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Palästina: Israelische Polizei missachtet die Kinderrechte bei Verhaftungen

Human Rights Watch هيومن رايتس ووتش 
Übersetzt von  Ellen Rohlfs اِلِن رُلفس  –  Milena Rampoldi ميلينا رامبولدي میلنا رامپلدی Милена Рампольди
Herausgegeben von  Fausto Giudice Фаусто Джудиче فاوستو جيوديشي

Der Anstieg der Verhaftungen erregt Besorgnis
(Jerusalem)Die israelischen Sicherheitskräfte misshandeln palästinensische Kinder, die in der Westbank verhaftet werden. Die Anzahl der palästinensischen Kinder, die von israelischem Militär verhaftet wurden, hat sich seit Oktober 2015 verdoppelt.
Interviews mit Kindern, die verhaftet worden sind, Video-Filmmaterial und Berichte von Anwälten enthüllen, dass die israelischen Sicherheitskräfte unnötige Gewalt beim Verhaften von Kindern anwenden, in einigen Fällen werden sie geschlagen und in gefährlichen und unter missbräuchlichen Bedingungen gehalten..
„Palästinensische Kinder werden in einer Weise behandelt, die auch Erwachsene erschrecken und traumatisieren würden“,  sagte Sari Bashi, Landesdirektor für Israel und Palästina von HRW: „ Anschreien, Drohungen und Schläge sind  für die Polizei keine Art, die Kinder zu behandeln oder genaue Informationen von ihnen zu erhalten.
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Juli 2015: Israelische Grenzpolizisten verhaften Ahmed Abu Sbitan, 11, vor seiner Schule in Ost-Jerusalem. Sie beschuldigten ihn, einen Stein geworfen zu haben.
© Majd Gaith
Anwälte und Menschenrechtsgruppen sagten HRW, dass israelische Sicherheitskräfte routinemäßig Kinder ohne anwesende Eltern verhören und damit die internationalen und israelischen Gesetze verletzen, die speziellen Schutz für verhaftete Kinder vorsehen. Der Schutz enthält die Bedingung, ein Kind  nur als letzter Ausweg zu verhaften ein und Vorsichtsmaßnahmen zu treffen, damit das Kind nicht gezwungen wird, Schuld zu bekennen. Die Konvention der Rechte der Kinder erfordert Sicherheitskräfte, das Wohl des Kindes in  allen Aspekten des Jugendstrafsystems vorrangig zu berücksichtigen.
Im Juli 2015 dokumentierte HRW sechs Fälle von Misshandlung von Kindern, die vom israelischen Militär in Ost-Jerusalem und andern Teilen des von Israel besetzten Westjordanlands verhaftet worden waren. Als Reaktion leugneten die israelische Polizei und das Militär, dass Misshandlungen stattfanden, und dass Verhaftungen und Inhaftierungen  in Übereinstimmung mit dem Gesetz stattgefunden hätten.
Seitdem hat HRW drei neue Fälle von physischer Gewalt an Kindern in Haft und von Verhörmethoden dokumentiert, die diese Normen verletzen. Strafverteidiger berichten, dass solche Misshandlungen vorherrschend seien. Die Missachtung  der internationalen und israelischen Rechtsvorschriften zum Schutz der verhafteten Kinder, ist besonders beunruhigend, wenn man an die große Zahl der verhafteten Kinder denkt, die während der letzten Gewaltwelle verhaftet wurden.
Seit Oktober 2015 sind Proteste im Westjordanland und im Gazastreifen eskaliert, so hat auch die Anwendung von scharfem Schießen gegen Demonstranten durch israelisches Militär zugenommen. Auch eine Welle von Messerstechereien und versuchten Messerstechereien durch Palästinenser gegen israelische Zivilisten und Sicherheitskräfte im Westjordanland und in Israel. Im Februar 2016 wurden 172 Palästinenser und 24 Israelis getötet -nach dem Büro zur Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen (OCHA). Von  21 Palästinensern, die in 2016 verdächtigt wurden, Angriffe auszuführen und getötet wurden, waren neun  davon Kinder, laut den VN.
HRW interviewte drei Palästinenser im Alter von 14,15 und 16 Jahren; zwei von ihnen wurden in Jerusalem und ein dritter in Hebron im Oktober und November 2015 verhaftet. Jeder berichtete, er sei mit unnötiger Gewalt während  der Verhaftung oder in der Haft oder während beidem ausgesetzt gewesen. HRW interviewte auch Zeugen bei allen drei dieser Verhaftungen und inspizierten auch Sicherheits-Videos, in denen man  Polizisten sehen kann, wie sie mit unnötiger Gewalt einen Fünfzehnjährigen in Haft nehmen. HRW interviewte einen Strafverteidiger, der in Ost-Jerusalem arbeitet, und reichten eine Liste von Fragen durch ein Knesset-Mitglied dem israelischen  Polizei-Minister ein und der israelischen Polizei.
In zwei von drei Fällen verhörte die Polizei die Kinder, ohne dass ein Elternteil oder ein Vormund anwesend war, beim dritten Fall war ein Elternteil erst gegenwärtig, als das Verhör begonnen hatte. Alle drei Kinder berichteten, dass Polizisten sie geschlagen oder getreten haben, als sie in Haft waren. Sie sagten, dass sie erst stundenlang draußen in der Kälte am frühen  Morgen und nachts mit gefesselten Händen  verbringen mussten.
Ein Video einer Sicherheits-Kamera dokumentiert die Verhaftung von einem der Kinder, Fayez B., 15. Es zeigt, dass wenigstens sieben  Polizisten in Schutzausrüstung an der Verhaftung teilnahmen, und den 54 kg schweren Jungen schlugen und im Würgegriff zogen.  Fayed sagte HRW: „Es war eine schreckliche Nacht“. Der Vater des Jungen kam während der Haft und ein Polizist  schlug ihn mit der Faust ins Gesicht, als er fragte, was geschehen war.
Nach der palästinensischen Gruppe für Kinderrechte DCI-Palestine und der Menschenrechtsgruppe  B’tselem, die auf Informationen der israelischen Gefängnisbehörde stützen, ist die Zahl der verhafteten Kinder seit Oktober von der Westbank auf 150 % im Vergleich zum vorigen Jahr, als die  Gewalt zunahm, gestiegen. Zusätzlich zu den Angriffen auf israelische Zivilisten und Sicherheitskräfte durch palästinensische Kinder, haben die Beispiele palästinensischer Kinder, die Steine auf israelische Fahrzeuge warfen, auch zugenommen.
Als Antwort auf die Behauptungen von Misshandlungen während der Haft von einem der Jungen, Ahmed A., sandte die israelische Polizei eine schriftliche Antwort auf Anfragen von HRW. Sie besagt, dass Ahmeds Verhör nach dem Gesetz durchgeführt wurde, sagte aber speziell nichts zu den Behauptungen, dass Polizisten ihn physisch misshandelt hätten. Der Polizeiminister soll jedoch auf eine parlamentarische Anfrage vom Februar 2016 noch antworten, bezüglich allgemeiner Informationen über die Behandlung von palästinensischen Kindern in Haft. Das Büro des Polizeichefs lehnte einen Antrag für ein Treffen von HRW ab, um die Sache zu besprechen.
HRW erwartete keine Antwort zu den Fällen der anderen zwei Jungen, um sie und ihre Familien zu schützen. Es hielt auch die Nachnamen der Kinder zurück, um ihre Privatsphäre zu schützen.
„Die zunehmende Anzahl von Angriffen durch palästinensische Kinder ist beunruhigend“, sagte Bashi. „Aber die Sicherheitskräfte sollten dem Gesetz gehorchen und verhaftete Kinder mit Menschlichkeit und Würde, die alle Kinder verdienen, behandeln ”.
Carlos Latuff
Fayez B., 15 Jahre 
 Fayez wurde außerhalb eines Ladens in Ost-Jerusalem, in dem er gelegentlich arbeitete, am Nachmittag des 7. Oktober verhaftet. Er erzählte HRW, dass israelische Polizei sich ihm näherte und ihn fragte, ob er ein Messer besitzt; einer von ihnen griff in die Tasche des Jungen, während der andere ihn stieß. Fayez sagte, er hätte den Polizisten zurückgestoßen und hätte dann den Laden betreten, in dem er arbeitete und gab dem Ladenbesitzer sein Handy, da er damit rechnete, gleich verhaftet zu werden.
Die Polizisten folgten ihm und begannen ihn zu schlagen, bis er zu Boden fiel. Als er dort lag (sagte er).traten sie ihn zwischen den Beinen und schlugen seinen Kopf gegen den Boden, dann zogen sie ihn aufrecht und schlagend und die Hände fesselnd davon. Der Ladenbesitzer, Mohammad Al-Shwaiki,  der dort war, bestätigte seinen Bericht und sagte, dass ihn auch ein Polizist auf den Kopf und die Knie geschlagen hätte.
Ein Video von der Sicherheitskamera des Ladens, das al-Shwaiki kurz nach der Verhaftung den Medien übergab, zeigte Fayez, wie er in den Laden ging und von einem Polizisten im Schutzanzug gepackt wurde. Der Junge riss sich los und ging hinter die Ladentheke, dann stieß ihn der  Polizist zu Boden. Er und  der Polizist blieben für 13 Sekunden außerhalb der Sichtweite der Kamera. Dann kann man den Polizisten sehen, wie er den Jungen hochzieht, ihn schlägt und wie er ihn zum Eingang zieht. Mindestens sechs weitere Polizisten – alle  mit Schutzhelm und kugelsicheren Westen können gesehen werden, wie sie an der Verhaftung teilnehmen. Obgleich Fayez sich unterwirft, sieht es so aus, als würden die Polizisten ihn, der inzwischen steht, schlagen und ein anderer, wie er ihn kurz im Würgegriff hat. Fayez wiegt 53 kg und ist 1,65 groß.
Fayez sagte, er wäre dann mit Handschellen gefesselt und ins Abu Tor Viertel  geschleppt worden. wo  Palästinenser und Juden leben. Er sagte, dass Polizisten ihn weiter schlugen und stießen. Nachdem sie durch ein Tor in das Viertel gingen, sagte Fayez, warfen die Polizisten ihn auf den Boden. 6 oder 7 stießen ihn in die Beine, den Rücken und  den Kopf, während  Zuschauer ihn auf Hebräisch anschrien und auf Arabisch Flüche gegen seine Mutter und Schwester äußerten.
Fayez sagte, Polizisten hätten ihn mit 11 Polizisten in einen Jeep gesetzt und fuhren mit ihm zur Oz-Polizeistation.  Er wäre anfangs auf dem Rücksitz gesessen, dann aber hätten die Polizisten ihn auf den Boden des Jeeps gebracht. Danach hätten die Polizisten ihn mit Füßen gestoßen und einer schlug ihn mit der Faust auf den Kopf und einer von ihnen hätte ihm Wasser auf den Rücken geschüttet.
Fayez’s Vater, Fawaz B. kam gegen 4  Uhr in den Laden, als sein Sohn weggeführt wurde. Er sagte, dass, als er die Polizisten fragte, was geschehen sei, griff ihn einer der Polizisten  an seinem Hemd und gab ihm einen Faustschlag ins Gesicht und ein anderer Polizist stieß ihn zur Seite und drohte ihn zu erschießen, wenn er nicht verschwinden würde.
Fawaz sagte, er folgte den Polizisten ins Abu Tor-Viertel. Er beobachtete etwa 25 Zuschauer – Männer, Frauen und Kinder, wie sie um die Polizisten standen und schrien, als die Polizisten seinen Sohn schlugen.
Fawaz sagte, er hätte die Polizisten angeschrien, mit dem Schlagen aufzuhören und dann sah er, wie sie seinen Sohn in den Jeep nahmen.  Er fuhr zur Oz-Station, wo die Polizisten ihm sagten, sie würden seinen Sohn dorthin bringen, doch als er dort ankam, sagten sie ihm, dass sein Sohn in einer anderen Polizeistation in der Saladin-Straße sei.  Doch dort war er auch nicht. Er wäre im Russian Compound. Aber am Russian Compound sagte man ihm, er sei doch in der Oz-Station.
„Sie taten all dies, damit ich sein erstes Verhör verpasse“, meinte Fawaz.
Fawaz berichtete, dass er zur Oz-Station zurückfuhr und erneut darum bat, beim Verhör seines Sohnes anwesend sein zu dürfen. Sie ließen ihn noch eine Stunde bis 10 Uhr warten. Dann durfte er in den Raum eintreten, in dem gerade das Verhör seines Sohnes stattfand. Fawaz erzählte, wie sein Sohn Hand- und Fußschellen hatte und weinte, als die Verhörbeamten ihn anschrien und ihm vorwarfen, mit einem Messer auf Sicherheitskräfte losgegangen zu sein.
„Ich sah Druckstellen auf seinem Gesicht“, erzählte Fawaz. „Es war blau. Und auf seinem Nacken fanden sich Spuren von Fingerabdrücken. … es war rot und blau. Sie verfluchten und beschimpften ihn. Ich hielt es nicht mehr aus und bat sie, anständig mit ihm umzugehen, und dann fingen sie an, auch mich anzuschreien.“ Fawaz zufolge endete das Verhör gegen 11 Uhr abends.
Fayez berichtete, dass er nach dem Verhör in den Hof der Polizeistation gebracht und bis ungefähr 2 Uhr nachts in einen Stuhl in die kalte Luft gesetzt wurde, wieder mit Hand- und Fußschellen. Dann wurde er mit einem Geländewagen zum Russian Compound gebracht, wo sich eine Jugendhaftabteilung befand. Die Polizeibeamten sagten ihm, dass sie voll war und brachten ihn in den Jeep zurück, wo er die Nacht verbrachte. Die Polizeibeamten gaben ihm eine Wasserflasche, aber kein Essen. Als er im Jeep einschlief, schütteten die Beamten Wasser auf ihn, um ihn zu wecken.
„Es war eine fürchterliche Nacht“, meinte er.
Am darauffolgenden Tag wurde er ohne Anklage entlassen, nachdem das Video seiner Verhaftung ins Netz gestellt worden war. Der Ladenbesitzer al-Shwaiki erzählte, dass die Polizei auch ihn verhörte und ihm mitteilte, man würde Fayez freilassen, wenn er und andere keine Klage erheben würden.
Ahmed A., 16 Jahre
Soldaten verhafteten Ahmed am 27. November um 19 Uhr im Garten eines Freundes, Issa Amer, in der Nähe seines Hauses in Hebron. Er erzählte, wie ihm die Soldaten die Augen verbanden, die Handschellen anlegten und ihn zur Polizeistation der naheliegenden Siedlung von Kiryat Arba brachten, wo er ungefähr bis 12.30 Uhr auf dem Boden sitzen musste. Er bat, seinen Vater kommen zu lassen, doch Die Polizeibeamten teilten ihm, dass seine Eltern nicht in den Verhörraum gelassen würden. Ihm wurde aber die Möglichkeit geboten, vor dem Verhör mit seinem Anwalt zu telefonieren. Das Verhör begann nach Mitternacht. Er erzählte, wie die Verhörbeamten ihm vorwarfen, ein Messer dabei gehabt zu haben. Er leugnete dies. Dann brachten sie ihn ins Militärgelände der Shuhada Street.
Nach der Ankunft dort, sagte er, zwangen ihn sechs oder sieben Soldaten, sich auf den Boden zu legen und fingen an ihn zu schlagen und zu treten.
„Sie schlugen auf meinen Rücken und meine Beine ein. Sie boxten und schlugen auf meinen Kopf“, erzählte Ahmed Human Rights Watch. „Ich weiß nicht, wie lange es dauerte, aber es schmerzte und die Zeit verging ganz langsam“.
Er berichtete, wie er die Nacht auf einem Stuhl im Hof in der kalten Nachtluft verbrachte und nur ein Glas Wasser und eine Scheibe harten Käse bekam. Er wurde am nächsten Tag ins Gefängnis verlegt und dann sechs Tage später ohne Anklage freigelassen, da sein DNA-Test ihn nicht mit einem am Tatort gefundenen Messer in Verbindung bringen konnte.
Die israelische Polizei des Bezirks Westjordanland teilte Human Rights Watch in ihrem Schreiben mit, dass die Sicherheitskräfte Ahmed verhaftet hatten, weil er der Beschreibung eines Verdächtigen entsprach, der angeblich ein Messer in der Hand hielt und vor den Soldaten geflohen war. In dem Schreiben hieß es, dass ihn ein speziell für Verhöre von Jugendlichen ausgebildeter Beamter verhört hatte und die Beamten die Eltern bezüglich seiner Verhaftung in Kenntnis gesetzt hatten. Laut Polizeiangaben hatte der Junge nicht darum gebeten, die Eltern bei Verhör dabei zu haben. Die Polizei hätte dies auch nicht erlaubt, weil er verdächtig war, gegen die „Sicherheit“ verstoßen zu haben.
Der Brief ging nicht den Beschuldigungen nach, nach denen die Polizeibeamten Ahmed schlugen und traten, sondern leiteten Human Rights Watch an eine Stelle weiter, um Beschwerden gegen „Gefängnisaufseher“ einlegen, die angeblich Verstöße begangen haben, obwohl Ahmed behauptete, in polizeilicher Gewahrsam geschlagen worden zu sein, bevor er die Haftanstalt erreichte.  Im Schreiben wurde auch nicht auf die Frage eingegangen, ob ein Elternteil des Jungen ein Formular unterschrieben hätte, dass ihnen die Verhaftungsnachricht ihres Sohnes gemäß dem Jugendrecht zugestellt worden wäre.
Suheib I., 14 Jahre
Ein dritter Junge, Suheib I., 14, erzählte Human Rights Watch, dass ihn die Polizei am 28. Oktober 2015, um 4 Uhr morgens in seinem Haus im Viertel von Thowri in Ostjerusalem verhaftete. Seine Mutter bestätigte die Ort- und Zeitangaben. Die Polizeibeamten legten ihn auf den Boden eines Polizeiwagens. Suheib, der 1,61 m groß ist und 50 kg wiegt, erzählte, dass die Beamten ihn auf den Kopf schlugen und ihn beschimpften, während sie ihn zur Oz-Polizeistation führten. Er meinte, dass er mit verbundenen Armen und Beinen von 5 Uhr morgens bis Mittag auf einen Stuhl gesetzt wurde, außerhalb eines der Wohnwagen im Polizeigelände. Dann nahmen ihn die Verhörbeamten hinein und fingen an, ihn über siene angebliche Verwicklung in das Werfen von Flaschen auf die Sicherheitskräfte zu befragen.

Seine Eltern waren nicht anwesend. Suheib sagte, dass die Beamten ihn verfluchten und bedrohten, den Wohnsitz seiner Eltern in Ostjerusalem aufzuheben. Er sagte, dass ihn die Beamten aufforderten, auf Hebräisch verfasste Dokumente zu unterzeichnen, obwohl er gar nicht Hebräisch lesen kann. Als er die Beamten fragte, was in den Dokumenten stand, wurde ihm gesagt, es sei eine Erklärung, dass er nicht geschlagen wurde. Er wurde bis zum 22. November in verschiedenen Haftanstalten untergebracht, wie es in gerichtlichen Abschriften heißt, die von Human Rights Watch überprüft wurden. Er wurde unter Hausarrest gestellt, nachdem ein Richter des Jugendgerichtes von Jerusalem von einem Sozialarbeiter der Gemeinde die Nachricht erhalten hatte, dass der Junge unter den Haftbedingungen „litt“.
Den gerichtlichen Unterlagen zufolge teilte der PolizeisergeantFadi Madah dem Jerusalemer Gericht mit, dass der Richter am 26. Oktober einen Haftbefehl für Suheib erlassen hatte. Es wurde keine Begründung genannt, warum die Polizeibeamten den Haftbefehl um 4 Uhr morgens, zwei Tage nach seinem Erlass, vollstreckten. Madah bestätigte in seiner Zeugenaussage auch, dass ein Polizeikommandant zustimmte, dem Jungen das Recht zu verwehren, seine Eltern beim Verhör dabeizuhaben, da das Verbrechen, das ihm zur Last gelegt wurde, – und zwar der Wurf einer Flasche auf von Juden gefahrene Autos – diesen Entschluss begründete.

Gesetzliche Regelungen für Vernehmungen

Der Artikel 14 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte, den Israel 1991 ratifizierte, sieht vor, dass im Rahmen von Gerichtsverfahren das Alter der angeklagten Kinder und Jugendlichen berücksichtigt werden muss. Die UN-Kinderrechtskonvention, die Israel 1991 auch ratifizierte, geht ausführlich auf diese Anforderung ein und regelt die Umstände, um zu gewährleisten, dass „Kinder nicht gezwungen werden, sich für schuldig zu erklären“. Das Komitee, das mit der Auslegung der Konvention beauftragt wurde, bestätigte, dass diese Konvention ein Recht vorsieht, die Anwesenheit eines Elternteils während der Befragung zu verlangen, und Verhörpraktiken zu vermeiden, die das Kind, aufgrund seines Alters oder seines Entwicklungsstandes, dazu verleiten oder zwingen könnten, sich für schuldig zu erklären.
Dem Komitee zufolge soll der Begriff „gezwungen“ im weitesten Sinne ausgelegt werden und nicht auf körperliche Gewalt oder auf klare Verstöße gegen die Menschenrechte beschränkt werden. Das Alter des Kindes, der Entwicklungsstand des Kindes, das unzureichende Verständnis von Seiten des Kindes, die Angst vor unbekannten Konsequenzen oder die angedrohte Möglichkeit der Haft können dazu führen, dass Kinder etwas gestehen, was sie gar nicht begangen haben. Das Komitee hat auch Israel dazu aufgefordert, eine unabhängige Ermittlung in allen mutmaßlichen Fällen von Folter und Misshandlung palästinensischer Kinder zu eröffnen. Dies soll angesichts der Berichte erfolgen, nach denen die Sicherheitskräfte Minderjährige „systematisch körperlicher und verbaler Gewalt aussetzen“.
Einem Bericht von UNICEF zufolge heißt es in 168 von 208 eidesstattlichen Erklärungen von Kindern, die 2013 und 2014 aufgenommen wurden, dass sie nicht über ihre Rechte auf einen Anwalt unterrichtet wurden und auch nicht dessen in Kenntnis gesetzt wurden, dass sie während des Verhörs das Recht zu schweigen hatten. Die Kinder berichteten in 171 Fällen von „körperlicher Gewalt“.

Das in Israel angewendete Jugendrecht und die im Westjordanland anwendbaren Militärregelungen sehen alle vor, dass die Polizei die Eltern bezüglich der Verhaftung ihrer Kinder in Kenntnis setzen und dem Kind auch die Möglichkeit geben muss, sich vor dem Verhör mit einem Rechtsanwalt zu beraten. Das Jugendrecht erlaubt den Kindern, bei deren Verhören ein Elternteil dabei zu haben, es sei denn es liegen Fälle mutmaßlicher „Sicherheitsverstöße“ vor. Das Jugendrecht sieht auch vor, dass die Beamten die Verhöre während des Tages durchführen sollen, dass die Verfahren in einer Sprache ablaufen müssen, die das Kind auch versteht und dass das Wohlbefinden des Kindes berücksichtigt werden muss, um zu entscheiden, ob eine Verhaftung auch wirklich notwendig ist. Obwohl das Jugendgesetz im Westjordanland bis auf Ostjerusalem keine förmliche Anwendung findet, berichtete das israelische Militär Human Rights Watch, dass es die Bestimmungen des Jugendrechtes umsetzt. Und dies gilt auch für das Recht auf die Anwesenheit eines Elternteils des Kindes beim Verhör und bei der Verhaftung im Westjordanland.

Israelischen und palästinensischen Menschenrechtsorganisationen zufolge, hat einher mit der Anzahl der Verhaftungen von Kindern infolge der Eskalation der Gewalt in den letzten Monaten auch die Zahl der Fälle zugenommen, in denen die internationalen Bestimmungen im Bereich des Kindheitsschutzes verletzt werden. Mohammed Mahmoud, ein Rechtsanwalt der palästinensischen Häftlingsorganisation Adameer vertrat in den letzten Monaten Hunderte von Kindern. Die meisten von ihnen wurden verhaftet, weil sie Steine gegen Siedler und Sicherheitskräfte warfen. Er teilte Human Rights Watch mit:
Das Hauptproblem im israelischen Rechtssystem im Umgang mit Minderjährigen besteht darin, dass ein führender Beamte der Polizei den Verhörbeamten einen Befehl erteilen kann, den Eltern eines Kindes den Zugang zum Verhör zu verwehren. Dieser Befehl wird, so weit wir wissen, gegen die palästinensischen Kinder nur in politischen Fällen genutzt und gibt den Verhörbeamten Narrenfreiheit, um die Kinder zu belästigen, anzuschreien und zu bedrohen und sie damit dazu zu zwingen, aus Angst ein Verbrechen zu bestehen, da sie nicht mal begangen haben.
Obwohl die Verweigerung des Rechtes auf die Anwesenheit eines Elternteils während eines Verhörs als außerordentlich gilt, droht diese Praxis die Regel für die palästinensischen Kinder zu werden. Denn Handlungen wie Steinwurf gelten als Sicherheitsvergehen. Gemäß einer Studie von Military Court Watch, einer Nichtregierungsgruppe, von 2015 berichteten nur 3 Prozent der im Westjordanland verhafteten palästinensischen Kinder, dass ihre Eltern bei deren Verhören durch die Sicherheitskräfte anwesend waren.
Im November 2015, verabschiedete die israelische Knesset ein Gesetz, das längere Gefängnisstrafen für Kinder vorsieht, die Steine werfen und das der Regierung die Möglichkeit gibt, Zahlungen von Sozialleistungen  an deren Familien einzustellen, während die Kinder ihre Strafe absitzen.