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In Mailand lernen Imame und Jugendliche den Respekt vor Frauen. „Häusliche Gewalt ist nicht nur muslimisch“, so Sumaya Abdel Qader


Von Laura Eduati, Huffington Post,
16.02.2016, deutsche Übersetzung von Milena Rampoldi von
ProMosaik e.V.
Sexualerziehung und emotionale Erziehung
für muslimische Jugendliche und ein eigener Kurs für Imame, damit sie erlernen,
häusliche Gewalt zu erkennen und auch Frauen zu beraten, die sich auf Weg der
Trennung von ihren Ehemännern befinden.
Die
Koordinierungsstelle der islamischen Vereinigungen von Mailand und Monza-Brianza
(Caim) ist die erste muslimische Gemeinde in Italien, die eine solche
Initiative ins Leben ruft, die das Ziel der Sensibilisierung bezüglich der
Frauenrechte verfolgt. Das Projekt Aisha startet am 5. März dank
dem Engagement von Sumaya Abdel Qader, einer Soziologin palästinensischer
Herkunft, die in Perugia geboren wurde, aber in Mailand aufwuchs und hier
verheiratet mit drei Kindern lebt. Unterstützt wird das Projekt auch von der Gemeinde
Mailand.
Eine Frau zwischen zwei Welten: dies
beweist der Mailänder Dom, der auf ihrem Facebookbild im Hintergrund sichtbar
ist. In den Profilbildern zeigt sich Sumaya hingegen mit Kopftuch.
Kurse
für Imame: was sollen sie lernen?

Oft beklagen sich muslimische Frauen, Imame wären nicht in der Lage,
angemessene Antworten auf das Problem der häuslichen Gewalt zu geben. Einige
empfehlen, die Schläge des Mannes im Namen der Familie zu ertragen, andere
stigmatisieren unzureichend die Zwangsheirat, und die letzteren schenken den
Berichten über häusliche Gewalt keinen Glauben. Wir werden die Leiter der
muslimischen Gemeinden nicht selbst unterrichten. Diese Rolle übernehmen
Experten, die ihnen erklären, wie man die Zeichen der Gewalt in der Ehe erkennt
und wie man die Opfer unterstützt, indem man die Frauen beispielsweise an die Frauenhäuser
verweist oder sie dazu anspornt, ihre Ehemänner anzuzeigen.
Entdecken
denn die europäischen Muslime nach den massenhaften, sexuellen Belästigungen in
Köln, dass der Islam ein spezifisches Problem der Gewalt gegen Frauen hat?

In bestimmten Regionen der arabisch-muslimischen Welt gibt es eine forcierte
und extremistische Auslegung des Koran, die dazu anstiftet, die Frauen als
Objekte zu sehen, aber man darf hier auf keinen Fall verallgemeinern. Ich denke
nicht, dass das Problem des unzureichenden Respekts gegenüber den Frauen nur
mit dem Islam zu tun hat, sondern auf verschiedene Faktoren zurückzuführen ist,
wie z.B. auf die Einführung der Pornographie, eines typischen Produktes des
Westens, in weniger fortschrittliche und geschlossene Kontexte. Der Einfluss
der Pornographie auf Männer, die kulturell und sozial ihre Impulse nicht
ausleben dürfen, kann dazu führen, dass sie Frauen belästigen. Gleichzeitig
gibt es Regionen, in denen noch das Stammesdenken, die Zwangsheirat und die
Genitalmutilation der Frau vorherrschen, die vom Islam zwar abgeschafft wurden,
aber trotzdem erhalten blieben.
In Deutschland
und Norwegen kam die Idee auf, arabische Migranten gleich nach ihrer Ankunft in
Europa zu Kursen zu schicken, um den Respekt für die Frauen zu erlernen. Haben
Sie sich an solchen Initiativen inspiriert?

Sicherlich nicht. Diese Kurse gehen vom falschen Ausgangspunkt aus, nach dem
die Flüchtlinge aus den zurückgebliebensten Gegenden des Nahen Ostens kommen,
aber dem ist nicht so. Es sind Menschen, die im Internet surfen und die Welt
kennen. Die Fälle von Köln sind schwerwiegend, aber sie sind die Ausnahme. Die
Mehrheit der arabischen und muslimischen Migranten integriert sich sehr gut in
Europa und begeht nicht solche Straftaten.
Der algerische
Journalist Kamel Daoud ha mit seinen Texten über die „sexuelle Unzufriedenheit
der arabischen Welt“ einen Skandal hervorgerufen. Stimmen seine Erörterungen
denn?  

Daoud verallgemeinert. Daher finde ich seinen Ansatz falsch. Er
spricht aber einen wichtigen Aspekt an, den ich teile. Ich möchte erneut darauf
hinweisen, dass es eine Tradition und Auslegung des Islam gibt, die eine
aggressive Trennung zwischen Männern und Frauen aufgezwungen hat. Die Geschlechter
wurden dazu gezwungen, in zwei parallelen Welten zu leben, die sich nur
treffen, um zu heiraten und eine Familie zu gründen. Dazu kommt eine
Frustration, die vom Post-Kolonialismus hervorgerufen wird: die erträumte
Freiheit wird nicht Wirklichkeit. Und nun führt die Wirtschaftskrise dazu, dass
vor allem Männer ein Gefühl der Rache gegenüber den Frauen verspüren. Gott sei
Dank erheben die feministischen und Frauenbewegungen ihre Stimme, um eine
andere Auslegung des Heiligen Buches des Islam zu fordern und diese starke
Ungleichheit zwischen den Geschlechtern zu überwinden.
Wie
werden die Jugendlichen und Mädchen des Projektes „Aisha“ involviert?
Wir
werden innerhalb der islamischen Gemeinschaft Kurse über die Sexualität und das
emotionale Leben organisieren. Wir wissen zwar, dass einige Eltern nicht
einverstanden sein werden. Wir rechnen somit damit, dass einige dagegen
protestieren werden. Aber die Jugendlichen haben das Recht, Antworten zu bekommen.
In der Familie schämt man sich. Denn solche Themen sind Tabu. Es kommt immer
noch vor, dass sich die Mädchen heutzutage immer noch davor fürchten, mit einem
Kuss schwanger zu werden, während sich viele fragen, ob einige Praktiken im
Islam zulässig sind.
Eine
vor kurzem durchgeführte Studie hat ergeben, dass 30% der in den Frauenhäusern unterstützten
Frauen Musliminnen sind.

Ich weiß nicht, ob diese Daten stimmen. Der Prozentsatz könnte höher oder
niedriger sein. Ich bin überzeugt, dass die häusliche Gewalt auch im Westen ein
riesiges Problem darstellt. Und die europäischen Daten bestätigen dies. Der
Mechanismus ist überall derselbe: Der Mann versucht, sei es religiöse, als auch
wirtschaftliche und politische Macht auf die Frau auszuüben. Nicht nur der
Islam muss diesen Mechanismus bekämpfen. Daher bin ich auch im Kontakt mit
Aktivistinnen aus allen möglichen Kulturen und Religionen.
Erhalten Sie
Unterstützung von den Männern der muslimischen Gemeinde?

Bisher habe ich keine Probleme gehabt und musste auch nicht gegen „Scherbengerichte“
kämpfen. Das Projekt „Aisha“ ist in den muslimischen Gemeinden in Rom, Bologna,
Turin und Modena auf großes Interesse gestoßen, und bald hoffen wir auch in
diesen Städten anzufangen. Ich haben den Rat der europäischen Ulema gebeten,
ein Dokument zu verfassen, in dem die häusliche Gewalt gegen Frauen verurteilt
wird und warte auf seine Antwort. Mit Sicherheit werden sich Menschen
beschweren oder uns widersetzen, aber wir werden weitermachen, denn nur wenn wir
die Männer involvieren, wird es uns gelingen, diese transversale „Seuche der
geschlechtsspezifischen Gewalt“ zu bekämpfen. Ohne sie macht unsere Bemühung
nämlich wenig Sinn.