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Interview mit Laure Blanchet des französischen Vereins „Famille de Cœur“ für Gaza


Guten Tag aus der Redaktion von ProMosaik e.V.,
Es freut mich sehr, Ihnen heute auch die deutsche Übersetzung
unseres Interviews mit Laure Blanchet des Vereins „Famille de Cœur“, der sich
für die Familien in Gaza einsetzt, zu präsentieren.
Die Vorstellung des Vereins finden Sie hier:

http://promosaik.blogspot.com.tr/2015/04/famille-de-cur-pour-gaza.html 

Danke für Ihre Aufmerksamkeit
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Phil. Milena Rampoldi – ProMosaik e.V.
Dr. Phil. Milena Rampoldi: Frau Blanchet, wie haben Sie
verstanden, welche Tragödie sich in Palästina abspielt?
Laure Blanchet: Der israelisch-palästinensische Konflikt ist
zweifelsohne eine Kolonisierung eines Staates durch einen anderen. Israel
kolonisiert Palästina und dehnt sein Einzugsgebiet immer mehr aus. Um dies zu
verstehen, braucht man sich nur die Entwicklung der Landkarten von Palästina
und Israel vor Augen zu führen.
Dr. Phil. Milena Rampoldi: Worin besteht das Hauptziel Ihres
Vereins?
Laure Blanchet: Das Hauptziel unseres Vereins besteht in der
Übernahme von Patenschaften für palästinensische Familien in Gaza. Warum in
Gaza? Weil Gaza der Ort in Palästina ist, an dem das Leid am größten ist.  
Mit der Patenschaft verfolgen wir ein zweifaches Ziel. Das erste
besteht natürlich in der finanziellen Unterstützung der Familien, die im Sommer
2014 Opfer der israelischen Angriffe geworden waren.
Aber jenseits der finanziellen Unterstützung möchten wir diesen
Familien auch eine moralische Unterstützung anbieten und ihnen von der anderen
Seite der Welt sagen, dass es Menschen gibt, die an sie denken.
Dr. Phil. Milena Rampoldi: Warum haben Sie den Namen „Famille de
Cœur“  (Familie des Herzens) für Ihren
Verein gewählt?
Laure Blanchet: Wir sind alle Brüder und Schwester in der großen
Familie der Menschheit. Außerdem wünschen wir uns im Rahmen der Patenschaft,
dass diese familiäre Bindung auch entsteht.
Dr. Phil. Milena Rampoldi: Welche sind für Sie die wichtigsten
Strategien, um für den Frieden im Nahen Osten zu arbeiten?
Laure Blanchet: Hinsichtlich der Palästinafrage, ist der Boykott
ein einfacher Hebel, den das Volk selbst in Bewegung setzen kann. Wir alle sind
potentielle Verbraucher, und wir können somit alle unsere Unzufriedenheit zum
Ausdruck bringen, indem wir uns weigern, Produkte zu erwerben, die aus den
illegal besetzten Kolonien Israels stammen.
Dr. Phil. Milena Rampoldi: Welche sind die größten Hindernisse für
den Frieden in Palästina?
Laure Blanchet: Die fehlenden Sanktionen gegen Israel. Die
internationale Gemeinschaft schläft. Sogar wenn der internationale Gerichtshof
eine Untersuchung einleitet und erkannt wird, dass Israel Kriegsverbrechen
begangen hat, werden dann wirklich Sanktionen verhängt?
Dr. Phil. Milena Rampoldi: Was haben Sie bisher erreicht und
welche Ziele verfolgen Sie in der nahen Zukunft?
Laure Blanchet: Bisher haben wir es geschafft, die Anzahl der
Patenfamilien zu erhöhen. Wir haben auch jeden Monat parallel dazu Initiativen
ergriffen, beispielsweise im Bereich der Umquartierung der Familien, des Kaufs
von Medikamenten, der Lieferung elektrischer Batterien, Tanks für das
Trinkwasser… jeden Monat organisieren wir eine Aktion, um die Bevölkerung in
Gaza zu unterstützen.
Im Monat Ramadan fokussieren wir unsere Tätigkeit auf die Nahrung,
und vor allem auf das Fleisch. Viele Vereine bereiten Lebensmittelpakete mit
den Grundnahrungsmitteln vor. Wir möchten für jede Familie ein wenig mehr
bringen, ein wenig Fleisch für das Fastenbrechen.
Meine Reise nach Palästina:
Vorab möchte ich gerne sagen, dass Palästina ein wundervolles Land
ist. Dieses Land ist schön, reich an Geschichte und Kultur…
Palästina ist die Heimat der Menschheit, in der alle unsere großen
Propheten geboren bzw. gelebt haben… Es ist ein Ort der Spiritualität, das „Heilige
Land“, das sogar das Herz nicht gläubiger Menschen berührt…
Ich möchte auch erzählen, wie wundervoll die Menschen in Palästina
sind.
Ich habe Menschen getroffen, die auf die Auswanderung, um im
Ausland ein besseres Leben zu führen, verzichtet haben, um bei ihrem Volk zu
bleiben, um nicht nachzugeben … bis zum Ende!
Es gibt Menschen, die für ihre Leute alles geben und die nicht vor
Zeitaufwand und Mitteln zurückschrecken, um den Alltag im „Lager“, den Alltag
der Kinder, Frauen und Behinderten zu verbessern…
Leider habe ich auch die Möglichkeit gehabt, mit meinen eigenen
Augen die Allgegenwärtigkeit der Besatzung zu sehen. Für diejenigen, denen die
Gelegenheit geboten wird, die berühmte blaue Karte zu bekommen, die ihnen das
Reisen erlaubt (alle haben nicht die blaue Karte und sind somit nie aus den
Flüchtlingslagern rausgekommen), ist die Demütigung an der Tagesordnung. Bei
jedem Check Point. Diese Demütigung ist überall.
Sogar über den Zutritt zu bestimmten Moscheen (Al Aqsa – Hebron… und
sicher gibt es noch andere) …. entscheiden „sie“, ob sie zum Gebet dürfen oder
nicht.
Es kann auch vorkommen, dass die Fahrzeuge mehrmals am Tag
durchkämmt werden. Und bei jeder Durchfahrt kann es sein, dass das Ganze, ganz
ohne Grund, schief geht…
Ich habe die Angst, einher mit der Verzweiflung, dem Zorn und dem
Leid verspürt… in den Augen eines unserer Gastgeber während einer dieser
eigenmächtigen Kontrollen.  
Ich habe auch den Zustand des Flüchtlingslager von Shufat gesehen…
das Problem der Hygiene an diesem Ort. Es ist ein Flüchtlingslager, das zu
Beginn für 15 000 Flüchtlinge vorgesehen war und wo nun fast 60 000 Menschen
leben.
Es fehlt an allen Ecken an Infrastruktur. Die Kinder gehen abwechselnd
in die Schule.
Es gibt keine organisierte Müllentsorgung. Es gibt keine
Möglichkeit, den Müll aus dem Flüchtlingslager zu bringen oder ihn
wiederzuverwerten. Daraus entstehen natürlich große hygienische Probleme…  
Die Mädchen, denen ermöglicht wurde, in Jerusalem
weiterzustudieren, haben mir erzählt, wie sie manchmal nicht zur Schule
durften, da „sie“ es so entschieden hatten. Sie öffnen und schließen die Check
Points ganz nach ihrem freien Ermessen und nach ihrer Laune.
Kurzum: … ein wundervolles Land, ein wunderbares Volk, aber ein
Land unter Besatzung, unterdrückt, respektlos behandelt, vollkommen verlassen,
während die internationale Gemeinschaft einfach nur zusieht.
Die Fotos von Laure Blanchet: