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Der Beginn aller Friedensarbeit liegt für mich in der Integration der eigenen Schattenseiten. – Ein Gespräch mit Clemens Ronnefeldt

von Milena Rampoldi, ProMosaik e.V. – Ein sehr wichtiges Interview über die Friedensarbeit und die Notwendigkeit des Friedens mit Clemens Ronnefeldt, Referent für Friedensfragen
beim deutschen Zweig des
internationalen Versöhnungsbundes. Gerade in einer Welt, die im Sumpf der Gewalt und der militärischen “Lösungen” versinkt, ist es notwendig, von Frieden und Versöhnung zu sprechen. Ich möchte Herrn Ronnefeldt herzlichst für seine Zeit danken. Friedensarbeit ist ein harter Weg gegen die eigenen Schattenseiten. Friedensarbeit ist ein innerer Weg und erst dann eine sozio-politische Aufgabe.

Milena Rampoldi: Welche sind die
Hauptziele des Versöhnungsbundes?

Clemens Ronnefeldt: Nach
unserem Selbstverständnis sind wir als Internationaler Versöhnungsbund eine
spirituell begründete Bewegung von Menschen, die sich aus ihrem Glauben an die
Macht der Wahrheit und der Liebe um Gerechtigkeit bemühen. Wir widmen uns der
aktiven Gewaltfreiheit als ein Mittel der persönlichen, gesellschaftlichen,
wirtschaftlichen und politischen Wandlung.

Wir tun dies als Gemeinschaft von Menschen, die auf der Suche
sind. Wir wissen, dass es nicht beliebig ist, was wir tun, sondern dass unser
Tun Einfluss hat auf unser Ergehen, auf das Ergehen unserer Mitmenschen, der
Natur und der Generationen nach uns. Auch alle Unterlassungen werden Folgen
haben. Unsere Hauptziele sind Frieden, Gerechtigkeit und und die Bewahrung der
Schöpfung.
MR: Was bedeuten für
Sie Versöhnung und aktive Gewaltlosigkeit?
CR: Versöhnung ist ein höchst komplizierter Prozess, wie an den
Wahrheits- und Versöhnungskommissionen z.B. In Südafrika nach dem Ende der
Apartheid deutlich wurde. Damit Versöhnung gelingt, braucht es die
“Zutaten” Wahrheit, Reue, Bereitschaft zur Wiedergutmachung und Vergebung.
Was die Versöhnung so anspruchsvoll und machmal auch schwierig macht: Wenn
diese “Zutaten” zeitlich nicht einigermaßen eng zusammen fallen oder
nur eines ihrer “Elemente” zu spät kommt oder ganz fehlt, kann sie
leicht scheitern.
Aktive Gewaltlosigkeit bedeutet, dass es einen dritten Weg gibt
zwischen Gegengewalt und Passivität: Das proaktive Engagement, das sich
Einmischen in Konflikte – in Angstfreiheit und Zivilcourage, ebenso in der
Bereitschaft, notfalls auch einen Preis zu zahlen – mit dem Ziel der
Deeskalation und Versöhnung.
MR: Welche sind die
besten Strategien, um heute mitten in einem Zeitalter der Militarisierung von
der Notwendigkeit des Friedens zu sprechen?
CR: Jedes Gewehr das
hergestellt wird und jede Kanonenkugel, die abgefeuert wird, sind ein Diebstahl
an denen, die hungern und frieren – das formulierte schon 1953 US-Präsident
Eisenhower. 
Eine gute Strategie
über die Notwendigkeit des Friedens besteht für mich darin, die strukturelle
Gewalt aufzuzeigen, die darin besteht, dass jedes Jahr mehr als 1,5 Billionen US-Dollar für Rüstung ausgegeben wird, aber nur ein Bruchteil davon für weltweite
Entwicklung oder die Erreichung der Milleniumsziele. “Wäre die Welt eine
Bank, hättet ihr sie längst gerettet”, stand auf einem großen
Greenpeace-Transparent zu lesen – völlig zu Recht. Mehr als 2 Billionen Euro
wurden nach 2009 für die Rettung von Banken alleine in Europa bereit gestellt –
in Deutschland allein 500 Milliarden –
ebenfalls ein
Vielfaches aller Maßnahmen zusammen, die für die Bekämpfung des Hungers oder
die Bereitstellung von sauberem Wasser zur Verfügung steht. 
Gute Strategien
verknüpfen die Friedensfrage mit der Gerechtigkeitsfrage – und weisen an
konkreten Beispielen auf, wo das Unrecht geschieht – und welche “best
practice”-Beispiele es heute schon gibt.

MR: Wie wichtig ist
die Einbeziehung der Jugend im Versöhnungsbund und warum?
CR: Unser Verband geht auf
das Jahr 1914 zurück – und es gäbe uns nicht mehr, wenn wir uns nicht immer
wieder neue Generationen nachgewachsen wären. Bei unseren Jahrestagungen, die
jedes Jahr von Christi Himmelfahrt bis zum darauf folgenden Sonntag stattfinden
– sind Kinder und Jugendliche bis 16 Jahren frei. Dies ermöglicht es seit
Jahrzehnten, dass Eltern auch ohne großes Einkommen ihre Kinder mitbringen
können, für die es eigene Programme gibt. Aus diesem “Nachwuchs” hat
sich im Versöhnungsbund ein eigener Jugendrat gebildet, der z.B. zu unserer
100-Jahr-Feier im letzten Jahr eine Fahrrad-Tour von Köln nach Konstanz – zwei
für unsere Versöhnungsbund-Geschichtsanfänge entscheidende Orte – organisierte.
Derzeit helfen einige Jugendliche des Versöhnungsbundes Flüchtlingen in
Südeuropa, in dem sie vor Ort die Essenausgabe und Betreuung ehrenamtlich
unterstützen – und dabei mit Spenden, meist von älteren Mitgliedern,
unterstützt werden. Uns ist bewusst: Ohne die Einbeziehung der Jugend gibt es
keine Zukunft unseres Verbandes. In unserem Vorstand arbeiten aktuell mehrere
Unter-30-Jährige mit – worüber wir insgesamt sehr froh sind.
MR: Welche sind die
wichtigsten Tätigkeitsfelder Ihrer Organisation?
CR: In Büchel lagern die
letzten Atombomben auf deutschem Boden. Unser Vorsitzender Dr. Matthias Engelke
und auch andere Mitglieder fasten und demonstrieren seit vielen Jahren vor Ort,
um die Abschaffung dieser Massenvernichtungswaffen zu erreichen. Mehrere
Mitglieder wenden sich gegen die Militarisierung unserer Gesellschaft, z.B.
auch durch Proteste gegen Bundeswehrkonzerte in Kirchen, die unserem
Verständnis nach der Gewaltfreiheit und Feindesliebe verpflichtet sind.
Einzelne thematische Kommissionen und Gruppen bearbeiten u.a. die Themen
Friedenstheologie, Gender, Nahost, Flüchtlinge und Asyl, Friedensbildung und
Gewaltfreie Kommunikation. Ein eigenes Friedensreferat hat die Region Naher und
Mittlerer Osten als Themenschwerpunkt und erarbeitet dazu u.a. Materialien im
Rahmen einer Dossier-Veröffentlichungsreihe “Zivile Konfliktbearbeitung”.
MR: Wie verbindet man
Friedensarbeit am besten mit Flüchtlingsarbeit?
CR: Indem Menschen direkt
Menschen begegnen, sich berühren und ansprechen lassen. Damit Integration
gelingt und der soziale Frieden in Deutschland nicht verloren geht, braucht es
Engagement bei der Erlernung der deutschen Sprache, bei Behördengängen,
bei der ärztlichen Betreuung – und der Wohnungs- und Arbeitssuche. Das
Gegenteil von Liebe ist in den meisten Fällen nicht Hass, sondern
Gleichgültigkeit. 
MR: ie lässt sich
Friedensarbeit mit dem Engagement gegen Diskriminierung und für eine tolerante
Gesellschaft verbinden?
CR: In München, wo ich in der Nähe wohne, gingen im letzten Jahr
tausende Menschen  gegenüber einigen Hundert Anhängern von Pegida, Bagida
und andere rechtsextreme Gruppierungen auf die Straße. Bevor Asylunterkünfte
brennen, gibt es eine Stimmungsmache zuvor. Dem Mord geht der Rufmord voraus.
Ich halte es daher für wichtig, den Anfängen zu wehren und Konflikte zu
riskieren – statt einer “unguten Harmonie” willens auf die
Auseinandersetzung zu verzichten. Der Beginn aller Friedensarbeit liegt für
mich in der Integration der eigenen Schattenseiten.