Israel: Wir sorgen uns, wir geben nicht auf. Das zeigen wir!
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Adam Keller אדם קלר
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Übersetzt von Connection e.V. |
schmerzt, die Nachrichten im Fernsehen zu sehen. Es macht wütend, die
Politiker und Kommentatoren zu hören. Und ich hoffe darauf, dass das
Telefon klingelt und eine Stimme sagt: “Morgen gehen wir auf die
Straßen, um unsere Stimme zu erheben, die Stimme des Protests! Komm mit
uns, es ist enorm wichtig!” Gestern Nachmittag kam endlich so ein Anruf.
Noa Levy berichtete uns von der Initiative von Hadash, sich am
Freitagnachmittag auf der King George Street in Tel Aviv zu treffen.
“Die Frauen in Schwarz stehen dort jede Woche, seit Jahren. Aber in der
aktuellen Situation ist es nicht genug, wenn nur sie da sind. Viele
sollten kommen, um zu zeigen, dass wir uns sorgen, dass wir nicht
aufgeben, dass wir Stellung beziehen!”
Es ist Zeit für mich,
eine Nachricht in Hebräisch und Englisch an die AktivistInnen und die
Medien zu schicken: “Die Realität, wie der Konflikt gemanagt wird,
fliegt uns jetzt um die Ohren. Die Besatzung wird immer gewalttätiger
und gefährlicher. Die rechte Regierung ist eine immense Gefahr für alle,
die hier leben. Wir alle, auf beiden Seiten, zahlen den Preis – und
dieser wird mit jedem Tag höher. (…) Es gibt nur einen Weg, die
Eskalation zu beenden und den Kreislauf der Gewalt und des Todes zu
durchbrechen: eine politische Lösung, die Beendigung der Besatzung und
die Errichtung eines unabhängigen palästinensischen Staates mit der
Hauptstadt Ost-Jerusalem, Seite an Seite mit dem Staat Israel in seinen
1967 international anerkannten Grenzen.”
Ich war mitten in den
Vorbereitungen, als ich einen weiteren Anruf erhielt: “Was fällt Euch
ein? Was fällt Euch ein, eine Anzeige aufzugeben, mit der die
palästinensische Intifada mit unserem Befreiungskampf gegen das
britische Mandat verglichen wird? Unsere Untergrundgruppen haben nur auf
britische Soldaten gezielt, aber die, Eure palästinensischen Freunde,
töten uns ohne Unterschied!” – “Während der Zeit des Mandats gab es hier
gar keine britische Zivilbevölkerung, nur Soldaten.” – “Das tut nichts
zur Sache, sie sind alle abscheuliche Mörder – und Ihr unterstützt sie!”
– “Und was würden Sie sagen, wenn die Palästinenser darauf achteten,
keine israelischen Zivilisten zu treffen, sondern ihr Feuer
ausschließlich auf die Soldaten der israelischen Armee richten würden?” –
“Was? Rufen Sie dazu auf, unsere Soldaten zu ermorden? Ihr alle seid
Verräter! Ich spreche nicht mit Verrätern, ich werde die Polizei
anrufen!”
Der Bus ins Zentrum von
Tel Aviv braucht lange, um durch die Staus zu kommen. Auf dem Boden des
Busses liegt die gestrige Ausgabe von Yediot Ahronot. Jeder einzelne
Fall, bei dem ein Israeli von einem Palästinenser mit einem Messer
angegriffen wurde, füllt eine ganze Seite (insgesamt sind es vier).
Nirgendwo wird erwähnt, dass Hunderte von Polizisten in das
Flüchtlingslager Shuafat eindrangen und es dort Auseinandersetzungen mit
Tausenden von Bewohnern gab, bei dem ein Palästinenser starb und viele
verwundet wurden. (Über dies Ereignis wurde nur in Ha’aretz berichtet). Einer der Berichte in Yedioth Ahronoth
erwähnte, dass nach der Messerattacke am Mittwoch in Petah Tikva extrem
Rechte dorthin eilten und riefen: “Tod den Arabern! Brennt ihre Dörfer
nieder!” Aber die Reporter der Zeitung zitierten auch einen Bewohner von
Petah Tikva mit Namen Yehudit: “Oh Gott, was für schreckliche
Dinge passieren hier. Ich fürchte, dass dies erst der Anfang ist. Es ist
nicht richtig zu rufen: ‘Tod den Arabern!’ Auch sie wollen leben. Wir
müssen einen Kompromiss finden. Aber bis dahin haben sie nichts zu
verlieren. Ich weiß nicht, wie wir in diese Situation kommen konnten,
ich bin sehr beunruhigt.”
Genau zur angekündigten
Zeit füllten Transparente und Plakate die Kreuzung King-Georg und
Ben-Zion. Es gab viele rote Plakate mit der Aufschrift “Juden und Araber
weigern sich Feinde zu sein”, hier und dort das bunte runde Zeichen mit
den beiden Flaggen von Gush Shalom und den Slogan “Die
Besatzung tötet uns alle!” – Ein Slogan der Zweiten Intifada, der auch
heute wieder ganz aktuell ist. Eine grauhaarige Frau hielt ein
handgeschriebenes Plakat hoch, das sie von zu Hause mitgebracht hatte:
“Wie wird das Ende aussehen?” Frauen in Schwarz, die hier jede
Woche stehen, hielten ihre üblichen Transparente – mit einer schwarzen
Palme und dem Slogan “Weg mit der Besatzung!”
Ein temperamentvoller
junger Mann mit dem Mikrofon rief: “Keine Eskalation – Krieg ist nicht
unsere Art!” / “Keine weiteren Toten, keine Hoffnungslosigkeit – Weg mit
der Besatzung!” / “Die Besatzung ist ein Desaster – die Antwort kann
nur Frieden sein!” / “Rechte an der Macht – Nirgendwo Sicherheit!” /
“Rechte an der Macht – Keine Lösung in Sicht!” / “Die Antwort auf den
Hass der Rechten – Israel und ein palästinensischer Staat!” / “Stoppt
das Töten, genug Verluste – Die Besatzung muss beendet werden!” Am
lautesten wurde es bei den Slogans, die auf vielen Transparenten
standen: “Juden und Araber – Weigert Euch Feinde zu sein! Weigert Euch
Feinde zu sein! Weigert Euch!”
Drei Abgeordnete der
Knesset trafen ein – Ayman Odeh, Dov Khenin und Abdallah Abu Marouf.
Nacheinander nahmen sie das Mikrofon und hielten eine kurze Ansprache.
“Dies sind die Tage der Angst und oft der Verzweiflung. Insbesondere
deswegen ist es so wichtig, dass andere Stimmen gehört werden. Endlos
hören wir die Demagogie, eine Demagogie voller Hass, eine Demagogie des
Krieges. Wir erinnern uns, dass vor 20 Jahren ein Mann aufstand, der
gegen solche Demagogie anging, ein Mann namens Yitzhak Rabin. Wir wissen
was ihm geschah, hier in Tel Aviv. Wir werden den Kampf weiterführen!
Oft scheint es, dass es eine Stimme in der Wildnis ist, aber die
schweigende Mehrheit auf beiden Seiten will eine Zukunft in Frieden. Wir
sagen es hier, laut und klar: Wir sagen Ja zu Verhandlungen, Ja zu
ernsthaften, wirklichen Verhandlungen, die zu einem Ende der Besatzung
und zu einem palästinensischen Staat an der Seite Israels führen – ganz
sicher an der Seite Israels, nicht auf Kosten Israels! Wir sprechen zwei
Sprachen, hebräisch und arabisch, und in beiden Sprachen drücken wir
eine gemeinsame politische Botschaft aus. Wir sind hier, Juden und
Araber, wir wollen keine Feinde sein! Wir wollen in Frieden leben, wir
wollen, dass unsere beiden Völker in Frieden leben! Wir werden nicht
kapitulieren vor der Logik von Töten und Tod, Angst und Hass. Es gibt
einen anderen Weg! Es kann neue Hoffnung für Mütter und Väter geben, die
jedes Mal Panik befällt, wenn ihre Kinder das Haus verlassen. Es kann
neue Hoffnung für junge Menschen in den Flüchtlingslagern und auf den
Straßen von Tel Aviv geben. Wir können unsere beiden Völker befreien von
der Besatzung, jedem und jeder Frieden und Gerechtigkeit bringen.”
“Es gab viel weniger
feindliche Antworten als ich befürchtet hatte, und sogar einige
unterstützende Kommentare von Passanten. Die Situation ist weniger
schrecklich, als man den Eindruck hat, wenn man zu Hause alleine vor dem
Fernseher sitzt”, sagte eine alte Aktivistin. Als sich die Versammlung
auflöste, rief ein Organisator über die Lautsprecher: “Morgen wird es
eine landesweite Demonstration in Nazareth geben. Es gibt Busse von Tel
Aviv und Jaffa. Alle die können, bitte kommt auch dorthin. Und an alle:
Wir sehen uns das nächste Mal hier!”
Als ich nach Hause
zurück kam zeigte mir der Computerbildschirm die neuesten Nachrichten:
“Fünf oder sechs aus Gaza durch Beschuss der israelischen Armee getötet
und 35 verwundet, als Hunderte von PalästinenserInnen in Solidarität mit
den BewohnerInnen der Westbank auf die Grenzzäune zumarschierten /
Zusammenstöße in Hebron, Bethlehem und Beit El, von PalästinenserInnen
als die schlimmsten seit Ausbruch der Aufstände beschrieben: 118
Verwundete / Messerangriffe in Jerusalem und Kiryat Arba, zwei leicht
verwundet / Abgeordnete klagen an, dass Messerstecherin von Afula aus
der Nähe erschossen wurde, wahrscheinlich durch mehrere Waffen, während
sie ruhig dastand und keine Bedrohung darstellte / Racheattacke: Drei
Palästinenser und ein Beduine wurden in Dimona mit einem Messer
angegriffen, einer der Opfer rannte mit dem noch in seinem Rücken
steckenden blutigen Messer durch die Straßen / Der jüdische Terrorist,
der bereits psychisch auffällig geworden war, erklärte seine Attacke auf
vier Personen, indem er sagte: “Alle Araber sind Terroristen” /
Kommentar: “Wir wissen, wie es beginnt – niemand weiß, wie es enden
wird” / Zusammenstöße in arabischen Städten in Israel…
Eine Nachricht darunter betrifft die von Meretz
für morgen Abend (10. Oktober) angekündigte Demonstration vor der
Residenz des Premierministers in Jerusalem: “Wieder ein gewalttätiger
Angriff und schon gibt es einen weiteren: Das ganze Land steht in
Flammen, aber statt die Verantwortung zu übernehmen, jammert die rechte
Regierung und klagt die ganze Welt an – außer sich selbst. Seit sechs
Jahren hängt die rechte Regierung an der Macht ohne den Bürgern Israels
irgendeine Hoffnung, Vision oder einen Aktionsplan anzubieten. Seit
sechs Jahren haben Netanyahu und seine Minister nichts anderes im Sinn,
als Siedlungen, Annektierung, Aufwiegelung und brutale Gewalt. Kann noch
irgendjemand so tun, als sei er überrascht, dass der Konflikt – von dem
sie vorgeben ihn zu managen statt ihn zu lösen – uns nun um die Ohren
fliegt? Samstagnacht um 20 Uhr werden wir uns vor der Residenz des
Premierministers in der versehrten und schwer ächzenden Stadt Jerusalem
versammeln. Er hat uns in diese Sackgasse geführt. Wir werden uns
versammeln, um zu sagen, dass wir die Fortsetzung des Blutvergießens
nicht akzeptieren, dass es Zeit ist den Kreislauf des Tötens zu beenden,
dass wir genug haben von Gewalt und Aufwiegelung. Wir haben kein
Interesse an Rache, da wir wissen, dass uns Auge um Auge nur blind
macht. Der einzige Weg, um zu verhindern, einen Krieg nach dem anderen
zu führen, und um es möglich zu machen, in diesem Land sicher zu leben,
ist, ein Weg der Hoffnung und das beharrliche Bemühen um Frieden.”
Der Schrecken geht weiter. Aber zumindest haben wir begonnen, dagegen zu kämpfen.