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Westsahara: Bundesregierung ignoriert Menschenrechtsverletzungen in Marokko

Eine Frau in Laayoune, der größten Stadt der Westsahara (Archivbild)
Eine Frau in Laayoune, der größten Stadt der Westsahara (Archivbild)
© Fadel Senna/AFP/Getty Images


Marokko soll ein sicheres Herkunftsland werden. Die
Regierung scheint die marokkanischen Aussagen nicht zu hinterfragen, wie
eine Antwort auf eine Kleine Anfrage zeigt. 
Die
Bundesregierung will trotz des Wissens um willkürliche Festnahmen von
Westsahara-Aktivisten und Folter in marokkanischen Gefängnissen an der
Einstufung des Landes als sichererer Herkunftsstaat festhalten. Das geht
aus einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion hervor, die
ZEIT ONLINE vorliegt. Die Westsahara ist seit
1975 völkerrechtswidrig
von Marokko besetzt. Auf dem Territorium, das etwa die Größe Italiens
hat, leben neben 350.000 marokkanischen
Siedlern rund 150.000 Sahrauis, die ursprünglichen Bewohner der Region.

Auf die Frage, inwieweit Folter, auch wenn sie nicht systematisch erfolgt, zur Einstufung als “sicherer
Herkunftsstaat” führen könne, heißt es: “Schematische
Betrachtungsweisen im Hinblick auf die Quantität und Qualität von Folter
sind nicht geeignet, um zu begründeten Beurteilungen einer Einstufung
als sicherer Herkunftsstaat zu gelangen. Daher erfolgt eine Bewertung
von Land zu Land aufgrund wiederholter wertender Betrachtungen.”


Laut Bundesregierung findet in Marokko und der Westsahara keine politische Verfolgung statt.
“Staatliche Repressionsmaßnahmen gegen bestimmte Personen oder
Personengruppen wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit
zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen
Überzeugung sind nicht festzustellen”, steht in dem Schreiben.

Dies widerspricht den Berichten von Amnesty
International und Human Rights Watch.
Sahrauischen
Aktivisten, die sich für die Unabhängigkeit der Westsahara von Marokko
einsetzen, wird oft nicht vor Zivil-, sondern vor Militärgerichten der
Prozess
gemacht. Manch einer wird wegen der Teilnahme an einer Demonstration zu
einer
Haftstrafe verurteilt. 74 sahrauische
Aktivisten saßen im Jahr 2014 in marokkanischen Gefängnissen, berichtet
die sahrauische Menschenrechtsorganisation CODESA. Für das Jahr 2015 hat
Amnesty International insgesamt 175 Fälle von Folter in marokkanischen
Gefängnissen dokumentiert.

Es zählen nur Regierungsinformationen


Die Bundesregierung
beruft sich in ihren Antworten vielfach nicht auf eigene Erkenntnisse,
sondern auf Selbstauskünfte der marokkanischen Behörden. So verweist die
Regierung auf die liberale marokkanische Verfassung und auf das von
Marokko unterzeichnete Zusatzprotokoll
zur Anti-Folter-Konvention – ohne zu hinterfragen, ob diese umgesetzt
werden.

Demonstrationen für
die Unabhängigkeit der Westsahara werden in der Regel nicht genehmigt.
Finden sie trotzdem statt, werden sie oft mit Polizeigewalt
niedergeschlagen und Demonstranten verhaftet. In der Antwort der
Bundesregierung heißt es dazu: “Gegen Kritiker der Monarchie oder der
marokkanischen Haltung in der Westsahara-Frage wird im Fall von
rechtlichen Verstößen auf der Grundlage der marokkanischen Strafgesetze
vorgegangen. Dies kann Strafverfahren, polizeiliche Maßnahmen, zum
Beispiel zur Auflösung illegaler Demonstrationen und in Einzelfällen
auch die Ausweisung von ausländischen Personen beinhalten.”

Sevim Dağdelen,
Linken-Sprecherin für Internationale Beziehungen, kritisiert die Haltung
der Bundesregierung: “Nach dem schmutzigen Deal mit der Türkei sollen
nun die
nächsten mit Ländern wie Marokko und Libyen folgen.” Für die
Flüchtlingsabwehr sei die Regierung offenbar bereit, mit jeder
Autokratie zusammenzuarbeiten. “Dabei lügt sich die Bundesregierung auch
den ‘sicheren Herkunftsstaat’ Marokko herbei.” So sei Folter dort
kein Problem, solange sie aus Sicht der Bundesregierung nicht
systematisch erfolge. “Die Leidtragenden werden die Sahrauis sein, deren

systematische Verfolgung in der völkerrechtswidrig besetzten Westsahara
schöngeredet wird.”

Asylanträge dürften deutlich schwerer werden

Aus
der Antwort auf die Anfrage geht zudem hervor, dass 2.124 Asylanträge
von Marokkanern derzeit (Stand: 10. März) noch nicht bearbeitet sind. Ob
sich darunter auch Anträge von Sahrauis oder Westsahara-Aktivisten
befinden, ist nicht bekannt. In der Mehrzahl dürfte es sich um junge
Menschen handeln, die die hohe Arbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit
aus dem Land treibt. Politisch verfolgte Sahrauis haben in den letzten
Jahren Asyl vor allem in Algerien oder Spanien gesucht, das als einstige
Kolonialmacht enge Beziehungen zur sahrauischen Bevölkerung unterhält.

Wenn Marokko als
sicheres Herkunftsland eingestuft wird, wie es die Bundesregierung
plant, wäre es immer noch möglich, Asyl wegen politischer Verfolgung zu
erhalten. Es dürfte aber deutlich schwerer werden. Der Antragsteller
müsste Beweise für seine politische Verfolgung erbringen. Die
marokkanischen Behörden geben sich allerdings Mühe, den Schein zu wahren
und Rechtsstaatlichkeit zu demonstrieren. So werden Teilnehmer an
Demonstrationen oft nicht wegen ihrer politischen Aktivitäten, sondern
beispielsweise wegen angeblicher Drogendelikte verurteilt.  

UN spricht von “Besatzung”

Die
Westsahara ist seit
1975 von Marokko besetzt. Als Mauretanien sich 1979 aus dem südlichen
Teil des
Gebiets zurückzog, annektierte Marokko auch diesen. 16 Jahre kämpfte die
marokkanische
Regierung gegen die Frente Polisario, die von Algerien unterstützte
Befreiungsbewegung
der Sahrauis. Diese errichtete 1976 auf einem kleinen Teil des Gebiets
einen eigenen Staat, die Demokratische Arabische Republik Sahara
(DARS).  

Seit
1991 sind die Vereinten Nationen mit der Friedensmission Minurso in der
Westsahara präsent. Ursprünglich sollten die UN-Mitarbeiter ein
Referendum
vorbereiten, in dem die Sahrauis über die Unabhängigkeit entscheiden
sollten. Von diesem Ziel sind sie heute jedoch weiter entfernt denn je.
Die Minurso-Mitarbeiter überwachen vor allem den Waffenstillstand und
entfernen Landminen. Doch auch dieser Aufgabe können sie nur noch
eingeschränkt nachgehen, seit im März ein Streit zwischen Marokko und den Vereinten Nationen entbrannt ist.

UN-Generalsekretär
Ban Ki Moon hat das Vorgehen Marokkos als
“Besatzung” bezeichnet. Hunderttausende Menschen hatten daraufhin in der
marokkanischen Hauptstadt Rabat gegen die Äußerung protestiert. Das
wiederum
hat Ban verärgert. Die Demonstration, so sagte er, sei “ein Angriff, der
respektlos
gegenüber ihm und den Vereinten Nationen” sei. Daraufhin wurden die
meisten zivilen UN-Mitarbeiter zur Ausreise gezwungen. Seitdem läuft die
Arbeit der Vereinten Nationen in Laayoune auf Sparflamme – und das
birgt Sicherheitsrisiken. Ende April muss der UN-Sicherheitsrat das
Mandat für die Minurso-Mission verlängern. Bis dahin bleibt Zeit, um das
diplomatische Fiasko zu beenden.