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Der Kairo-Turm, ein riesiger ägyptischer Mittelfinger gegen USA

von Farah Halime, Tlaxcala 14. September 2016. Deutsche Übersetzung von Milena Rampoldi, ProMosaik. Im Zentrum von Kairo steht ein 185 Meter hoher Turm. Die Zementstruktur ist das höchste Gebäude in ganz Nordafrika und sticht als beeindruckende Präsenz aus der niedrigen Skyline der Stadt heraus. Aber er steht auch für ein falsch gelaufenes US-Schmiergeld und zeigt somit in architektonischer Form der CIA und seiner Einmischungspolitik den Mittelfinger.
Spät in der Nacht traf sich damals im Büro des abgesetzten Königs Faruk derägyptische Heerführer und zukünftige Präsident Gamal Abdel Nasser mit dem US-Geheimdienstbeamten Kermit Roosevelt, dem Enkel des ehemaligen Präsidenten Teddy Roosevelt. Das Treffen war der Beginn der US-amerikanischen Bemühung, Großbritannien als Bankier und Waffenlieferer zu ersetzen. Im Gegenzug sollte es politische Stabilität und die Gewährleistung geben, dass Nasser nicht den algerischen Aufstand unterstützte, mit den Sowjets arbeitete oder sich Israel widersetzte.
Nasser mit Kim Roosevelt
Nasser, der damals knapp über 30 war, hörte sich Roosevelts Vorschlag schweigend an und entzog dem Harvard-Abgänger nie seinen Blick. Er zuckte nicht einmal, als Roosevelt Nasser eine große Geldtransaktion auf sein Privatkonto ankündigte, „um sich präsidiale Sicherheitsausstattungen zu erkaufen“, schrieb der ehemalige CIA-Beamte Miles Copeland in seiner Chronik über Nassers Geschichte in The Game of Nations. Roosevelt überreichte „mutmaßlich Nassers Mann des Vertrauens Hassan al Tohami einen Koffer, der mit kleinen Scheinen vollgestopft war und ungefähr 1 Million US-Dollar enthielt“, vermerkte Copeland, obwohl berichtet wurde, dass der Turm ungefähr $6 Millionen kostete.
Aber Nasser, ein Populist aus einem Kairoer Armenviertel, wollte die Unabhängigkeit Ägyptens aufrechterhalten und schreckte vor der Annahme zurück, dass man ihn kaufen könnte. Unnachgiebig stand „er auf, ging um den Schreibtisch und schüttelte Roosevelts Hand“, wie es inInside British Intelligence: 100 Years of MI5 and MI6 von Gordon Thomas heißt, der die Geschichte später von Nasser neu erzählt bekam. „Ich sagte doch, dass es eines Tages ein Denkmal zu seinen Ehren in Kairo geben würde“, hätte Nasser gesagt.
Das war ein Hinweis auf den Kairo-Turm, der errichtet wurde, um an eine pharaonische Lotosblume zu erinnern und eine offene Gitterkonstruktion darstellt, die bald den Spitznamen  el-wa’ef rusfel, auf Arabisch „Roosevelts Erektion“ erhielt. Der Turm wurde zum Symbol der Missachtung Nassers bezüglich der ausländischen Einmischung und der Art und Weise, die US-Regierung öffentlich zu rügen und in Verlegenheit zu bringen. „Offen gesagt wollte Nasser der  ra’is [arabisches Wort für Präsident] in der Region sein und nicht einer vom Westen angeführten Koalition“, meint Owen Sirrs, ein ehemaliger hochrangiger Geheimdienstoffizier der Defense Intelligence Agency in Washington und Autor des Werkes The Egyptian Intelligence Service: A History of the Mukhabarat, 1910-2009. „Mit der Machtzunahme von Nasser stieg auch sein Ehrgeiz. Er sah sich selbst nicht nur als ägyptischen, sondern auch als arabischen Führer“, fügt er hinzu.
Als der Bau 1954 begann, waren die Beziehungen zwischen den USA und Ägypten belastet. Nasser erhielt nicht die $200 zusätzlichen Millionen, um ein hydroelektrische Kraftwerk in Assuan – als Hochdamm bekannt — zu errichten. Dies hatte teilweise auch mit seinem Widerstand gegen Israel zu tun. Die USA weigerten sich, den Damm zu finanzieren und Waffen an Ägypten zu liefern; zur Vergeltung kaufte Nasser seine Waffen vom Erzfeind der USA, der Sowjetunion– dies bedeutete für Nasser einen wichtiger Schritt hin zur von ihm wahrgenommenen Unabhängigkeit Ägyptens.
„Das einzige Problem war”, so Sirrs, “dass Ägypten nur unabhängig vom Westen wurde, um immer mehr in die Falle der Sowjets zu tappen.“ Die Ironie bestand gerade darin, dass, während der US-amerikanische Einfluss abnahm, der sowjetische Einfluss zunahm und Nasser dauernd von ägyptischen Kollegen umgeben war, die gierig auf die sowjetische Unterstützung waren.
Hinter Nassers Charisma und seinem Willen, die arabische Umgangssprache zu nutzen, nicht nur um die Ärmsten Ägyptens, sondern auch die Araber in der Region zu erreichen, verbarg sich eine beängstigende Realität. Wie es Samer Soliman in seinem Werk The Autumn of Dictatorship erörterte, gab es anscheinend einen ungeschriebenen Vertrag zwischen dem Staat und der Gesellschaft, gemäß dem ausgedehnte Dienste im Bereich der Erziehung, des Gesundheitswesens und der Beschaffung von Arbeitsplätzen effektiv zu Gunsten der Bevölkerung erbracht wurden. Dies erfolgte aber einher mit der Beeinträchtigung politischer Rechte. Und dies wurde zu einem Hauptproblem, als Nasser die Ressourcen aufbrauchte, um dem raschen demographischen Wachstum zu entsprechen. Schlimmer noch seineMukhabarat, der arabische Begriff für „Gemeindienste“:  denn diese „waren unter den gefürchtetsten in der Region“, berichtet Sirrs.
Trotz seiner Schwachpunkte hat seine Fähigkeit, sich den ausländischen Großmächten zu widersetzen, Nasser zu einer ungebrochene Popularität gebracht, die die des derzeitigen ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah el-Sisi weit übersteigt. „Nasser war einfach besser, wenn es um Ablenkungsmanöver ging“,  schreibt Joshua Stacher, Professor für Politikwissenschaften an der Kent State University. „Sisi will wie Nasser sein, aber er vertritt die Ansichten von [Anwar] Sadat“, fährt er fort und bezieht sich auf den dritten ägyptischen Präsidenten, der das Land den privaten Investitionen öffnete und sich aktiv für einen Friedensprozess mit Israel einsetzte.
Der Kairo-Turm, der zwischen 2004 und 2009 renoviert wurde, besitzt nun ein Drehrestaurant auf der obersten Etage. Alle Spuren des kontroversen Investments von Roosevelt sind schon lange verwischt. Ganz abgesehen von einer Fatwa, die in den Neunziger Jahren erlassen wurde und sich auf eine mutmaßliche Tendenz des Turms bezog, ägyptische Frauen zu erregen.