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Fadumo Korn: eine mutige Frau gegen FGM

Von
Milena Rampoldi, ProMosaik e.V. – Anbei mein Interview mit Fadumo Korn,
Vorsitzende des Vereins Nala e.V. und Dolmetscherin in München. Sie hat FGM
selbst erfahren und hat über ihre Erfahrungen das mutige Buch mit dem Titel „Geboren
im großen Regen“ geschrieben. Das Schlimmste, was man einer Frau antun kann,
ist die Beschneidung bzw. Genitalverstümmelung. Heute kämpft Fadumo gegen
dieses grausame Verbrechen. Ich möchte mich nochmal herzlichst bei Fadumo für
Ihre Antworten bedanken und wünsche ihr viel Kraft in ihrem Kampf gegen FGM.
Für ProMosaik ist der Kampf gegen FGM ein Kampf, der uns alle als gesamte Gesellschaft
weltweit betrifft. Der Mut von Frauen wie Fadumo, darüber zu sprechen und die
Schmerzen so klar zu beschreiben, kann FGM aufhalten. 

Anbei auch das Video von Aygun Uzunlar zum Interview:
Milena
Rampoldi: Sie haben FGM selbst erlebt. Wie haben Sie den Schritt zur Sprache
und zum Kampf gegen FGM geschafft?
Fadumo
Korn: Ich habe mehr als 35 Jahre gebraucht, um zu verstehen, dass nur die
Betroffenen wie ich etwas gegen FGM tun können. Daher habe ich mich 1999 im Januar
dazu entschlossen, erstmals an die Öffentlichkeit zu gehen, um zu zeigen, dass
wir keine Märchengestalten sind, sondern real existierende Menschen, die zwar
keine Klitoris mehr haben, aber ansonsten kampfbereit sind. Mit meiner eigenen
Geschichte und mit meinem eigenen Schicksal habe ich für große Wirbel in
Deutschland gesorgt. Es war nicht leicht, da ich ein Kind im Schulalter hatte,
aber da mein Mann voll zu mir stand und mich immer wieder ermutigte, habe ich
den Kampf aufnehmen können.
MR:
Welche sind die schlimmsten Folgen von FGM für die Frau?
FK:
Die Schmerzen, wenn wir unsere Regelblutung bekommen. Das sind unvorstellbare
Schmerzen. Es ist so, als würde ein wildes Tier in deinem Unterleib wühlen. Dann
kommen die Schmerzen beim Wasserlassen und beim Geschlechtsverkehr. Das Schlimmste
ist aber die Geburt, wenn die zugenähte Scheide regelrecht zerreißt und der
Kopf des Kindes alles mitreißt. Wenn du dann den Urin nicht mehr halten kannst,
wenn du nichts empfindest, wenn du mit deinem Mann intim wirst. Oder wenn
Mädchen bei der Beschneidung verbluten und sterben.
Manche
Frauen werden durch die Verletzungen unfruchtbar, bekommen keine Kinder. Dann
haben sie ein doppeltes Schicksal. Was eine schön und rein machen sollte, macht
sie zu einer „Außenseiterin“, denn ohne Kinder ist eine Somalierin nichts wert.
MR:
Warum muss FGM heute in Europa zum Thema gemacht werden?
FK:
Weil die Europäer immer noch nicht verstanden haben, dass die Beschneidung (Genitalverstümmlung)
nicht nur eine afrikanische Angelegenheit bzw. ein afrikanisches Problem ist.
Diese Tradition gelangt nämlich durch die Migration in die ganze Welt und auch
nach Europa.
MR:
Der Kampf gegen FGM ist ein wichtiger Kampf des islamischen Feminismus? Warum
schließen sich aber wenige diesem Kampf an?
FK:
Die Muslime sind im Grunde genommen nicht in der Lage, das FGM-Tabu zu brechen.
Denn es wird unter Muslimen nicht offen über FGM gesprochen. Das hat
selbstverständlich auch damit zu tun, dass man nicht öffentlich über Sexualität
spricht. Der islamische Feminismus hätte hier große Chancen, innerhalb der
Religion offen und öffentlich über dieses Thema zu sprechen. Außerdem hängt es damit zusammen, dass es die
Genitalverstümmelung nicht nur in muslimischen Ländern gibt. Denn diese
Tradition wir auch in Ländern praktiziert, die nicht islamisch geprägt sind.
MR:
Wie können wir in den Ländern, die denen FGM noch zum Alltag gehört, die Massen
mobilisieren und das Thema enttabuisieren?
FK:
Man muss die Muslime dazu bringen, Sturm gegen FGM zu laufen. Man muss ihnen sagen, dass der Mensch es dreist
gewagt hat, die perfekte Schöpfung Allahs zu verändern. Und das ist eine große
Sünde. Der Mensch ist großartig. In Koran 95:4  heißt es: „Wir haben den Menschen in
bester Form erschaffen“. Ist denn der Mensch so großartig, dass er meint,
Allah habe einen Fehler begangen, als er ihn erschuf. Genau das macht der
Mensch mit der Genitalverstümmelung. Der Mensch erhebt sich über Allah und
meint, er könnte die einmalige Schöpfung Allahs verbessern.  
MR:
Bitte erzählen Sie uns von Ihrem Buch.
FK:
Anbei ein Auszug aus meinem Buch:
Bis zu
meinem 8. Geburtstag kannte ich kein festes Zuhause. Ich zog als
glückliches kleines Nomadenmädchen mit meiner Familie und unserem Vieh
durch Somalia, immer dorthin, wo es gerade Futter für die Tiere gab. Das
war nicht immer lustig, nein, das war oft sogar extrem anstrengend, denn
wir waren manchmal tagelang unterwegs. Seit ich vier Jahre alt war musste
ich unsere gesamte Schafherde versorgen. Und ich war ein eigensinniges
Kind. Als ich einmal auf einem Basar ein schönes Tuch entdeckte und es
nicht bekam, hielt ich vor Wut so lange die Luft an, bis ich in Ohnmacht
fiel. Daraufhin kaufte mein Vater das Tuch. Aber als ich sieben Jahre alt
wurde änderte sich alles …
Der
große Tag eines somalischen Nomadenmädchens
Endlich
war der große Tag gekommen. Ich hatte es schon kaum noch erwarten können,
denn heute – endlich – sollte ich eine Frau werden. Wie versprochen hatte
ich schon am Morgen ein wunderschönes Tuch, einen Spiegel und herrliche
Sandalen geschenkt bekommen. Ein so schönes Tuch darf nicht schmutzig
werden und so band ich es nicht um, sondern klemmte es zusammengelegt unter
den Arm und schritt stolz hinter den anderen Mädchen auf dem Pfad hinaus
aus dem Dorf.
Auf dem Weg zitterten mir vor Aufregung die Knie. Als ich dann die alte
Frau sah, die schwer gebeugt zum Lager unter der Schirmakazie kam, packte
mich plötzlich Entsetzten. Ich sah zu, wie sie mit zitternden Händen ein
Tuch ausbreitete und darauf einen Beutel mit Asche, eine Dose mit klebriger
Paste, einige Akaziendornen und eine halbe Rasierklinge legte. Meine Mutter
deutete auf den Platz vor ihr, ich sollte dort Platz nehmen und dann hörte
ich noch: “Sei ein artiges Kind, mach mir keine Schande und schrei
nicht.”
Jetzt geschah alles ganz schnell. Meine Tante und meine Mutter hielten mich
fest und in meinem Kopf explodierte ein unsagbarer Schmerz- ein Schmerz,
den ich auch nach über 30 Jahren noch immer deutlich nachfühlen kann. Er
hat nur ein Gutes, dass er die Ohnmacht bringt.
Nach dem ersten Schnitt war ich nicht mehr ansprechbar, hab nicht mehr
gefühlt, was noch getan, geschnitten und zusammengenäht wurde. Aber beim
Aufwachen waren meine Beine von Knöchel bis Hüfte fest umwickelt. Ich
sollte mich nicht bewegen, damit die Wunde verheilen kann. Alles tat weh
und dann erst begann die eigentliche Tortur.
Nur ein
stecknadelgroßes Loch soll bleiben, damit Urin und Blut abfließen können.
Bei mir blieb nicht einmal das und so wurde am nächsten Tag die Prozedur
wiederholt und ein Stück der Naht wieder geöffnet. Wahrscheinlich dadurch
hat sich die Wunde entzündete. Wochenlang hatte ich hohes Fieber, die Wunde
eiterte. Und während ich mit dem Tod rang, kaufte meine Mutter sogar schon
ein Leichentuch.
Ich
starb nicht. Aber ich konnte auch nicht mehr umherspringen wie früher, ich
konnte meiner Familie nicht mehr helfen und was noch schlimmer war, ich
konnte ihr bei ihren Märschen durch die Wüste nicht mehr folgen. Sie schickten
mich zu meinem Onkel, der ein Haus in Mogadischu hatte und der andere Teil
meines Lebens begann. Zum ersten Mal sah ich Autos, hörte Radio. Später
durfte ich auch zur Schule gehen. Aber richtig gesund wurde ich nicht. Ich
bekam zusätzlich Rheuma, wahrscheinlich eine Folge der schlimmen Infektion.
Und als die Ärzte in Mogadischu nicht mehr weiter wissen, schickt mich mein
Onkel zunächst nach Italien und später nach Deutschland. Seit 1979 lebe ich
jetzt in München – der dritte Teil meines Lebens. Aber noch heute habe ich
gesundheitliche Probleme, die sich eindeutig auf die Beschneidung
zurückführen lassen. Ärzten in Somalia und in Europa verdanke ich, dass ich
heute ein glückliches Familienleben mit meinem Mann und meinem Sohn führen
kann.
Meiner
Mutter habe ich längst verziehen, sie wollte nur das Beste für mich und
konnte dem Druck der Gemeinschaft nicht ausweichen. Aber der Beschneiderin,
die so alt, zitterig, fast blind war und die ihren Beruf daher schon längst
hätte nicht mehr ausführen dürfen, habe ich bis heute nicht verziehen.
Wie
das Buch entstanden ist, möchte ich Ihnen auch noch gerne sagen. Das Buch
entstand in der Not. Mein Mann Walter hatte sich 2003 das Genick angebrochen
und drohte, behindert zu werden. Und da ich Angst hatte, den Verstand zu
verlieren vor lauter Sorge, habe ich das Buch geschrieben. Dass es dann ein
solcher Knaller wird, hatte ich nicht ahnen können.