General

Schenk und Knebusch vom CJACP an den Bundespräsidenten Gauck

An den Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland

Herrn Joachim Gauck
Schloss Bellevue
Spreeweg 1
10557 Berlin

— zugleich offener Brief an die Presseorgane —

Sehr geehrter Herr Bundespräsident,

wir schreiben Ihnen als Mitglieder des « Collectif Judéo-Arabe et Citoyen pour la
Palestine ». Bei diesem handelt es sich um einen Zusammenschluss von
Bürgerinnen und Bürgern, vornehmlich jüdischer und arabischer Herkunft, die zusammen
mit ihren Unterstützern in einem Dialog stehen und denen der Frieden in
Gewaltlosigkeit, Mitmenschlichkeit und Gerechtigkeit in Palästina am Herzen liegen.

Mit großer innerer Beteiligung haben wir seinerzeit Ihre Rolle in der ostdeutschen
Freiheitsbewegung beobachtet. Ihre Botschaft war ebenfalls Mitmenschlichkeit,
Gerechtigkeit und Friede in Gewaltlosigkeit. So haben Sie damals entschieden zur
Wiedervereinigung Deutschlands beigetragen.

Jüngst beim Staatsbesuch des israelischen Präsidenten Rivlin in Deutschland haben
Sie erneut die Wichtigkeit eines « festen normativen Fundaments » für Deutsche
und Juden betont (Rede beim Staatsbankett am 11.5.15).

Leider ist die Entwicklung im Vorderen Orient, in Israel und Palästina, einen ganz
anderen Weg gegangen.
Sie sprachen zwar von « Segmenten der Politik…, bei denen Deutsche und Israeli
noch unterschiedliche Ansichten haben » und von « partiellen Differenzen bei der
Beurteilung bestimmter Politikfelder ». Wir möchten Sie mit diesem Brief darauf
aufmerksam machen, dass auf dem Hintergrund der neuen Regierungsbildung
(Kabinett Netanyahu IV) so große Radikalisierungen und Zuspitzungen statt
gefunden haben, dass das von Ihnen angesprochene Werte-Fundament vollständig
zerstört wird . Von « partiellen Differenzen bei der Beurteilung bestimmter Politikfelder
» kann da leider nicht mehr gesprochen werden.

Während Sie in Berlin mit Staatspräsident Rivlin den 50. Jahrestag der Aufnahme
diplomatischer Beziehungen mit Deutschland feierten, fand fast zeitgleich in
Jerusalem eine Konferenz israelischer Juristen der Gruppe « Shurat HaDin » statt
(4.-5.05.15). Das bezeichnende Thema der Tagung lautete « Towards a new law of
war ». Im Rahmen dieses neuen Kriegsrechts stellte General Moshe Ya’alon, der alte
und neue Verteidigungsminister, Atombomben-Angriffe der israelischen Armee auf
den Iran als selbstverständliche Möglichkeit dar. « In certain cases we feel like we
don’t have the answer by surgical operations…. Israel might take certain steps such
as the Americans did in Nagasaki and Hiroshima… ».

Ya’alon weiß wovon er redet, war er doch als Chef des Generalstabs für die
Strategische Planung der israelischen Armee zuständig. Später wurde er « Minister
für Strategische Angelegenheiten ».
Die verbale Gewöhnung an die Idee eines Atomschlages und die entsprechende
rhetorische Aufrüstung ist kein « nachgeordnetes Politikfeld » mehr ! Es ist ein
moralischer Damm- und Tabubruch, der nur größte Angst und Beunruhigung
erzeugen kann.
So werden Atombomben mit Worten scharf gemacht !

Radikalisierung nach aussen ist wie immer begleitet von Radikalisierung nach innen.
Dafür ist die designierte Justizministerin Ayelet Shaked zuständig. Sie ist eine
schockierende Scharfmacherin, die am äußersten rechten Rand angesiedelt ist und
das Vertrauen von Netanyahu besitzt. Sie war schließlich drei Jahre seine Kabinettschefin.
Nun fordert sie eine Art Sippenhaft für alle Terroristen. Deren gesamte
Familie einschließlich Eltern und Kinder sei zu töten. Ihre Begründung lautet :

« Behind every terrorist stand dozens of men and women, without whom he could not
engage in terrorism. They are all enemy combatants and their blood shall be on all
their heads. Now this also includes the mothers of the martyrs, who send them to hell
with flowers and kisses. They should follow their sons, nothing would be more just.
They should go, as should the physical homes in which they raised the snakes.
Otherwise more little snakes will be raised there ».

Im Streit über eine korrekte Übersetzung ihrer Rede hat Frau Shaked ausdrücklich
betont, es handle sich doch « nur » um die Familien von Terroristen. Als ob dies
rechtswidrige, vorsorgliche Tötungen legitimieren könnte ! Auch das wird als Selbstverständlichkeit
hingestellt.
Man darf sich in Israel inzwischen brüsten, viele Araber getötet zu haben, so aus
dem Mund von Naftali Bennett und Moshe Ya’alon. Das « feste normative
Fundament » ist längst verlassen. Mörderische Rhetorik und Mord sind zu einem
Alltagsvorgang geworden. Babies scheinen in dieser Vorstellungswelt kleine
Schlangen zu sein. Im proklamierten neuen « Law of War » haben diese Kinder ab
dem Säuglingsalter offenbar einen Kombattanten-Status.

Wir sind der Meinung : kein deutscher Bundespräsident, ja überhaupt niemand, darf
das mit Schulterzucken oder Wegsehen übergehen. Die Lage ist viel zu ernst. Wir
beobachten eine furchtbare und furchterregende Entwicklung, die jeden zutiefst
beunruhigen und alarmieren muss !

Angesichts dieser erschütternden Zuspitzungen könnte das Schweigen des
deutschen Bundespräsidenten zu einer Form von Kooperation führen und sogar eine
Mitschuld begründen.

Wir bitten Sie deshalb, eine feste Haltung gegenüber den verirrten und verwirrten
Freunden einzunehmen, die letzten Endes auch den israelischen Staat in den
Untergang ziehen könnten.
Um diese Festigkeit auf dem Boden des Rechts und der Gerechtigkeit zu
demonstrieren und den Frieden zu bewahren, bitten wir folgende Handlungen zu
erwägen, sollten die Wege der Diplomatie nicht ausreichen :

o Absage des im Herbst/Winter 2015 geplanten Staatsbesuches des deutschen
Bundespräsidenten in Israel,
o Einbestellung des israelischen Botschafters zur Übergabe offizieller
Protestnoten,
o Einstellung der militärischen Zusammenarbeit mit Israel, Stopp aller
Waffenlieferungen in den Nahen Osten,
o Suspendierung der ökonomischen Hilfen und der Zusammenarbeit bei
wissenschaftlichen Projekten,
o Besuch der Bundeskanzlerin und maßgeblicher Minister in Straßburg mit
Erläuterung der deutschen Politik gegenüber Israel und der palästinensischen
Bevölkerung im Europäischen Parlament.

Sehr verehrter Herr Bundespräsident, Sie sind mit Recht dafür bekannt, dass Sie
gegenüber Unrechtsregimen und gravierenden Menschenrechtsverletzungen eine
unbeugsame Haltung einnehmen können.

Wir erbitten das für unsere israelischen und palästinensischen Mitmenschen, die
inzwischen in grosser Verzweiflung, Angst und zunehmender Verbitterung leben.
Bitte hören Sie diese Stimmen !

Mit vorzüglicher Hochachtung
Strassburg, am 01.06.2015

Mitglieder des Collectif Judéo-Arabe et Citoyen pour la Palestine (CJACP).

Günter Schenk                                                Roland Knebusch
1a, rue des Aveugles                                       47, rue de la Mairie
F-67000 Strasbourg                                        F-67370 Neugartheim/