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Martina Lauer: eine deutsche Aktivistin für Pälastina in Kanada


Martina
Lauer
Von Milena Rampoldi, ProMosaik. – Anbei mein Interview mit der
pro-palästinensischen Aktivistin und Übersetzerin Martina Lauer. Martina Lauer
wurde 1960 in Süddeutschland geboren und lebt seit 20 Jahren in Kanada. Sie
studierte Deutsch und Geschichte an der Universit
ät Freiburg und arbeitete als Lehrerin und Lektorin in
Deutschland, England und Peru. Seit dem israelischen Angriff auf Gaza 2008/2209
wurde sie in der pro-pal
ästinensischen
Bewegung aktiv. Sie schrieb f
ür die Webseite
Itisapartheid. Org, jetzt Adsfor Apartheid und
übersetzt Berichte und Texte zum friedlichen Widerstand in
Pal
ästina für Pro Mosaik und das Palästina Portal. Ich möchte mich herzlichst bei Frau Lauer
für ihre so ausführlichen und wichtigen Antworten auf unsere Fragen bedanken.
Ich hoffe, dass durch ihre Worte viele Leserinnen und Leser verstehen werden,
wie wichtig ein aktives und kreatives Engagement für Palästina wichtig sind.
Jeder kann und soll sich für Palästina und die Menschenrechte engagieren.
Israelkritik und Antizionismus bedeuten in diesem Sinne ganz klar eine
Positionierung für die Menschenrechte und an der Seite unterdrückter und
kolonisierter Völker.
Milena Rampoldi: Wie wichtig ist der Einsatz für Palästina im Westen?
Martina Lauer: Die Verteidiger Israels werfen den Aktivisten in der pro-palästinensischen
Welt oft vor, dass sie wichtige Weltereignisse und schwere
Menschenrechtsverletzungen anderswo ignorieren. Warum nicht Tibet oder Kaschmir
oder Syrien? Zum einen sprechen unsere Regierungen von der Seelenverwandtschaft
mit Israel und dem Vorbildcharakter der israelischen Demokratie. Zum anderen
wird eine historische Verantwortung zum Schutz und zur Erhaltung des jüdischen
Staates beschworen. Aus Washington, der Kommandozentrale der westlichen Welt,
werden j
ährlich mehr als drei Milliarden Dollar nach Israel
verschickt und die Verhandlungen
über eine Erhöhung
des Betrages geführt.
Wir messen unsere Regierungen aus gutem Grund am Verhalten zu Israel:
In Deutschland sprechen die Politiker davon, dass die historische
Verantwortung Deutschlands für die Sicherheit Israels Teil der deutschen Staatsräson
ist.
MR: Was bedeuten für Sie persönlich Zionismus und Antizionismus?
ML: Der Zionismus ging davon aus, dass Juden ein Fremdkörper
in ihrem jeweiligen Herkunftsland waren und eine eigene Nation oder sogar Rasse
bildeten. F
ür zionistische Juden gab und gibt es nur einen Ausweg aus
dieser anomalen Situation, die Errichtung und Erhaltung eines jüdischen
Staates. Mit dem Beginn der Einwanderung von europ
äischen
Juden nach Pal
ästina erhob die zionistische Bewegung den exklusiven
Anspruch auf einen Staat in Pal
ästina. Die Rechte
der Pal
ästinenser auf einen Staat in ihrem Heimatland wurden von
den Zionisten als relativ angesehen, relativ zu den Bed
ürfnissen
der Einwanderer. Man konnte also von den Pal
ästinensern erwarten,
dass sie auf ihren Staat warten, bis die Zionisten ihre Ziele erreicht hatten.
Zionisten waren Atheisten, sahen aber trotzdem in der Bibel eine historische Best
ätigung
und Rechtfertigung der j
üdischen Präsenz
in Pal
ästina. Der neue Staat Israel hatte nach dieser Logik dann
Wurzeln in der Region, die durch eine Auslegung der Bibel als Grund- und
Geschichtsbuch belegt wurden. Die Ankunft der zionistischen Juden in Pal
ästina
war dann nicht so sehr ein Neubeginn, sondern eher eine Fortsetzung, ein
Weiterbau von Fundamenten, die vor etwa zweitausend Jahren gelegt wurden. In
Bezug auf die originale Bev
ölkerung erlaubte
diese mystisch-nationalistische Geschichtsschreibung eine Rechtfertigung der
Invasion und Landnahme. Was die Pal
ästinenser politisch,
kulturell und wirtschaftlich geschaffen hatten, wurde als minderwertig
angesehen oder einfach ignoriert. Pal
ästina war das Land
ohne Volk, ohne eigene Kultur oder Gesellschaft. Der Zionismus erhebt auch den
Anspruch, dass Juden in der ganzen Welt automatisch ein Teil der jüdischen
Nation sind und eigentlich in Israel leben sollten. Kritiker des Zionismus
haben auf die negativen Konsequenzen für die Juden in der Welt hingewiesen,
wenn israelische Premierminister sagen, dass sie für alle Juden sprechen. Kann
man dann nicht logischerweise alle Juden für die brutale rechtswidrige Politik
Israels verantwortlich machen?
Ist Zionismus Rassismus? Wenn die Durchsetzung der Ziele des Zionismus auf
Kosten einer anderen Bev
ölkerung gehen, dann
ist Zionismus Rassismus. In Pal
ästina können
wir t
äglich sehen, dass die Grundrechte der Palästinenser
verletzt werden, um das privilegierte Leben von j
üdischen Israelis zu ermöglichen.
Wie weit die Kritik am Zionismus geht, h
ängt davon ab, ob das
zionistische Projekt von Anfang an als Kolonialismus zur
ückgewiesen
wird.
Der religiös motivierte Antizionismus von orthodoxen Juden hat die
Schaffung eines s
äkularen israelischen Staates schon immer zurückgewiesen
haben. Bei unseren Demonstrationen in Ottawa zur Unterstützung von Gaza nehmen
immer auch Mitglieder der Neturei Karta aus Montreal teil oder orthodoxe Rabbis
aus New York, um ihre Solidarit
ät mit den Palästinensern
zu zeigen und klarzustellen, dass Juden nicht automatisch Zionisten sind.
Unter den pro-palästinensischen[DpMR1]  Organisationen in Kanada wird ebenfalls debattiert, ob
Israel in den Grenzen von 1967 ein legitimer Staat ist und lediglich eine
Beendigung der Besatzung gefordert wird. Im Zuge der Aufarbeitung der
kolonialen Geschichte Kanadas wird immer mehr der Standpunkt vertreten, dass
Zionismus als Form des Kolonialismus nicht zu rechtfertigen ist. W
ährend
der Israeli Apartheid Week in Ottawa wird immer darauf hingewiesen, dass die
Veranstaltung auf dem besetzten Territorium der Algonquin stattfindet.
Vertreter der Pal
ästinenser und der First Nations sprechen von den Folgen
der Kolonialisierung, dem Angriff auf die Kultur, die indigene Wirtschaft und
das politische Leben. Zionismus und der britisch-kanadische Kolonialismus
zielten auf die Zerst
örung der indigenen
Gesellschaft und die Vertreibung der Bev
ölkerung auf kleine
Landparzellen. Gegenw
ärtig sehen First
Nations und Pal
ästinenser ähnliche Formen der
Diskriminierung und der Apartheidmaßnahmen: In Gaza und in den Reservaten im
Norden gibt es kein sauberes Trinkwasser. Pal
ästinensische und
First Nations Kinder erhalten nicht die gleiche Schuld
förderung
wie die Kinder der dominierenden Gesellschaft. Kanada kann uns auch Hoffnung
machen: Die Aufarbeitung der Geschichte des Kolonialismus, vor allem die
verheerenden Maßnahmen in den
Residential Schools,
wo hunderttausende von Kindern der First Nations ihrer famili
ären,
territorialen und kulturellen Wurzeln beraubt werden sollten (und viele
verloren dabei ihr Leben), hat Zorn und Wut hervorgerufen, aber auch den
konstruktiven Dialog. Idlenomore ist eine von First Nations Frauen begonnene
Bewegung, die durch spontane Aktionen die Nachk
ömmlinge der
Kolonialmacht und die Kolonisierten im Tanz und in Diskussionen zusammenbringt.
In den Medien h
ören Kanadier nicht nur von weißen Experten über
die Probleme der First Nations, sondern verst
ärkt von den
Experten, die von den verschiedenen indigenen Nationen kommen. In den letzten
Wahlen haben First Nations Politiker ihre Mitbewohner von Turtle Island
(Kanada) aufgerufen, dass sie zur Wahl gehen, um einen Regierungswechsel
herbeizubringen. Unter den First Nations gibt es Gruppen, die sich nicht am
politischen Leben beteiligen wollen, weil Kanada ein Land ist, das als
britische Kolonie begann und deshalb kein legitimer Staat ist. Trotzdem folgten
viele First Nations dem Aufruf und schickten den konservativen Premierminister
Harper nach Hause. Kanadas Beispiel zeigt meiner Meinung nach, dass die grunds
ätzliche
Kritik am Kolonialismus den existierenden Staat nicht zerst
ört,
wie die Verteidiger Israels das oft formulieren, sondern den Weg f
ür
einen echten Kompromiss und eine legitimere Regierungsform schaffen kann.
In Kanada wird von den Verteidigern Israels auch unterstellt, dass
Antizionismus in Wirklichkeit einen tiefsitzenden Antisemitismus vertuschen
soll, eine Interpretation, die von den großen kanadischen Parteien geteilt
wird. Im Bericht der interparlamentarischen Kommission zur Bek
ämpfung
des Antisemitismus, in der alle kanadischen Parteien außer dem Bloc Quebecois
vertreten waren, wurde hervorgehoben, dass der neue Antisemitismus sich als Antizionismus
verkleide und das Recht des jüdischen Volkes auf ebenbürtige Mitgliedschaft in der
Familie der Nationen negiere. Michael Keefer hat die Kritik von Experten,
Aktivisten und kanadischen Organisationen an dieser Einschr
änkung
der Redefreiheit in seiner Sammlung von Artikeln “Antisemitism real and
imagined” zusammengefasst.
Als deutsch-kanadische Staatsbürgerin sehe ich mich nicht als
Antizionistin, sondern als Aktivistin gegen den Kolonialismus, in Kanada, in Pal
ästina,
in Afrika und wo immer unsere Politiker uns auf eine Mission der kulturf
ördernden
Handels- oder Bombenmissionen anf
ühren wollen. Die
Bewegung des Zionismus zeigt uns, dass die besten Ideale sich daran messen m
üssen,
wie es den Menschen ergeht, die unter dieser Ideologie leben.
MR: Für mich ist die Palästinafrage eine kolonialistische Frage. Wie sehen
Sie das?
ML: Die zionistische Bewegung hatte ihren Ursprung in Europa und kam “im
Schatten der britischen Gewehre” nach Pal
ästina, wie Gandhi
das formulierte, um ein neues Israel im Land der Pal
ästinenser
aufzubauen. Wenn eine Gruppe das Land einer anderen für sich in Besitz nimmt
und die einheimische Bev
ölkerung entweder
vertreibt oder abschlachtet und dann auf dem eroberten Land einen eigenen Staat
zu errichten, ist das Kolonialismus. Die Rechtfertigungen für diese Invasion
sind nur für die Kolonialisten wichtig, weil sie ihre brutalen unmenschlichen
Methoden vor sich und den Nachfahren entschuldigen wollen. Die Opfer des
Kolonialismus sehen das ganz anders: Sie wurden zu minderwertigen Menschen erkl
ärt,
deren Rechte durch die Bed
ürfnisse der
Kolonialisten diktiert werden. Sie haben nur relative Rechte, ihre Geschichte
und das politische, wirtschaftliche und kulturelle Schaffen bis zur Ankunft der
Kolonialisten wird ausgel
öscht. Hanan Aschrawi
hat einmal gesagt, dass der Konflikt gel
öst wird, wenn
Israeli die Pal
ästinenser als ebenbürtige Menschen
ansehen. Anf
änglich dachte ich, dass die Lösung
der Pal
ästinafrage mit dem Ende der israelischen Besatzung
erreicht wird. Inzwischen denke ich, dass der zionistische Kolonialismus in Pal
ästina
verschwinden muss und die Geschichte Pal
ästinas am besten als
kolonialistische Frage analysiert wird. Bedeutet das die Forderung nach der Zerst
örung
Israels, wie es von manchen so dramatisch formuliert wird? Ja und nein. Solange
Israel ein jüdischer Staat ist, werden die Pal
ästinenser in ihrem
eigenen Land als Menschen geringeren Rechtes behandelt. Als j
üdischer
Staat sch
ützt Israel die Sonderstellung der jüdischen
Israelis und der Juden weltweit im Heiligen Land, eine Form der Apartheid, wo
der Staat nicht die gleichen Rechte für alle garantiert, sondern den
privilegierten Status einer Gruppe schützt.
Wenn man das zionistische Projekt in Palästina als
Kolonialismus beschreibt, dann wird die Solidarit
ät mit anderen
kolonialisierten V
ölkern möglich. First Nations
aus Kanada nehmen an den Gazaflotillen teil, im isolierten Reservat der Moose
Cree First Nations in Ontario wird Pal
ästina selbstverständlich
erw
ähnt. Wenn die Bevölkerung in Kaschmir
Steine auf die indische Besatzungsarmee wirft, denken sie an den pal
ästinensischen
Widerstand und im Westbankdorf Bilin und in Nachbarorten wird die
Zusammenarbeit zwischen pal
ästinensischen,
israelischen und internationalen Aktivisten bei den w
öchentlichen
Demonstrationen als wesentlicher Beitrag zur Fortsetzung des friedlichen
Widerstandes gesehen. Zum Schluss noch ein Beispiel aus Kanada:
Ein Teil der Familie von Mike Krebs lebt auf einem Blackfootreservat in der
westlichen Provinz Alberta. Krebs nahm an mehreren Veranstaltungen der Idle no
more Bewegung teil, die den Jahrhunderte langen Kampf für die souver
änen
Landrechte der First Nations, für die Rolle als Beschützer des Landes und der
Umwelt fortsetzen will. Der Name “Sei nicht l
änger untätig!
wurde angesichts der stetigen Erosion von indigenen Rechten unter dem
konservativen Premierminister Stephen Harper gew
ählt. Krebs ist ein
Aktivist in der pro-Pal
ästina und der Idle
no more Bewegung. Er sagt:
Das Land ist die
wirklich wichtige Gemeinsamkeit. Beide Gruppen haben einen tiefgehenden Sinn
der Beziehung zum und der Verantwortung für das Land. Und wenn das Land zerst
ört
wird, zerst
ört das die Kultur.” Krebs zitiert Ben-Gurions
Stellungnahme von 1948:’Die Alten werden sterben und die Jungen werden
vergessen’ und sagt, dass die kanadischen und die israelischen Regierungen
annahmen, dass beide V
ölkergruppen entweder
aussterben oder sich assimilieren würden. “Nun, wir sind nicht alle gestorben
oder verschwunden. Wir sind immer noch hier und werden st
ärker.
Es gibt eine politische und kulturelle Wiederbelebung, die Kanada und Israel
wahrscheinlich nicht erwartet und gewünscht haben.”
https://psnedmonton.ca/2013/01/30/haaretz-article-on-connections-between-idle-no-more-and-palestine/
MR: Wie wichtig ist die Vernetzung von Menschenrechtsaktivisten, Autoren
und Journalisten und warum?
ML: Im Westen wird Israel von den Regierungen, den Medien und den wichtigen
Institutionen oft blind unterstützt. Als Israel 2014 Gaza wieder massiv
angriff, reisten einige kanadische Parlamentarier aus beiden H
äusern
nicht nach Gaza oder Ramallah, sondern nach Tel Aviv, um ihre Unterstützung zu
zeigen. Die pro-pal
ästinensische
Bewegung hat viele Gegner, u.a. in der professionellen Israellobby, muss den
Mangel an fairer Information zur Situation der Pal
ästinenser
ausgleichen und die Mitmenschen zur Aktion bewegen. Ein Beispiel aus Kanada:
Die kanadische Autorin Anne Laurel Carter schrieb 2008 ein Jugendbuch
über
die Lage in Pal
ästina, The Sheperds Grand-Daughter.
Das Buch erhielt eine Auszeichnung der Büchereien in Ontario und kann in den
Schulen der Provinz als Text gelesen werden. B’nai Brith protestierte beim
Erziehungsministerium von Ontario gegen die Aufnahme des Buches in die Liste
von empfohlenen Büchern. In Toronto ist das Buch nicht Teil des Lehrplanes,
wird aber in anderen Teilen der Provinz in den Schulen gelesen. CJPME, eine
pro-pal
ästinensische Lobbygruppe, stellte eine mobile Ausstellung
in Zusammenarbeit mit Historikern und Künstlern zusammen, die von Lehrern und
Organisatoren bestellt werden kann und wo Kolonialismus und Apartheid in
Kanada, Südafrika und Pal
ästina behandelt
werden. Wir müssen kreativ und vielseitig sein, um Erfolg zu haben.
MR: Wie sieht es in Kanada aus? Wie viel Hasbara bekämpft die
pro-palästinensischen Aktivisten?
ML: In den vergangenen zehn Jahren konnte Israel auf die bedingungslose
Unterstützung durch den konservativen Premierminister Stephen Harper z
ählen.
Als 2006 bei einem israelischen Bombenangriff auf einen Uno-Posten im
Südlibanon vier Uno-Beobachter get
ötet wurden, darunter
ein Kanadier, richtete Harper seine Kritik gegen die Uno und zeigte vollstes Verst
ändnis
f
ür den israelischen Angriff.
Die kritiklose Unterstützung Israels begann aber nicht mit den
Konservativen. Auch die große Partei des Zentrums, die Liberalen, haben eine
lange Geschichte der aktiven Unterstützung für den Zionismus und für Israel.
Das hat wohl ideologische und praktische Gründe. 80% von Kanadas Exporten
werden in die USA verkauft. Wenn man in Washington offene Türen finden will,
muss man im Nahen Osten mittanzen. Allerdings ging Harper in seiner wohl religi
ös
motivierten fundamental-christlichen Anbindung an Israel f
ür
viele L
änder zu weit. 2010 verlor Kanada die Wahl für einen Sitz
im Sicherheitsrat der Uno an Portugal, obwohl die kanadische Uno-Vertretung  angeblich zahllose Ahornsirupgl
ӓser
verschenkte!
In Kanada gibt es die offiziellen Organisationen der proisraelischen Lobby.
Aber die Vertreter dieser Lobby sind der
Öffentlichkeit kaum
bekannt, anders als in den USA, wo jeder die Namen der Organisationen wie der
ADL(Anti-Defamation League) oder der AIPAC (American Israel Public Affairs
Committee) kennt.
Politiker, Journalisten und Hochschulleitungen arbeiten oft Hand in Hand,
um Veranstaltungen der pro-Pal
ästina Gemeinde zu
verhindern. Mit der wachsenden Popularit
ät der Israeli
Apartheid Week seit 2005 kam die verst
ärkte Kritik von
Seiten der Politiker und der Vorwurf des Antisemitismus. In Ontario brachte der
konservative Parlamentsabgeordnete Peter Shurman 2010 einen Antrag zur
Verurteilung des Begriffes “israelische Apartheid” vor, der mit großer Mehrheit
von Liberalen und Konservativen angenommen wurde. 2009 verbot die Universit
ätsleitung
an den zwei Hochschulen in Ottawa ein Poster zur IAW, weil die Darstellung
eines Kindes in Gaza, das von einem israelischen Hubschrauber angegriffen wird,
nicht die “angeborene Würde” und die Menschenrechte aller Studenten
respektiere. Aktivisten kennen diese Sprache: Die Verteidiger Israel
argumentieren, dass jüdische Studenten durch solche Aktionen verunsichert und automatisch
zur Zielscheibe der Kritik werden. Zionisten und Antisemiten sind anscheinend
überzeugt, dass Menschen jüdischen Glaubens automatisch zum nationalen
jüdischen Kollektiv geh
ören und sich nicht
von Israels Aktionen distanzieren wollen. In diesem Jahr wurde eine
Generalversammlung an der McGill-Universit
ät in Montreal als
anti-semitisch bezeichnet, als für ein BDS Antrag gestimmt wurde. Eine
Darstellung des pal
ästinensischen
Widerstandes im Studentenzentrum an der Universit
ät York veranlasste
den Medienmogul Paul Bronfman zur Androhung der Streichung von F
ördergelder
für Uniprogramme. Und die Teilnahme der Students Against Israeli Apartheid an
einer Desinvestitionskampagne gegen Waffenhersteller wurde von einem Sprecher
des Friends of Simona Wiesenthal Zentrums als b
ösartige Kampagne
gegen die kollektive j
üdische Gemeinde in
Kanada beschrieben. Der neue liberale Premierminister Justin Trudeau wiederholte
alte israelische Argumente, als er die jüngste Verurteilung der BDS Bewegung
durch seine Partei im Parlament begründete: Bestimmte Formen der Kritik an
Israel seien nicht legitim, weil sie von den drei Ds motiviert seien, der Delegitimierung,
Destabilisierung und Doppelstandards. Die pro-pal
ästinensische
Organisation Canadians for Justice and Peace in the Middle East (CJPME), von
Mitgliedern des Milieus als anti-israelische Lobby beschrieben, h
ält
die kanadaweiten Vortragstouren vorzugsweise in Kirchen ab, weil es große Probleme
mit den Raumzugaben an den Hochschulen gab.
Der eiserne Druck der Israellobby kann auch das Gegenteil bewirken: Die
kleineren linken Parteien in Kanada mussten lernen, dass ihre W
ähler
Israels Angriffe auf Gaza nicht unterstützen und dass Kanadier emp
ört
sind, dass ihre Abgeordneten grundlegende demokratische Rechte im Land auf
Anweisung einer fremden Regierung beschneiden.
Vor drei Jahren veröffentlichte die
Jewish Tribune (JT) ein Interview mit der Vorsitzenden der Gr
ünen
Partei. Elizabeth May ist die einzige grüne Abgeordnete in Kanadas Parlament
und CJPME hatte sie zu einer Benefizveranstaltung eingeladen. In dem
Telefoninterview mit der JT sprach sie von ihrer Unterstützung des Jewish
National Fund und distanzierte sich vom CJPME mit dem Argument, die Gruppe sei
anti- israelisch. Als das Interview ungekürzt ver
öffentlicht wurde,
wurde May von den pro-pal
ästinensischen
Unterstützern der Grünen scharf kritisiert und von CJPME ausgeladen. In den
folgenden Jahren zeigte sich allerdings, dass die Lobby einen Pyrrhussieg
errungen hatte: Als Paul Estrin, der Pr
äsident der Grünen,
w
ährend des israelischen Angriffs auf Gaza 2014 eine anti-palästinensische
Stellungnahme ver
öffentlichte, distanzierte sich May von ihm und er musste
resignieren. Als die Liberalen und Konservative im Februar mehrheitlich die BDS
Kampagne verurteilten, wies May den Beschluss zurück. Sie sagte, dass die
Partei sich nicht am Boykott beteilige, die BDS Bewegung aber nicht als
anti-semitisch verurteile, dies mit Hinblick auf die Position der United Church
in Kanada, die den Boykott voll unterstütze. Einige Tage ging May noch weiter:
Sie erstellte eine Petition im Parlament, in der die kanadische Regierung zu
einer Abkehr vom Standpunkt der strikten Verurteilung der Boykottbewegung
aufgerufen und  zu einer gerechten und friedlichen
L
ösung der legitimen Forderungen und historischen Rechte
der Pal
ästinenser im Rahmen der relevanten Uno-Resolutionen
aufruft.
Die Palästinafrage ist nach allem Anschein ein wichtiger Faktor
bei der W
ählerentscheidung bei den beiden linken Parteien, den
Grünen und bei der sozialdemokratischen und drittgr
ößten
Partei, der NDP. Unter der Leitung von NDP Chef Thomas Mulcair wurden beim
Wahlkampf im vergangenen Oktober acht Kandidaten ausgeschlossen, als ihre
Kritik an Israel u.a. von der Konservativen Partei ver
öffentlicht
wurde. Mulcair verlor die Wahl und viele Kanadier erwarten, dass der neue
Parteichef eine weniger pro-israelische Linie einhält. Kanadas Israellobby wird
freie Hand haben, bis Washington die Beziehung zu Israel ver
ӓndert.
MR: Wie haben Sie in Ihrem Leben den Weg zu den Menschenrechten gefunden?
ML: In meiner Studentenzeit trat ich Amnesty International bei, schrieb
Briefe und verteilte Flugbl
ätter in der Fußgängerzone
in Freiburg. An sich ist der Einsatz für die Menschenrechte ein nobles
Unterfangen. Damals war mir noch nicht bewusst, dass die Verteidigung der
Menschenrechte für politische Zwecke manipuliert werden kann. Nach einer
jahrelangen berufsbedingten Pause in meinem Engagement hatte ich wieder mehr
Zeit zum Lesen und entdeckte die Bücher des amerikanischen Regimekritikers Noam
Chomsky. Sein Werk “Fateful Triangle” über Israels Libanonkriege und die
amerikanische Sonderbeziehung zu Israel zeigt die verf
älschende
Berichterstattung vor allem im Bereich der Außenpolitik auf. Um einen Konsensus
in der Gesellschaft herzustellen, werden Informationen gefiltert, dass
Menschenrechts- und V
ölkerrechtsverletzungen
unserer Regierungen
herabgespielt oder ganz ignoriert werden. Wir werden aber detailliert
über
die Defekte in den Gesellschaften informiert, die nicht mit Washington alliiert
sind. Chomsky spricht von den Opfern, die unserer Hilfe wert sind und Opfer,
die unsichtbar bleiben, zumeist, wenn unsere Außenpolitik zu ihrer Misere
beigetragen hat.
Vor allem seit der Formulierung der R2P, dem von der Uno formulierten Prinzip
der Schutzverantwortung, benutzen die Interventionisten in Washington die
Verteidigung der Menschenrechte als Rechtfertigung für brutalen Regimewechsel. Menschenrechtsaktivisten
sind dann manchmal die Fürsprecher eines neuen Sendungsbewusstseins, das die
von Washington angeführten milit
ärischen Angriffe auf
L
änder rechtfertigt, vor allem wenn diese nach westlichem
Ermessen die Rechte von Frauen, Minderheiten oder der LTGB-Gemeinde verletzen.
Ich sehe mich deshalb nicht mehr als Menschenrechtsaktivistin, sondern als
politische Aktivistin.