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Arbeit mit jungen Flüchtlingen: Das Projekt Jugendliche in Not der Glückskette

Cristina aus Kolumbien

von Milena Rampoldi, ProMosaik. Anbei mein Interview mit Daniela Toupane von Glückskette. Mit ihr hatten wir bereits über die allgemeinen Ziele und die Erfolgsgeschichte von Glückskette gesprochen. In diesem Gespräch ging es um das Projekt “Jugendliche in Not” und um die Bedeutung der Erziehung und Bildung, der Chancengleichheit und der Gewaltfreiheit, wenn es um junge Flüchtlinge geht.


Milena Rampoldi: Wie wichtig ist die Jugend für die Zukunft
unserer Gesellschaft und welche Hauptziele verfolgt Ihr Projekte Jugendliche in
Not?
Daniela Toupane: Die
Jugend ist die Zukunft unserer Gesellschaft. Jede Gesellschaft sollte deshalb
daran interessiert sein, dass ihre Jugendlichen engagiert und gut ausgebildet
sind und sich wohl in ihrer Haut fühlen. Die Teenager-Jahre sind dabei enorm
wichtig, denn hier werden die Weichen für die Zukunft gestellt, für die beruflichen
Erfolgsaussichten.
Leider
haben nicht alle Jugendlichen die Chance aus einer «gesunden» Familie und einem
gesunden Umfeld zu kommen. Zerrüttete Familienverhältnisse, Drogenprobleme,
Gewalt sind nur ein paar Gründe, die zu einem tiefen Selbstwertgefühl und einer
schwierigen Eingliederung in die Berufswelt führen.
Hier
setzen die Projekte aus der Sammlung «Jeder Rappen zählt für Jugendliche in
Not», der gemeinsamen Aktion der Glückskette und SRF (Schweizer Radio und
Fernsehen) an. Jugendliche, die es nicht aus eigenem Antrieb schaffen, in der
Berufswelt Fuss zu fassen, erhalten spezifische Unterstützung und Begleitung.
Somit kann ein Leben in Abhängigkeit vermieden werden und die Gesellschaft
profitiert von starken, integrierten Jugendlichen.
Im Ausland unterstützt das Programm Jugendliche, die
in einem von Naturkatastrophen, bewaffneten Konflikten oder verbreiteter Gewalt
gezeichneten Umfeld leben. Sie erhalten Zugang zu Schul- und Berufsbildung,
medizinische Unterstützung oder Schutzmassnahmen, um sie vor Ausbeutung zu
bewahren und ihnen ein Leben in Würde und Sicherheit zu ermöglichen.
MR: Welche Aspekte umfasst die Not
dieser Jugendlichen Ihrer Erfahrung nach und wie wichtig ist es, das Problem
nicht auf das Wirtschaftliche zu reduzieren?
DT: Die
schwierige berufliche Integration dieser Jugendlichen ist nur die Konsequenz ihrer
Probleme und Not. Oft führt die Akkumulierung verschiedener Probleme wie Gewalt
im Elternhaus, daraus resultierende schlechte Schulnoten oder Mobbing durch
Kollegen dazu, dass das Selbstwertgefühl dieser Jugendlichen so stark sinkt,
dass sie durch eigenen Antrieb den Anschluss nicht schaffen. Auch jugendliche
Flüchtlinge haben Mühe, sich in unserem schulischen und beruflichen System
zurechtzufinden und brauchen dabei viel Unterstützung.
In
einem ersten Schritt geht es bei diesen Projekten deshalb immer darum, durch
spezifische Massnahmen das Selbstwertgefühl der Jugendlichen soweit wieder
instand zu stellen, dass sie aktiv an der Integration mitwirken können. Die
erfolgreiche Integration in den Arbeitsmarkt über Praktika oder Berufslehren
ist dann der logische nächste Schritt.

MR: Welche sind die Hauptprobleme
von jugendlichen Flüchtlingen?
DT: Jugendliche
Flüchtlinge sehen sich mit unterschiedlichen Problemen konfrontiert. Die Flucht
an sich ist meist ein traumatisches Erlebnis, was das psychische und physische
Wohlbefinden stark beeinträchtigt. Dann spielen die kulturellen Unterschiede
eine grosse Rolle und natürlich auch die unterschiedlichen Bildungssysteme. In
Projekten für jugendliche Flüchtlinge gibt es einerseits Jugendliche, die kaum
über Schulbildung verfügen und wieder andere, die ein extrem hohes
Bildungsniveau haben.
Deshalb
müssen diese Jugendlichen individuell gefördert und unterstützt werden, eine
Pauschallösung gibt es nicht. Die meisten sind aber hochmotiviert und stecken
sich selbst oft sehr hohe Ziele.
MR: Welches Potential haben die
Jugendlichen aus aller Welt und was können wir von Ihnen lernen?
DT: Diese
Jugendlichen haben in ihrem kurzen Leben schon sehr viel erlebt und leider
nicht nur schöne Sachen. Sie mussten lernen mit extremen Situationen umzugehen
und sich schnell auf neue Situationen einzustellen. Der Wunsch nach einem Leben
in Sicherheit und Frieden überwiegt jedoch bei allen. Die meisten jugendlichen
Flüchtlinge, die es zu uns geschafft haben, haben grosse Träume und sind sehr
motiviert und ambitioniert. Davon könnten sich «unsere» Jugendlichen oft eine
Scheibe voll abschneiden.
MR: Jugendliche sind weltoffen und
aufnahmefähig. Daher sehe ich die Migration von Jugendlichen als Chance für die
Gastgesellschaft. Wie ist das Ihrer Meinung nach in der Schweiz?
DT: Junge
Menschen aus Krisengebieten haben oftmals keine andere Wahl, als sich fern
ihrer Heimat eine bessere Zukunft aufzubauen. In der Schweiz gibt es viele
kleine Initiativen, welche jugendlichen Flüchtlinge bei ihrer Integration und
beruflichen Weiterentwicklung unterstützen. Die Schulen, Sportvereine und
kulturelle Anlässe spielen bei der Einbindung in die Zivilgesellschaft eine
sehr wichtige Rolle. Und in diesem Bereich gibt es in der Schweiz eine Menge
sehr bewundernswerte Initiativen, mit dem Grundgedanken, dass alle Seiten von
einem solchen Austausch profitieren.
MR: Wie wichtig ist es, die
Jugendlichen zu integrieren, ohne sie zu assimilieren? Wie wichtig ist der
Erhalt der eigenen Kultur und Religion für einen jugendlichen Flüchtling?
DT: Die
Teenager-Jahre sind für jeden Jugendlichen an sich schon eine grosse
Herausforderung. Zusätzlich noch flüchten zu müssen und sich ein Leben in einer
völlig fremden Kultur aufzubauen, ist eine enorme Herausforderung. Die eigenen
Wurzeln kultivieren zu dürfen, sich selbst zu bleiben ist dabei ein Luxus, den
viele in ihren Ursprungsländern nicht leben durften.
Damit
die Integration erfolgreich und nachhaltig verläuft, ist es wichtig, dass die
Jugendlichen ihre eigene Kultur und Religion pflegen dürfen und können und
gleichzeitig lernen, sich auf das Neue einzulassen. Wichtige hiesige
gesellschaftliche Verhaltensregeln und Normen müssen sie auf alle Fälle lernen,
das heisst aber nicht, dass sie sich selbst verleugnen sollen. Dies umzusetzen
bedarf von den betreuenden Personen sehr viel Sensibilität, Verständnis und
Feingefühl.
MR: Was hat das Projekt schon
erreicht und was wünschen Sie sich für die Zukunft?
DT: Das
bisher erreichte lässt sich am besten anhand von zwei Jugendlichen zeigen, die
von den Projekten profitiert haben.
Der
16-jährige Abdulahi liess in Somalia seine ganze Familie zurück, als er alleine
vor den Milizen flüchten musste. Der junge Mann hat trotz vieler Hürden und
dank seiner grossen Beharrlichkeit mit Hilfe der Organisation Lernwerk eine
Lehrstelle als Schreiner gefunden. Die Leiterin des Lehrbetriebsverbunds,
Marianne Maurer, ist überzeugt, dass er mit seiner ausgeprägten Willensstärke
und Motivation seinen grössten Wunsch, Informatik zu studieren, auch noch
umsetzen wird. Dank den Spendengeldern der Glückskette will sich die
Organisation Lernwerk in einem neuen Programm spezifisch für die berufliche
Grundausbildung von Flüchtlingen und vorläufig aufgenommenen Jugendlichen
engagieren, um ihnen damit die Chance auf eine bessere Zukunft zu ermöglichen.
«Ich
liebe Kinder über alles und will mich bis zur Jugendpsychologin weiterbilden», erzählt
die 19-jährige Cristina aus Kolumbien und bringt darüber hinaus ihre Willensstärke
zum Ausdruck. Sie ist zusammen mit ihrer Familie eine Vertriebene im eigenen
Land. Ohne Unterstützung durch Organisationen wie Vivamos Mejor – unterstützt
durch die Glückskette – hätte sie keine Zukunftsperspektiven. Jugendliche in
Not wie Cristina werden in Kolumbien, El Salvador, Palästina und weiteren
Ländern unterstützt.
Wir
wünschen uns, dass das Thema die Menschen weiterhin berührt und wir weiterhin
genügend Geld sammeln können, um diese so wichtigen Projekte auch in Zukunft
finanziell unterstützen zu können.