General

Israel: Extrem, extremer, am Extremsten




Uri Avnery أوري أفنيري אורי אבנרי




Übersetzt von 
Ellen Rohlfs اِلِن رُلفس



Herausgegeben von 
Milena Rampoldi میلنا رامپلدی



WIE ALLGEMEIN BEKANNT, ist Israel ein „jüdischer und demokratischer Staat“.
Das ist die offizielle Bezeichnung.
Nun ….

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WAS DAS Jüdische betrifft, so ist es eine neue Art Jüdischkeit, eine Mutation.
2000 Jahre
lang waren die Juden als weise, schlau, friedliebend, menschlich,
progressiv, liberal und sogar als sozialistisch bekannt.
Wenn man heute diese Attribute hört, fällt einem der israelische Staat sicher nicht als erster ein. Weit davon entfernt.
Was „demokratisch“ betrifft, so  stimmte dies mehr oder weniger  bei
der Gründung des Staates 1948 bis zum 6-Tage-Krieg von 1967, als Israel
leider die Westbank, den Gazastreifen, Ost-Jerusalem und die Golanhöhen
eroberte. Und natürlich  die Sinai-Halbinsel, die später an Ägypten zurückgegeben wurde.
(Ich sage „mehr oder weniger“ demokratisch, weil es nirgendwo auf der Welt einen vollständig demokratischen Staat gibt.)
Seit 1967
ist Israel ein Hybrid – halb demokratisch, halb diktatorisch. Wie ein
Ei, das zur Hälfte frisch und zur Hälfte fault ist.
Es sei darauf hingewiesen, dass die besetzten Gebiete mindestens aus vier verschiedenen Kategorien bestehen:
1.-
Ost-Jerusalem, das 1967 von Israel annektiert wurde und jetzt offiziell
Teil von Israels „Hauptstadt“ ist. Seine palästinensischen Bewohner
sind nicht als israelische Bürger akzeptiert worden. Sie sind nur
„Einwohner“, ohne jegliche Bürgerrechte.


2.-
Die Golanhöhen, früher ein Teil Syriens, die von Israel annektiert
wurden. Die paar arabisch-drusischen Bewohner, die dort geblieben sind,
sind widerwillige Bürger Israels.

3.-
Der Gazastreifen, der von Israel und Ägypten (die gemeinsame Sache
machen) vollkommen von der Welt abgeschnitten ist. Die israelische
Flotte schneidet ihm den Seeweg ab. Das Minimum, das die Bewohner zum
Überleben brauchen, darf durch Israel kommen. Der verstorbene Ariel
Sharon zog die wenigen jüdischen Raubsiedlungen aus dem Gebiet ab, das
nicht von Israel beansprucht wurde, weil dort zu viele Araber leben.

4.- Das Westjordanland  das
die israelische Regierung und die rechtsextremen Israelis „Judäa und
Samaria“ nennen und das die Heimat des größten Teils des
palästinensischen Volkes, wahrscheinlich etwa 3,5 Millionen, ist. Hier
spielt sich die wichtigste Schlacht ab.

VOM ERSTEN TAG
der Besatzung von 1967 an wünschten sich die rechtsextremen Israelis
die Annektierung des Westjordanlandes an Israel. Mit dem Slogan „Das
ganze Eretz Israel“ begannen sie eine Kampagne, um dieses ganze Gebiet
zu annektieren, die palästinensische Bevölkerung zu vertreiben und so
viele jüdische Raubsiedlungen wie möglich dort zu bauen.  
Die
Extremisten haben diese ihre Absicht nie verborgen, dieses Land ganz
von Nicht-Juden zu reinigen und ein Groß-Israel vom Mittelmeer bis zum
Jordanfluss zu errichten.
Dieses
Ziel zu erreichen, ist sehr schwierig. 1948, während unseres sog.
„Unabhängigkeitskrieges“ eroberte Israel ein weit größeres Gebiet als
ihm von den Vereinten Nationen zugestanden wurde. Aber Israel wurde
vergeben. Die Hälfte der palästinensischen Bevölkerung des Landes wurde
vertrieben oder floh. Diese vollendete Tatsache wurde mehr oder weniger
von der Welt akzeptiert, weil es mit militärischen Mitteln in einem
Krieg erreicht wurde, der von arabischer Seite begonnen wurde, und weil
es gleich nach dem Holocaust geschah.
1967
war die Situation aber völlig anders. Die Ursachen des neuen Krieges
waren umstritten: David verwandelte sich in Goliath. Man befand sich
mitten in einem weltweiten Kalten Krieg. Israels Eroberungen wurden
nicht anerkannt, nicht einmal von seinem Schutzherrn, den USA.
Trotz
verschiedener neuer israelisch-arabischer Kriege, des Endes des kalten
Krieges und vieler anderer Veränderungen, hat sich diese Situation nicht
verändert.
Israel
nennt sich selbst einen „jüdischen und demokratischen Staat“. Die
Bevölkerung in „Groß-Israel“ ist jetzt halb jüdisch und halb arabisch,
wobei sich die Araber schneller vermehren. Das eigentliche Israel ist
mehr oder weniger demokratisch. In den besetzten palästinensischen
Gebieten herrscht eine diktatorische „ Militärregierung“ mit
Hunderttausenden jüdischer Siedler, die versuchen, die
palästinensisch-arabische Bevölkerung mit allen  verfügbaren Mitteln, einschließlich betrügerischen Landkaufs  und Terrorismus („Vergeltung“ genannt) zu vertreiben.
Im
eigentlichen Israel regiert die extreme Rechte, die auch einige Elemente
aufweist, die man anderswo als „faschistisch“ bezeichnen würde. Das
Zentrum und die Linke sind ohnmächtig. Der einzige wirkliche politische
Kampf wird zwischen der radikalen Rechten und der noch radikaleren
Rechten ausgetragen.
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Naftali Bennett

IN DIESER WOCHE brach eine
wütende Schlacht zwischen Benjamin Netanjahu und seinem
Verteidigungsminister Bogie Ya‘alon, beide von der Likud-Partei und
Naftali Bennett, dem Führer der Partei „Jüdisches Heim“ (HaBayit HaYehudi) aus. Bennett, ein ehrgeiziger Rechter, macht kein Geheimnis aus seiner Absicht, Netanjahu so bald wie möglich zu ersetzen.
Die
Ausdrucksweise der beiden Parteien würde man sogar als extrem
betrachten, würde sie zwischen der Koalition und der Opposition
verwendet. Zwischen Partnern der Koalitionsregierung ist dies aber –
mild ausgedrückt – selbst in Israel so ziemlich ungewöhnlich.
Im Verhältnis dazu ist die Ausdrucksweise des Oppositionsführers Jitzchak Herzog praktisch höflich.
Bennett
zufolge verbreiten Netanjahu und Ya’alon alte und überholte Ideen und
leiden an „psychischer Lähmung“. Er behauptete auch, sie würden den
schon schwankenden Ruf Israels in der Welt nur noch mehr verschlechtern.
Netanjahu und Yaalon, ein früheres Kibbuz-Mitglied und Stabschef der
Armee, warfen Bennett Diebstahl vor. Bennett würde jegliche gute Idee,
die im Kabinett geäußert wird, einfach stehlen und als seine verkaufen.
Yaalon bezeichnete Bennett als „kindisch“ und „unbesonnen“.  
 Wer hat Recht? Leider  alle.
 Dazwischen
steht (bzw. sitzt) der gegenwärtige Armeechef Gadi Eizenkot, trotz
seines deutsch klingenden Namens Sohn marokkanischer Immigranten. In
Israel sind – seltsam genug – die Armeechefs gewöhnlich moderater als
die Politiker.
Der General
schlug vor, die Lage der arabischen Bevölkerung in den besetzten
Gebieten zu verbessern, indem man zum Beispiel den Menschen in Gaza
einen Hafenbau genehmigt, damit sie mit der ganzen Welt in Kontakt
treten können. Erstaunlich.

Bogie, Gadi und Bibi

 ALL DIES ereignete sich bei einer Konferenz der sogenannten Sicherheitsexperten, bei der sich jeder und jede zu Wort melden kann.
Die Führer
der Oppositionsparteien nahmen auch daran teil. Jitzchak Herzog von der
Arbeitspartei, Yair Lapid von der Zentrum-Partei „Es gibt eine Zukunft“
und andere hatten das Sagen, aber sie waren so langweilig, dass über
ihre Reden nur um der Fairness willen berichtet wurde. Sie grabschten
von hier und dort einige Ideen und nannten dies „mein Plan“ – und
schoben den Frieden  – wenn überhaupt – auf eine sehr entfernte  Zukunft.
Frieden ist – so viel man weiß –  etwas Angenehmes, etwas, von dem man träumt. Nichts für ernsthafte Politiker.
Was bleibt, ist ein wütender Kampf zwischen der extremen Rechten und dem noch extremeren rechten Flügel.
Bennett,
ein früherer High-Tech-Unternehmer, trägt eine Kippa auf seinem kahlen
Kopf (offen gesagt, wundere ich mich immer, was sie dort hält,
vielleicht der reine Willen). Er verbirgt seine Überzeugung nicht, dass
er den flauen Netanjahu um der Nation willen so bald wie möglich
ersetzen muss.
Bennett warf der inkompetenten, politischen Führung vor, sie würde   unsere
tapferen Soldaten und ihre Kommandeure im Stich lassen – eine Anklage
direkt aus „Mein Kampf“, das bald auch auf Hebräisch erscheinen wird.
Netanjahus
einzig möglicher Nachfolger innerhalb seiner Likud-Partei ist Ya‘alon,
ein Mann ohne irgendwelches Charisma oder politisches Talent. Doch damit
Bennett und seine Partei „Jüdisches Heim“ ans Ruder kommt, müssen sie
die Likud-Partei bei den Wahlen überholen, was fast unmöglich ist, ohne
göttliches Eingreifen.  
Aber weil
wir schon vom göttlichen Eingreifen sprechen: letzte Woche kritisierte
die schwedische Außenministerin Margot Wallström  Israels Rechtssystem, das verschiedene Rechte für Juden und Araber  hat.
Netanjahu reagierte scharf – wer hätte das gedacht: rein zufällig war
die schwedische Presse voller Geschichten über die Korruption von
Wallström, die für ihre Regierungswohnung weniger Miete als nötig zahlen
würde.
ALL DIES wäre auch witzig, würde es nicht Israels Zukunft betreffen.
Friede ist
ein schmutziges Wort. Das Ende der Besatzung ist nicht in Sicht. Die
Vereinte (arabische) Partei wird nicht einmal involviert. Dasselbe gilt
(beinahe) für Meretz.
Im linken
Flügel ist Verzweiflung das Synonym für Faulheit. Dort gibt es eine
sanfte Debatte über die Idee, dass nur die Welt außerhalb Israels uns
vor uns selbst beschützen kann. Dies wird jetzt vom geachteten,
ehemaligen Generaldirektor unseres Außenministeriums, Alon Lyel,
propagiert. Ich glaube nicht daran. Die Idee sich an Nichtjuden zu
wenden, um die Juden vor sich selbst zu schützen, ist wohl keine Idee,
die große Popularität gewinnen wird.
Bennett hat in einem Punkt recht: Stagnation, psychisch wie praktisch,  ist keine Lösung. Die Dinge müssen wieder in Bewegung kommen. Ich hoffe inbrünstig, dass die junge  Generation neue Kräfte und neue Ideen hervorbringen wird, die Netanjahu, Bennett  und ihre Klicke  beiseiteschieben wird.
Was unsere  hoch-gelobte  Demokratie
betrifft, so scheint es, dass seit Jahren eine von der Regierung
finanzierte Organisation einen Privatdetektiv bezahlt hat, dessen Job es
war, die Papierkörbe  von
Friedensaktivisten durchzugehen, um Informationen über Menschenrechts-
und Friedensgruppen und Persönlichkeiten zu erhalten.
(Zum Glück habe ich alles geschreddert).