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Südsudan: die tödlichen Auswirkungen der Kinderehe


Von Caitlin McGee, Al Jazeera, 16. Februar 2016. Deutsche Übersetzung: Milena Rampoldi, ProMosaik
Wirtschaftliche Not und der Konflikt führen zu Kinderehe und Zwangsheirat von
Mädchen. Man hofft, diesem Trend durch Erziehung entgegenwirken zu können. 
Elizabeth
Nyanyot Diu wurde mit 12 verheiratet [Caitlin McGee/Al Jazeera]
Nyal, Unity State, Südsudan – Elizabeth Nyanyot Diu wurde als Kind gezwungen,
Ehefrau und Mutter zu werden.
Mit 12 wurde sie mit einem 30jährigen
Mann verheiratet, der sie regelmäßig schlug. „Immer wenn es ihm so passte,
schlug er mich mit einem Stock“, erzählt sie.
Zwei Jahre nach der Eheschließung wurde
sie schwanger, aber es gab Komplikationen. Ihr Körper war nicht bereit für Schwangerschaft
und Geburt. „Es brachte mich fast um“, meinte sie.
„Mein erstgeborenes Kind starb, weil ich
zu jung war. Ich war erst 14… Bei uns gebären die Frauen zu früh“, fügte Diu
hinzu.
Kinderehe und Zwangsheirat sind im
Südsudan weit verbreitet.
Sogar vor Beginn des Bürgerkrieges im
Dezember 2013, berichtete UNICEF, dass 52% der Mädchen bei der Eheschließung
noch nicht volljährig waren. Die Situation hat sich nach zwei Jahren dauernder,
gewaltiger Angriffe konstant verschlechtert, so die Organisation.
„In den letzten zwei Jahren beobachtet
man eine steigende Tendenz der Anzahl der zu früh verheirateten Mädchen“,
berichtete Ettie Higgins, die stellvertretende UNICEF-Beauftragte im Südsudan.  
Der Bürgerkrieg, der im Dezember 2013
anfing, hat katastrophale Folgen für den Südsudan.
Zehntausende von Menschen wurden getötet. 1,69 Millionen wurden vertrieben. Und mehr als zwei
Millionen leiden unter einer schweren Hungersnot. Aber die Umfrage unter den Frauen war besonders haarsträubend.
Während ihres Besuchs im Juli 2014
stellte die Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen für die sexuelle Gewalt in
Konfliktregionen, Zainab Hawa Bangura, fest, dass Frauen im Südsudan Opfer der
brutalsten sexuellen Gewalt waren, die sie je gesehen hatte. Bangura beschrieb
die Intensität der Angriffe als „zügellos“.
Dem Bericht von Human Rights Watch vom September zufolge nahmen die sexuellen Übergriffe und
die Gewalt seit Beginn des Bürgerkrieges zu.
Dina Hunaiti leitet das Women’s
Protection and Empowerment Programm des International Rescue Committee in der
Stadt Nyal im Unity State.
Sie meinte, dass die Gewalt gegen Frauen
epidemische Ausmaße erreicht hat.
„Die Gewalt gegen Frauen ist tief
verankert“, erklärte sie. „Sie gehört für die Menschen hier zur Beziehung und
zum Leben“.
Hunaiti berichtete, sie hätte eine
Vielzahl von Fällen von Zwangsheirat gesehen. „Es gibt zahlreiche Fälle, in
denen Mädchen zur Heirat gezwungen werden. Nicht nur die Kinderehe, sondern
auch die Zwangsheirat….“
Schulkinder schlossen sich einer Aufklärungskampagne für Frauenrechte an,
die vom International Rescue Committee in Nyal [Caitlin McGee/Al Jazeera] organisiert
wurde

Ein altes Problem
Nur 35% der Mädchen haben im Südsudan
den Zugang zu Bildung.
„Ich habe an Orten gearbeitet, wo die
Kinderehe für die Mädchen gar kein Problem ist, weil sie so erzogen wurden“, so
Hunaiti. „Aber hier wollen die Mädchen weiterhin die Schule besuchen.“  
Higgins zufolge wäre die finanzielle Not
einer der Faktoren, die die Familien dazu führten, ihre Töchter aus der Schule
zu nehmen und sie zwangszuverheiraten.
Obwohl die Mädchen in den
Konfliktregionen oft die verletzlichsten sind, nehmen aber Kinderehe und Zwangsheirat
auch in Regionen zu, in denen nicht gekämpft wird.
„Wir haben beobachtet, dass Familien die Heirat als
negativen Bewältigungsmechanismus nutzen… um eine Tochter wegzuverheiraten und
somit eine Person weniger in der Familie zu haben, die man unterhalten muss“,
so Higgins.
Die Kinderehe und Zwangsheirat sind ein Aspekt der
schwierigen wirtschaftlichen Lage vieler Familien. Sie denken, sie würden
wirtschaftlich davon profitieren, wenn sie ihre Töchter zu dieser Art von
Heirat zwingen.“
Im Gegenzug für die Verheiratung ihrer Töchter
erhalten die Familien eine Mitgift. In den meisten Fällen handelt es sich bei
der Mitgift um Vieh.
„Ich wurde wegen der Mitgift jung zwangsverheiratet“,
erzählte Elizabeth. Ihre Familie wollte sie jung verheiraten, weil sie mehrere
Kühe wert war, erklärte sie.
Frauen im Südsudan sind Opfer extremer sexueller Gewalt, so die
Beauftragten der Vereinten Nationen. [Caitlin McGee/Al Jazeera]

Tod während des
Gebärens
Für viele dieser Mädchen hat diese Ehe
tödliche oder lähmende Auswirkungen. World Vision zufolge hat der Südsudan die höchste Muttersterblichkeit
der Welt. Die Mädchen im Südsudan laufen die dreifache Gefahr, während der
Kindheit zu sterben als das Abitur zu schaffen.
Mi Hao Sito ist Hebamme für Ärzte ohne
Grenzen in der Stadt Aweil im Nordwesten des Landes.  
Sie sieht junge Teenagermädchen, die
unter Geburtsstillstand leiden, weil ihre Körper noch nicht reif für das
Gebären eines Kindes sind.
„Bis sich die Mädchen aber an uns
wenden, sind manchmal schon zwei Tage vergangen, und das Kind ist schon tot“,
erzählte sie. „Dies geschieht Mädchen, di 14, 15 oder 16 Jahre alt sind. Sie
sind zu jung, um zu heiraten. Es ist körperlich für sie zu früh, ein Kind zu
bekommen.“
Sito zufolge sind Kinderehe und
Zwangsheirat einer der Hauptgründe, wofür so viele Mädchen im Südsudan während
der Geburt sterben.
„Der Körper und auch die Psyche der
Mädchen sind nicht reif genug für eine Schwangerschaft. Sie sind noch Kinder.
Es ist körperlich und mental zu früh. Ich denke, dass sie einfach nur zur
Schule gehen möchten und es nicht dürfen“, erklärte Sito.
Viele Überlebende leiden unter der sogenannten
chronischen Fistula-Krankheit.  
Dies kann vorkommen, wenn das Baby während des
Gebärens sehr lange feststeckt, sodass es zu einem Schlitz zwischen der Vagina
und der Harnblase oder dem Enddarm kommt.
Infolge dieser Krankheit sind Frauen nicht mehr in der
Lage, ihre Blase oder ihren Darm oder beides zu kontrollieren. Wenn sie
aufstehen, fließt Harn heraus. Das Stigma und die Scham, die mit der Fistula-Erkrankung
verbunden sind, führen dazu, dass viele Frauen weggesperrt und ausgesetzt in
ihren Dörfern bleiben.
Korrigierende Operationen sind zwar verfügbar, aber in
vielen Fällen handelt es sich um ein wiederkehrendes Problem.
„Nach der Operation ist eine konsequente Erholungsphase
vorgesehen, in der das Mädchen nicht direkt schwanger werden darf“, so Sito.
Aber viele Frauen haben wenig Kontrolle über ihre Schwangerschaften und werden sehr
oft gleich danach wieder schwanger. „Und wenn dann die Wehen einsetzen,
versuchen sie es erneut zu Hause und gebären zu Hause ihr Kind, anstatt ins
Krankenhaus zu kommen… und dann bekommen sie wieder Fistula.“
Viele Frauen verstehen, dass sie ins Krankenhaus
kommen müssen, so Sito, werden aber von den Familien und Ehemännern unter Druck
gesetzt, um schnell wieder schwanger zu werden und das Baby zu Hause zu
gebären.

Die Frauen vor Ort fühlen sich manchmal machtlos aufgrund der sozialen Erwartungen
ihrer Umgebung [Caitlin McGee/Al Jazeera] 
‘Die Männer sind die
Lösung’
Die 45jährige Elizabeth nimmt nun am Women’s
Empowerment and Protection Programm des International Rescue Committee in Nyal
im Unity State teil. Das Programm versetzt eine Gruppe von Frauen in die Lage,
sich ein Mal pro Woche zu treffen und handwerkliche Arbeiten auszuführen, die
sie dann nach Hause nehmen und verkaufen können.
Ein anderer Aspekt des Programms
schließt die Erziehung der Jungs in den örtlichen Schulen zum Thema der
Frauenrechte ein.  
Peter Kam ist Lehrer in der Grundschule
für Jungen und Mädchen in Nyal. Peter zufolge sind seit Beginn des Women’s
Protection and Empowerment Programms des IRC große Veränderungen in der
Umgebung eingetreten.
„Ich habe bemerkt, dass sich die
Einstellungen einiger Familien verändern“, so Kam. „Familien fangen an zu
verstehen, dass die Mädchen eine Arbeit finden und die Familie finanziell
unterstützen können, wenn sie zur Schule gehen, anstatt sie für die Mitgift zu
verheiraten.“  
Kam berichtete, dass viele Mädchen vor
2014 aus seinen Klassen und aus der Schule genommen wurden, um verheiratet zu
werden. Das ändert sich jetzt aber. Es gibt eine starke Tendenz hin zur
Erziehung der Jungs bezüglich der Gleichberechtigung. Elizabeth zufolge ist
dies der beste Weg, um die Tradition der Kinderehe und der Zwangsheirat zu
durchbrechen.
„Die Männer sind die Lösung“, meinte
sie. „Wenn sie erzogen werden, dann geht das in ihr Herz und in ihren Kopf.“