General

Aktivisten an den US-Universitäten im Mittleren Westen setzen sich trotz der Drohungen weiterhin für Palästina ein


Während sich
die Studenten für die Gerechtigkeit in Palästina (Students for Justice in
Palestine) weiterhin darum bemühen, die verheerenden Folgen der israelischen
Besatzung in den Fokus zu rücken, nehmen die Angriffe gegen Aktivisten im
ganzen Lande zu. Von Kit O’Connell @KitOConnell
| 3. November 2015, Deutsche Übersetzung von Milena Rampoldi, ProMosaik e.V.
 

Die
Minnesota-Gruppe der Students for Justice in Palestine, gemeinsam mit anderen pro-palästinensischen
Gruppen auf dem Campus der University of Minnesota (Foto: SJP MN Facebook).
MINNEAPOLIS
Infolge der
zunehmenden Spannungen im Westjordanland und in Gaza sind auch pro-palästinensische
Aktivisten auf den Campus der US-Universitäten Gewalt und Angriffen ausgesetzt.
 
Die Students
for Justice in Palestine, eine Vereinigung mit Vertretungen auf den Universitätscampus
in ganz Nordamerika, widersetzt sich der Unterdrückung der Palästinenser. Im
letzten Monat, als die Muslime im ganze Mittleren Westen mit steigender Gewalt konfrontiert wurden, wurden
drei Abteilungen massiv bedroht, als sie ihre Unterstützung der
Palästinenserfrage öffentlich bekanntgaben.
Als Anfang
Oktober ein Video über Fadi Alon,
den palästinensischen Jugendlichen, der von israelischen Siedlern verfolgt und
ermordet wurde, im Internet verbreitet wurde, drückte die SJP-Gruppe an der Universität Minnesota Twin Cities
auf ihrer Facebookseite ihre Solidarität mit dem ermordeten Jungen aus. (Die
Gründerin und Chefredakteurin von MintPress News, Mnar Muhawesh, ist in der
Gruppe SJP UMN als Beraterin tätig).
Als die
Polizei daraufhin Alon vorwarf, er hätte eine Messerattacke durchgeführt, warf
ein Post auf der Facebookseite einer anderen Campusorganisation, Students Supporting Israel at the University of Minnesota,
der Gruppe der SJP vor, „Terroristen“ zu unterstützen.
Bevor der
Post auf der SSI-Seite gelöscht wurde, wurde er auf einigen nationalen
pro-israelischen Seiten geteilt, und die Mitglieder der SJP-Gruppe wurden mit
Beleidigungen überflutet. (Der Videobeweis, der seit der Ermordung erbracht
wurde, hat Zweifel über die Anklagen der Polizei
gegen Alon aufkommen lassen
.)


Mondoweiss, einer
Webseite, die über Israel und Palästina berichtet, zufolge schlug eine angespannte Debatte während einer
SJP-Demo
am 15. Oktober an der Universität von Kalifornien, Santa
Barbara, in Gewalt um, als ein pro-israelischer Teilnehmer verstand, dass er
gefilmt worden war.
„Ein Student
reißt einem anderen Studenten, der gerade behauptet, dass die israelischen
Streitkräfte einen dreizehnjährigen Jungen, der einem Bericht zufolge einen
Israeli mit einem Messer angegriffen hätte,
auf der Straße verbluten ließen,
das Handy aus der Hand.
Das Video
unterbricht dann [Minute 4:48], aber Daniel Mogtaderi, der Israel-kritische
Student, meint, dass der pro-israelische Student ihn auch danach mehrmals
schubste. Mogtaderi meint, der Angreifer hätte seinen Rücken strapaziert und er
deshalb ins Krankenhaus musste.“

Am 19. Oktober, einige Tage nachdem die SJP-Gruppe an der Universität Illinois
in Chicago gewaltlosen Widerstand im Innenhof der Universität für einen
Aktionstag geleistet hatte, erhielt ein Mitglied eine E-Mail in seinem privaten
Posteingang, in der die Drohung
ausgesprochen wurde, den symbolischen Akt in einen wirklichen Mord zu
verwandeln.



Die
Mitteilung wurde von einem E-Mail-Konto versendet, dessen Name Bezug auf Hamas
nahm und mit dem Hashtag „#jewhater“ (Judenhasser) unterzeichnete. Der anonyme
Absender sprach die folgende Warnung aus: 
„Wenn noch
eine Demo von eurer unbedeutenden Organisation folgt, dann geht schon mal davon
aus, dass ihr beim nächsten Mal am Boden landen werdet.
… Unterschätzt
nicht die jüdische Präsenz auf dem Campus“.
Die
Beleidigungen und Drohungen werden in einer Umgebung ausgesprochen, in der die
Aktivisten, die sich an der Universität für die Förderung von Frieden und
Gerechtigkeit in Palästina einsetzen und die israelische Apartheid aufzeigen,
immer mehr unter Druck sind. Eine in diesem Jahr lancierte Webseite mit der
Bezeichnung Canary Mission veröffentlicht Profile von
pro-palästinensischen Aktivisten (inklusive das des Reporters dieses Artikels)
und verfolgt dabei ausdrücklich das Ziel, deren Karriere zu ruinieren. Palestine Legal, eine Organisation, die den
studentischen Aktivisten Unterstützung bietet, veröffentlichte gemeinsam mit
dem Center For Constitutional Rights einen Bericht, der von 140 Fällen von
Drohungen oder Angriffen auf den Universitätscampus in den ersten sechs Monaten
des Jahres 2014 spricht.
MintPress sprach
mit den Vertretern der Gruppen an der Universität Illinois in Chicago und auch an
der Universität Minnesota Twin Cities, um über ihre Erfahrungen im Bereich des
Aktivismus im Campus unterrichtet zu werden und zu erfahren, warum sie trotz
der Drohungen weitermachen. Die Aktivisten haben uns gebeten, nur ihre Vornamen
zu nennen und sagten sich besorgt um ihre persönliche Sicherheit.
Die Drohungen ließen die SJP UIC enger zusammenrücken
Anwaar, die
Vertreterin des Universitätscampus von Illinois in der SJP-Gruppe in Chicago,
meinte, dass der wachsende Einfluss der Bewegung, die Aufmerksamkeit der
Öffentlichkeit auf sich zu lenken, einen Faktor darstellt, der zur wachsenden
Belästigung der Gruppenmitglieder führt. Sie meinte, dass ihre Gruppe vor allem
im letzten Jahr von der hauptsächlichen Organisation von Kennenlernrunden auf
das Engagement im Aktivismus und in der direkten Aktion übergegangen ist.
Im September
organisierte die SJP UIC einen erfolgreichen Vortrag von Bassem Tamimi, einem
palästinensischen Aktivisten, der von der israelischen Regierung mehrfach
festgenommen und verfolgt wurde. Und was noch wichtiger für deren Sichtbarkeit
und Effektivität auf dem Campus war: die Gruppe schloss sich der UIC’s Black
Student Union an, um im September gemeinsam eine
Wache für die Opfer der Polizeigewalt in den USA und Palästina abzuhalten.
„Da können
so viele Parallelen gezogen werden“, teilte Anwaar MintPress mit und bezog sich
in diesem Zusammenhang auf die wachsende Solidarität zwischen der palästinensischen
Freiheitsbewegung und dem Kampf der Schwarzen für die Gleichberechtigung in den
USA.
Die Verbindungen
zwischen den beiden Bewegungen vertieften sich auch auf nationaler Ebene. Im
Januar zum Beispiel organisierten die Demonstranten von Ferguson eine 10tätige Reise nach Palästina.


Vertreter
von Dream Defenders, Black Lives Matter und der Aktivisten aus Ferguson
besuchen im Januar 2015 Palästina.
Die letzte
Belästigung erlitt die Gruppe nach dem Lie-In vom 14. Oktober, das, wie Anwaar
berichtete, im Innenhof des Colleges, einem der sichtbarsten Stellen des
Campus, organisiert wurde.
„Die Leute
kamen von überall her und wunderten sich, warum der Innenhof so ruhig war und
warum so viele Menschen herumstanden“, erinnerte sie sich.
Fünf Tage
später erhielt ein SJP-Vorstandsmitglied eine beleidigende E-Mail an seine
private E-Mail-Adresse. „Er war alleine, als er diese E-Mail erhielt, und er
wusste überhaupt nicht, was er tun oder wie er darauf reagieren sollte“, meine
sie. Anwaar zufolge verbrachte das Vorstandsmitglied in jener Nacht Stunden bei
einem Verhör bei der Campus-Polizei. Die folgende Ermittlung ergab nur, dass
die E-Mail von einer WiFi-Verbindung eines Colleges versendet wurde. Obwohl der
Schuldige wohl nie identifiziert werden wird, so Anwaar, erreichte er genau das
Gegenteil von dem, was er damit bezweckte. In Sitzungen mit dem Rektor und
anderen Verwaltern des Colleges, hat die Universität erneut das Recht der
Gruppe bestätigt, in Sicherheit und ohne Bedrohungsangst demonstrieren zu
dürfen. Anwaar fügt hinzu, dass die E-Mail die Verbindungen innerhalb der
Gruppe stärkte und sie dadurch entschlossener wurde, um deren Arbeit
fortzusetzen. Es kamen zahlreiche neue Mitglieder dazu, die aus der großen
muslimischen Gemeinschaft des Campus stammten:
Es
schweißte uns zusammen. Als Schulnetzwerk sind wir viel mehr zusammengerückt
als zu Beginn des Semesters. Und wir spüren, dass alle eine Gruppe von
Unterstützern im Campus haben. Die Menschen spüren einfach, dass deren Stimmen
letzten Endes erhört werden.“
Demnächst
plant die SJP-Gruppe an der UIC, regelmäßige, kostenlose „Palestine 101“-Unterrichtseinheiten
anzubieten, um den Studenten eine alternative Sichtweise auf die Geschichte der
Region zu vermitteln.
An der UMN „wollen wir einen Blick auf den größeren
Zusammenhang werfen“

Die
Minnesota-Gruppe der Students for Justice in Palestine demonstriert auf dem
Campus der Universität von Minnesota. (Foto: SJP MN Facebook).
Rula, der
Präsidentin der Gruppe, zufolge erreichte der wütende Facebookpost der Students
Supporting Israel die SJP-Gruppe an der Universität Minnesota Twin Cities ein wenig
überraschend. Sie erklärte, dass die beiden Gruppen das Jahr relativ friedlich
begonnen hatten, nachdem ein Campus-Verwalter ein Mediationstreffen vermittelt
hatte. „Es war alles ziemlich zivil“, teilte Rula MintPress mit. „Wir erfuhren in
den letzten Jahren mehr Feindseligkeit von den älteren SSI-Mitgliedern, die die
Gruppe mitbegründet hatten.“ Bevor diese Mitbegründer ihr Studium abschlossen
und bevor das Mediationstreffen zwischen den beiden Gruppen stattfand, meinte
sie, dass die SSI regelmäßig Fotoaufnahmen machte und die palästinensischen
Aktivisten bei ihren Demos verhöhnte. „Sie taten alles, was in ihrer Macht
stand, um unsere Gruppe und unsere Stimme auf dem Campus zum Schweigen zu
bringen.“ Die SJP-Gruppe zielte auf zionistische Veranstaltungen auf dem Campus
ab. Dies erfolgte beispielsweise mit Demos anlässlich von Ereignissen zwecks
Förderung von „Birthright“-Reisen, die
die amerikanischen Juden anspornen, nach Israel zu reisen. Die SJP-Gruppe spornte
die UMN-Studenten auf, entweder die Reise zu boykottieren oder, falls sie sich
doch entschieden, die Reise anzutreten, von der offiziellen Route abzuweichen,
um mehr über die Notlage in Palästina zu erfahren. Dieser anscheinende
Waffenstillstand endete, nachdem die SSI eine Vergeltungsaktion gegen die
Unterstützung von Fadi Alon durch die SJP ausübte. Rula fügte hinzu, dass
zusätzlich zum Post auf der SSI-Seite des Campus, die Vorwürfe der
Unterstützung des Terrorismus also auf den Facebookseiten der
StandWithUs-Bewegung, einer nationalistischen zionistischen Bewegung, landeten.
Auch nachdem die SSI den Post löschte, wurde die SJP UMN auf der Facebookseite
der Gruppe von Hassbotschaften überschwemmt. Rula erklärte die Gründe, wofür
die SJP die palästinensischen Jugendlichen unterstützt, die von Soldaten und
illegalen Siedlern getötet werden:
„Die
Vorkommnisse sind fürchterlich, aber wir müssen immer einen Blick auf den
größeren Zusammenhang werfen. Es gibt viele Gründe, wofür junge Palästinenser die
Notwendigkeit der Rache vertreten. Erstens einmal gibt es keinen Beweis, dass
Fadi Alon Rache ausübte und diesen Jungen mit einem Messer angriff, aber hätte
er es auch getan, wie die anderen, die es wirklich taten, gibt es immer Gründe
für solche Vergehen.“
Unter den
vielen Gründen, die junge Palästinenser dazu bewegen, Israelis anzugreifen,
führte Rula die Gewalt, die ihnen „das israelische Militär, die Hausabrisse,
die Verhaftungen, Blockaden und Einschränkungen der Bewegungsfreiheit zufügen“.
Sie betonte auch, dass diese Jugendlichen, unabhängig von ihren Vergehen, nicht
direkt hingerichtet werden dürfen. Die SSI und die amerikanischen Unterstützer
Israels sagen „immer, dass Israel die einzige Demokratie im Nahen Osten ist.
Aber einen mutmaßlichen Schuldigen zu töten, anstatt ihn vor Gericht zu bringen,
spricht nicht für eine demokratische Gesellschaft.“ Zusätzlich zu den
Hassbotschaften haben die Mitglieder Rula zufolge auch die Unterstützung
seitens lokaler Aktivisten erhalten. Am 8. Oktober z.B. schrieb die Jewish Voice For Peace Twin Cities
auf ihrer Webseite: 
„Jewish
Voice for Peace Twin Cities unterstützt voll und ganz die Studentenleader von Students
for Justice in Palestine (SJP UMN) an der Universität Minnesota, die in den
sozialen Medien eingeschüchtert und angegriffen werden … Es ist unerlässlich,
dass die Verwaltung der Universität Minnesota die Rechte der Studentengruppen
wie die der SJP, deren Standpunkte auf dem Campus unpopulär oder umstritten
sein könnten, schützt, damit sie ihre Meinungen zum Ausdruck bringen und die
Gemeinschaft erziehen kann, vor allem wenn es um eine Angelegenheit geht,
welche die SJP-Führung persönlich involviert und die Herzen vieler von uns in
der breiteren Gemeinschaft berührt.“ 
Mehr als
ihre Gruppe einzuschüchtern, teilte Rula mit, dass dieses Ereignis das
Engagement der Mitglieder für die Sache noch verstärkte. „Es erinnert uns
daran, das zu tun, was wir tun und weiterhin unsere Stimme auf dem Campus nicht
unterdrücken zu lassen und zu berücksichtigen, wie viele Menschen ganz ehrlich
nicht wissen, was in Palästina geschieht“. Am 30. Oktober hielt die SJP UMN eine
Solidaritätsdemo für Palästina:
Obwohl sich
die Mitglieder manchmal Sorgen über die Auswirkung der Angriffe machen, meinte
sie, dass der Sinn für den gemeinsamen Zweck ihnen die Kraft gibt
weiterzumachen:
Am Ende
des Tages gibt es wirklich nichts, um das man sich Sorgen machen sollte, denn
wir fördern die Gerechtigkeit. Und nicht nur die Gerechtigkeit für Palästina,
sondern für alle Menschen.“