Twitter an, dass er vom
Treffen fernbleiben würde, weil es nicht die „katastrophale Politik“ Israels
gegenüber den Palästinensern verändern würde.
Anstatt dessen
forderte Grashoff mehr Druck auf Israel, u.a. durch die Verhängung von
Sanktionen.
Kuzu, einer der
zwei Abgeordneten der DENK-Partei, beschlossen, am Treffen teilzunehmen,
um Netanjahu herauszufordern.
Kuzu trug einen Knopf
mit einer palästinensischen Flagge, nickte Netanjahu zwar zu, streckte aber
nicht seine Hand aus, als Netanjahu ihm vorgestellt wurde. Der israelische
Premierminister war überrascht und sagte laut „Ok, ok“, bevor er weiterging.
„Propaganda“
Kuzu erklärte, dass seine Handlungen die Antwort auf Netanjahus Kommentare während eines Treffens hinter verschlossenen
Türen mit den Mitgliedern des Komitees für ausländische Angelegenheiten des
Parlaments waren, die Kuzu „Propaganda“ nannte.
Kuzu meinte, er hätte
Netanjahu mit Bildern der israelischen Zerstörung in Gaza konfrontiert und den
Premierminister gefragt, ob das der Gegenstand seiner Förderung der Demokratie,
der Technologie und der Sicherheit wäre. Kuzu zufolge hätte Netanjahu „keine
Antwort“ darauf gegeben.
„Während die Straßen
von Gaza im Sommer 2014 blutüberströmt waren mit dem Blut der Kinder, wurden
hier die roten Teppiche ausgebreitet“, schrieb Kuzu auf Facebook. „Und das verdient
keinen Handschlag, sondern wohl eher eine Bezugnahme auf #FreePalestine.“
Als Reaktion auf die
Einstellung von Kuzu, forderte der islamfeindliche Demagoge Geert Wilders den Ausschluss Kuzus aus dem
Parlament. Er wäre, so Wilders, türkischer Herkunft und befände sich somit in
einem „Loyalitätskonflikt“.
Wilders, der von
bekanntesten islamfeindlichen Quellen der USA finanziert wurde, hat auch die israelischen
Siedlungen im besetzten Westjordanland gelobt und stellte die Existenz von
Palästina in Frage.
Aber auch andere
Stimmen aus der niederländischen, politischen Mehrheit schlossen sich der
Kritik an Israel an.
„Alle müssen für den
Konflikt verantwortlich gemacht werden, außer Israel“, kommentierte der
Parlamentarier der Arbeitspartei Michiel Servaes auf
Twitter.      
Vor dem Treffen kündigte Servaes an, er würde Netanjahu
dazu auffordern, „seine destruktive Politik der Besatzung zu beenden und sich
an den Friedensgesprächen zu beteiligen. Nur dann können wir uns auf die Seite
Ihres Landes stellen.“
Harry van Bommel der
sozialistischen Partei schrieb auf Twitter, Netanjahu hätte das
Vorhandensein belgischer Enklaven in den Niederlanden zitiert, um die
israelischen Siedlungen im besetzten Westjordanland zu rechtfertigen.
Netanjahu hätte sich
auf die winzigen Flecken des belgischen Territoriums bezogen,
die noch aus dem Mittelalter stammen.
Natürlich gibt es
keine Parallele: es gibt keine Unstimmigkeit zwischen Belgien und den
Niederlanden darüber, wem dieses Land gehört, während die israelischen
Siedlungen in einem besetzten Gebiet, auf Land, das den Palästinensern
zwangsentzogen wurde, gegen das Völkerrecht verstoßen.
„Kriegsverbrecher“
Der ehemalige
Premierminister der Niederlande, Dries van Agt, bedauerte, dass die Regierung
von Premierminister Mark Rutte vor Netanjahu den roten Teppich ausgerollte
hatte.
Die mitte-rechts
orientierte Volkspartei von Rutte regiert in einer Koalition, in der sich auch
die Laborpartei befindet.
Im nationalen Fernsehen bezeichnete van Agt
Netanjahu einen „Kriegsverbrecher“, der vor das Internationale Strafgericht
nach Den Haag gebracht werden sollte.
In der Zwischenzeit
nutzte Amnesty International die Gelegenheit von
Netanjahus Besuchs, um gegen den Einsatz der Administrativhaft durch Israel zu
protestieren.
Derzeitig befinden sich
mehr als 700 Palästinenser ohne jegliche Anklage in Administrativhaft. Diese
Praxis hat Israel aus der britischen Kolonialherrschaft in Palästina
übernommen.
Während einer
gemeinsamen Pressekonferenz mit Netanjahu, wiederholte Premierminister Rutte den Standpunkt seiner Regierung, nach dem die
BDS-Kampagne von der „Meinungs- und Versammlungsfreiheit geschützt ist“.
Während er das Recht
unterstützt, Israel zu boykottieren, hat Rutte erklärt, dass sich seine
Regierung der BDS-Bewegung widersetzt.
Ruttes Anmerkung
weist darauf hin, dass Netanjahu erneut versucht hat, die BDS-Bewegung zu
delegitimieren.
„Der Siedlungsbau
muss gestoppt werden, und so auch die Abrisse und die Hetze“, meinte Rutte.
Aber trotz solcher
Kritik geht die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen den Niederlanden und
Israel wie üblich weiter.
Wie diese Woche
doch gezeigt hat, stößt die enge Beziehung zwischen den beiden Ländern
offensichtlich immer mehr auf Widerstand.