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»Sie werden sowieso abgeschoben«

Junge Welt, 28.12.2015, Wer geringe »Bleibechancen« hat, fliegt aus dem Deutschkurs. Ein Gespräch mit Hans Christoph Stoodt

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Dresden, 17. Dezember: Sachsens Integrationsministerin Petra Köpping (SPD) spricht zum Beginn des ersten »Wegweiserkurses« vor Asylsuchenden aus Afghanistan und Iran
Hans Christoph Stoodt ist Berufsschullehrer, Pfarrer sowie Aktivist von »Welcome Frankfurt« und der Antinazi­koordination

Teile von Afghanistan wurden von der Bundesregierung für sicher erklärt. Das bedeutet: Abschiebungen von Asylsuchenden dorthin sind möglich. Am 10. Dezember demonstrierten Afghanen in Frankfurt am Main dagegen. In welcher Situation befinden sich die Betroffenen jetzt?

Afghanen sind eine der größten Gruppen Geflüchteter, die nach Deutschland kommen. Schließlich hat die Bundeswehr 14 Jahre lang in Afghanistan Krieg geführt und soll sich auch künftig daran beteiligen. Menschen fliehen nun deshalb hierher, weil sie dort keine Perspektive mehr haben. Man kann nicht wie die CDU-CSU-SPD-Bundesregierung die Armee dorthin schicken, weil die Lage unsicher ist, zugleich aber das Gegenteil behaupten und Geflüchtete zurückschieben. Deutschland hat sich dort stets als vorbildlich dargestellt. Wer wollte es also den Afghanen verdenken, wenn sie sich daran orientieren und sich sagen: Wir gehen dorthin, wo die Lebensverhältnisse angeblich so toll sind. Ihre Argumentation ist nachvollziehbar, führt sie aber in eine Sackgasse.
Wie ergeht es ihnen?
Ihre fatale Lage will ich am Schicksal zweier sogenannter unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge aus Afghanistan verdeutlichen, die in der Turnhalle der Philipp-Holzmann-Schule untergebracht sind, an der ich unterrichte. Beide hatte ich bei einem Treffen der Initiative »Welcome Frankfurt« kennengelernt. Einer hatte lange im politischen Exil im Iran gelebt, bis seine einer schiitischen Minderheit in Afghanistan zugehörige Familie von dort ins Herkunftsland abgeschoben wurde. Die Situation war dann so: Sein Vater war zu krank, um zu fliehen, die Mutter musste für jüngere Geschwister sorgen. Mit seinen 15 Jahren wurde er nach Deutschland geschickt, spricht weder deutsch noch englisch und muss sich hier zurechtfinden. Ein zweiter 17jähriger Afghane fragte mich zuerst: Wie kann ich meine Familie finden? Mutter, Vater und seine jüngere Schwester habe er an der syrisch-türkischen Grenze verloren. Er sei dann mit seinem 12jährigen Bruder weiter durch die Türkei geflohen, in Ungarn habe er auch letzteren verloren. Diese Jugendlichen sind eine Zeit lang geschützt: Unter 18jährige dürfen nicht abgeschoben werden. Die 17jährigen können allerdings schon die Tage zählen, bis der Schutz endet. Da es angeblich sichere Teile im Land gibt, hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, BAMF, mit der Regierung die Rückführung verabredet. Nun errechnet es für solche Gruppen Geflüchteter die statistische Chance, ob sie hierbleiben können. Wer eine Bleibechance unter 50 Prozent hat, darf keinen Sprachkurs mehr besuchen.
Welche Auswirkungen hat das?
Ein afghanischer Flüchtling hat weniger Rechte als ein eritreischer. Das führt zu folgenden wahnsinnigen Situationen, wie ein Kollege berichtet, der einen Deutschkurs für Flüchtlinge in Frankfurt leitet: Ein Vertreter des Trägers eines vom BAMF finanzierten Kurses sei kürzlich in den Unterricht hineingeplatzt. Er sagte: »Alle afghanischen und somalischen Flüchtlinge können jetzt gehen. Sie werden sowieso abgeschoben und brauchen keinen Deutschkurs mehr.« Wie herabwürdigend! Freilich gibt es Kurse von freiwilligen Kräften, die aber mittlerweile zu Recht fordern, dass die Landesregierung sie finanziert. Auf Dauer ist diese Arbeit auf Basis eines sogenannten Ehrenamts nicht zu machen.
Welche Ziele hat »Welcome Frankfurt«?
Die Initiative hat in jedem Fall immer vorrangig die Anliegen der Flüchtlinge im Blickfeld – und wird sich auf staatliche Institutionen nur insoweit einlassen, wie die Geflüchteten das selbst befürworten. Wir müssen für gesellschaftliche Unterstützung insbesondere für die Afghanen werben, damit es nicht zu Abschiebungen kommt. Dafür müssen sich Sozialverbände, Gewerkschaften, Flüchtlingshilfeinitiativen und antifaschistische Organisationen gemeinsam stark machen.