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Sechs Familien in Jerusalem von der Hausdemolierung bedroht


von Martina Lauer, 13.01.2016.
Am 7. Januar
besuchten Mitglieder der Internationalen Solidarit
ӓtsbewegung [International Solidarity
Movement –ISM]die Witwe Kifaya Rishek, die zusammen mit ihren fünf Kindern und
16 Enkelkindern in ihrem Haus in Beit Hanina im besetzten Ost-Jerusalem lebt.
Sie lebt in der Furcht vor einer baldigen Demolierung ihres Hauses. Die
finanzielle Situation der Hausbewohner ist unsicher: Murad und Ashraf haben
vier Kinder und arbeiten beide als Reiniger. Sharif hat f
ünf Kinder und verdient den Lebensunterhalt als
Spielwarenverk
ӓufer in einem
Laden. Mohannad hat ein Kind und arbeitet in der Bauindustrie; sein Einkommen h
ӓngt davon ab, wie oft seine Firma ihn
zur Arbeit ruft. Frau Risheks Tochter Faiza ist geschieden und lebt mit ihren
zwei Kindern im Haus. Wenn das Haus zerst
ӧrt wird, sind diese fünf Familien obdachlos.


Familienfreund Nuredin Amro und sein Sohn, Abedkarim,
sitzen auf der linken Seite. Sieben der Kinder im Haus sitzen neben ihm, von
links nach rechts: Mira, Mayaan, Ahmad, Yara. Oben ist Fajer. Auf dem Boden
sitzen Mohammad und Badar.
2012 kamen
Vertreter der israelischen Stadtverwaltung von Jerusalem zu Frau Risheks Haus,
um die Familien über den geplanten Bau einer Straße zu informieren, die auf
ihrem Grundstück verlaufen sollte. Zuerst war nur die Terrasse mit der Sommerküche
betroffen. Im Laufe der Zeit
ӓnderten die
israelischen Beh
ӧrden ihre Plӓne und sagten, dass das ganze Haus
im Wege sei.

Frau Risheks Küche.
.
Frau Rishek
ging vor Gericht und beauftragte ihren Rechtsanwalt mit der Mission, die
Stadtverwaltung zu einer
Ӓnderung der
Baupl
ӓne zu bewegen. Die Familie ist
Mitbesitzer eines anderen Grundstückes und schlug vor, dass die Strasse darüber
gebaut werden k
ӧnnte. Frau
Risheks Haus k
ӧnnte dann
stehen bleiben. Frau Rishek ging regelm
ӓssig zu den Sitzungen des Gerichts, konnte aber die
Verhandlungen kaum verstehen, weil sie nur auf Hebr
ӓisch geführt wurden. Letztendlich verlor sie ihren Prozess vor dem
Obersten Gericht, obwohl das Haus in ihrem Besitz ist und alle Steuern und
Abzahlungen geleistet wurden. Das Vorgehen der israelischen Beh
ӧrden und Gerichte ist nach Erfahrung
der pal
ӓstinensischen
Bewohner von Ostjerusalem Teil des umfassenden zionistischen Planes der
ethnischen S
ӓuberung der
Stadt: Die in Jerusalem lebenden Pal
ӓstinenser werden obdachlos und müssen dann als
Flüchtlinge in die Westbank ziehen.

Einige der Kinder in einem Schlafzimmer
Seit Anfang des
Jahres steht der Demolierungsbefehl, der jeden Tag ausgeführt werden kann. Die
Familie muss jederzeit damit rechnen, dass die Bulldozer vor dem Haus
auffahren. Die israelischen Beh
ӧrden sagen nie im
Voraus, wann ein Haus zerst
ӧrt wird und die
betroffenen Familien leben in st
ӓndiger Angst vor dem Verlust ihres Heimes. Weil auf dem
Grundstück der Familie Rishek eine Strasse gebaut werden soll, muss die Familie
unwiderruflich wegziehen.
Die Lehrer der
Kinder sehen in der Schule, dass die Kinder der Familie unter grossem Stress
stehen. Sie haben den Eltern berichtet, dass die Kindert sich nicht
konzentrieren k
ӧnnen und sich
die Noten verschlechtert haben. Die elfj
ӓhrige Malak sagt: “Ich habe Angst, wenn ich zur Schule
gehe, dass ich heimgehe und das Haus nicht mehr existiert.”

Malak ist 11 Jahre alt und muss regelmӓssig zur
Behandlung ihrer Beine ins ALYN Kinderkrankenhaus in Jerusalem gehen.
Frau Rishek und
ihre Familie denken nicht nur an den Verlust des Hauses und des Grundstücks.
Weil sie nicht viel Geld haben, k
ӧnnen sie sich einen Umzug innerhalb von Jerusalem nicht
leisten, sie müssen in die Westbank ziehen, was weitreichende Konsequenzen für
sie hat: Die M
ӓnner werden
ihre Arbeit verlieren, weil die Fahrt zur Arbeit zu lange dauert und sie
israelische Straßenkontrollpunkte passieren müssen. Wenn die Familie von
Jerusalem wegzieht, verliert sie ihre Jerusalemer ID-Karten und die damit
verbundene Sozialversicherung, wie Witwenrente, Krankenkasse und Mareks
Invalidenversicherung. Die Kinder müssen die Schule wechseln, verlieren ihre
Freunde und müssen vielleicht auch das Schuljahr wiederholen. Mareks Eltern
wissen nicht, ob sie sich die Physiotherapie für ihre Tochter leisten k
ӧnnen, wenn sie nicht mehr durch eine
Versicherung abgedeckt ist. Die st
ӓndige Unsicherheit und der Verlust der Kontrolle über das
Leben haben bei Frau Rishek u.a. dazu geführt, dass sie immer wieder ihre
wichtigsten Besitztümer einsammelt und dann wieder an den Platz stellt. Die
Familie weiß nicht, wo sie nach der Zwangsdemolierung des Hauses leben wird. 

Wohnzimmer
Die Nachbarn
von Frau Rishek haben das gleiche Problem: Das Haus von Rajeh und Nadia Hawareen
wird ebenfalls demoliert werden, weil die Straße auch auf ihrem Grundstück
verlaufen wird, eine Form der kollektiven Bestrafung.

Rajeh und Nadia Hawareen.
Das Ehepaar
lebt mit den vier Kindern im Nachbarhaus. Zwei der Kinder sind verlobt und
wollten im August heiraten, wissen aber nicht, wie sie ihre Hochzeit planen k
ӧnnen, wenn das Haus der Familie
unter einem Demolierungsbefehl steht. Herr Hawareen erkl
ӓrte, dass die Familie unter großem
psychologischen Druck stünde, wie Frau Rishek und ihre Kinder. Die Familie
Hawareen hat ihe Ersparnisse darauf verwandt, um Rechtsanw
ӓlte, Ingenieure und Experten zu
bezahlen und die Hausdemolierung zu verhindern. Wie Frau Rishek haben sie ihren
Prozess verloren.
“Dies ist unser
Land. Sie k
ӧnnen uns tӧten, aber wir werden hier bleiben.
Wir werden unser Land nie verlassen,” versichert Herr Hawareen. “Wenn man sein
Haus plant, plant man seine Tr
ӓume. Und Israel
zerst
ӧrt das. Ich bin 50 Jahre alt und mir
bleiben keine weiteren 50 Jahre, um mein Leben wiederaufzubauen. Es ist sehr
aufreibend, vor allem für meine Frau.” Er sagt auch, dass die Gerichtsverfahren
gegenüber den Pal
ӓstinensers sehr
unfair sind: Pal
ӓstinenser dürfen nicht aussagen, und die Verhandlungen werden auf
Hebr
ӓisch geführt. Die Gesetze
unterscheiden zwischen Israelis und Pal
ӓstinensern. Israel hat auch spezielle Gesetze für die in Jerusalem lebenden Palӓstinenser erlassen, um sie aus
Jerusalem zu vertreiben.
 “Ich hab
es satt, seit 60 Jahren sammeln international Organisationen die Fakten,” erkl
ӓrt Herr Hawareen. “Wir verlieren
unsere Würde, sie behandeln uns, als w
ӓren wir weniger wert als Tiere. Wir verlieren alles, wir
werden auf die Strasse geworfen. Ich mag international Organisationen,
Einrichtungen und Institute nicht, weil sie von Regierungen kontrolliert
werden.”
“Seit 60 Jahren
wird alles dokumentiert und niemand h
ӧrt hin, niemand will es hӧren. Ich habe tausende von Dokumenten für die Uno und für OCHA in New
York erstellt, aber niemand unternimmt etwas. Es gibt keine Resultate. Wir
brauchen Antworten, selbst wenn sie negativ sind, damit wir wissen, was auf uns
zukommt. Regierungen sind Heuchler. Sie kümmern sich nur um Allianzen und
gegenseitige Vorteile. Sie kümmern sich nicht um Menschenrechte, die
Unterdrückten. In der Politik gibt es keine Gnade.”
„Aber wir
werden niemals aufgeben. Wir glauben, dass sie uns seines Tages h
ӧren werden.“

Die Bulldozer
arbeiten auf einem benachbarten Grundstück. Sie k
ӧnnen jederzeit vor den Hӓusern der Familien Rishak und Hawareen auftauchen.